Linz hat eine Megastruktur!

Linz hat eine Megastruktur: Das Neue Rathaus. Obwohl erst 1985 fertig gestellt, darf es in dieser besonderen Sammlung hässlicher Entlein keinesfalls fehlen. Zumindest der Beschluss zu dem riesigen Verwaltungsbau und der folgende Architekturwettbewerb fanden schon 1977/78 statt. Teil 3 der Serie „Hässliche Entlein – Architektur der 60er und 70er in Linz“ von Lorenz Potocnik.

Hinzu kommt eine Typologie und die städtebauliche Vision einer vielschich­tigen Großstruktur im Herzen einer Stadt, die meines Erachtens Gedan­ken­gut der 60er und 70er Jahre sind. Mit absoluter Sicherheit handelt es sich jedoch um ein Bauwerk, dessen Bedeutung unterschätzt und dessen Schön­heit in Zukunft noch zu erkennen sein wird. Das Neue Rathaus hätte das Zeug zum ganz Grossen gehabt und hat dies noch heute. Eine – mir scheint – visionäre Idee wurde da nicht ganz zu Ende gedacht. Das Kultur­haupt­stadt­jahr ist die prädestinierte Gelegenheit, diesen Entwurf weiterzuführen!

Das Neue Rathaus – nicht ganz fertig entworfen
Das eigentliche Faszinosum an diesem Bauwerk ist ein gewisser Wider­spruch. Ursprüngliches Ziel war ein offenes und modernes, bürgerfreundliches Haus zu schaffen. Herausgekommen ist ein ganz schön wuchtiges Mons­ter mit eigenwilliger Detailgestaltung, das jedoch bei genauerer In­spek­­tion seine Qualitäten entfaltet:
Zuallererst die gelungene Geste – einem mesopotamischen Ziggurat ähnlich – einen Berg oder Hügel als positiv zu wertendes Machtsymbol herzustellen. Eine künstliche Stadt(land)schaft zu bilden, die die gesamte Linzer Stadt­verwaltung bündelt und zusätzlich ein Service- und Veranstal­tungs­zen­trum sowie Einkaufsmöglichkeiten und Gastronomie beinhaltet. Die Ty­po­logie des bewohnbaren Berges hebt zusätzlich den Unterschied zwischen Kunst und Natur auf. Und das ist tatsächlich etwas, das mir immer wieder beim Erkunden der Außenbereiche passiert ist: Hier wird ganz selbstverständlich Natur empfunden, künstliche Stadt in Natur verwandelt! Der Rat­haushügel gliedert sich perfekt in die umgebende Topographie ein.

Fast egal zu welcher Jahreszeit man die Terrassen besucht, irgendetwas blüht immer. Die Vögel zwitschern, die Sonne schafft durch die hellen Be­tonoberflächen mediterranes Flair, die Ausblicke auf die Stadt sind atembe­raubend. Die Stimmung ist entrückt. Die Zeit scheint etwas langsamer zu ge­hen. Es ist möglich, über die Terrassen bis auf die letzte Ebene zu gehen und über die Laubengänge den Haupttrakt zu umrunden. Dabei kann man sich nebenbei von der natürlichen Belichtung sämtlicher Arbeitsräume vergewissern und den Mitarbeitern der Verwaltung auf die Finger schauen.

Doch die Intention eines lebendigen Verwaltungs-, Geschäfts- und Kultur­zen­trum scheint nicht ganz gelungen. Der Platz zur Donau hin wird kaum als Aufenthaltsort genutzt, die Terrassen sind eigentlich nur unter Insidern bekannt, viele Teile des Rathauses (Innenhöfe) sind nicht erfahrbar, die Orien­tierung im Gebäude selbst fällt schwer, hochwertige kulturelle Veran­staltungen sind dünn gesät. Mein wesentlichster Kritikpunkt ist aber ein – wie mir scheint – nicht konsequent zu Ende gedachter Entwurf. Der Archi­tekt in mir hätte sich gewünscht, nicht mehr zwischen den Einzelteilen wie einer Treppe, einer Mauer, einem Dach, einer Rampe oder einer Terrasse bzw. auch grundsätzliche Empfindungen wie Künstlich und Natürlich oder Innen und Außen eindeutig unterscheiden zu können. Im Sinne einer ge­bauten Landschaft hätte ich mir erwartet, von der Rudolfstraße kommend den Rathaushügel zu erklimmen oder mich per Lift hinaufkatapultieren zu lassen, oben im Cafe Pause zu machen, den Blick auf die Stadt zu genießen, um dann wieder hinunter ins „Donautal“ zu gehen. Tatsache ist aber eine Ge­staltung von „vorne“ nach „hinten“ die zu einer ausgeprägten Rückwand führt und eine Sackgasse zur Folge hat. Die Wegführung ist insgesamt, am Ziel des begehbaren offenen Rathauses gemessen, nicht verwoben genug zwischen Innen und Außen, Oben und Unten. Nicht zuletzt ist die Zugäng­lich­keit zu den hängenden Gärten zu nennen: Ein schmales Edelstahltor (im­mer dieser widerliche, unangebrachte, allgegenwärtige, unzerstörbare, ewig junge Edelstahl) das eher einen kleinen privaten, spießigen Garten erwarten lässt. ... und recht biedere Öffnungszeiten der Dachlandschaft von Mo-Fr, 09.00-19.00 Uhr, Sa, 9.00-12.00 Uhr. Was ist mit Sonntag oder mit lauen Sommerabenden? Was ist mit einer romantischen Nacht oder überhaupt mit öffentlichem Raum?

Zur Entstehungsgeschichte
Eine städtebauliche Gesamtkonzeption war ausschlaggebend für den Wett­bewerbsgewinn. Dieser beinhaltete einen parallel zur Donau und somit quer zum Hauptplatz liegenden großen Freiraum, einen unmittelbaren Zugang zur Donau und als zukünftiges Szenario ein Pendant (Musikhaus?) zum Ver­waltungsbau genau gegenüber der Hauptstraße. Der Ort des jetzigen AEC wä­re Freiraum geblieben.

In einem Gespräch nennt der Architekt des Rathauses Rupert Falkner die Terrassen als Bestreben: Der schieren Größe des Bauwerks einen menschlichen Maßstab zu geben und die besondere Lage an der Donau spürbar zu machen. Die Begehbarkeit des Gebäudes sollte dieses erfahrbar und zu­gäng­lich machen. Mit der ursprünglich geplanten Symmetrie wollte Falkner ein städtisches Gleichgewicht zwischen den zwei Ufern bzw. links und rechts der Haupt­straße schaffen.

Das Rathaus hat Charakter. Die Formgebung bis ins Detail ist eigenwillig aber stimmig. Meine Frage an den Architekten nach evtl. formalen Vor­bil­dern oder Inspirationsquellen bleibt weitgehend unbeantwortet. Viele ge­stal­terische Maßnahmen scheinen der Entschärfung eines zwangsläufig zu groß geratenen Bauwerks zu dienen. Kanten abstufen, Dach abtreppen, das Gebäude stark in der Horizontale abstufen, die Ecken abrunden ... dabei wird die Treppenstruktur bis ins Detail durchgehalten und variiert.
Die formalen Details bleiben für mich etwas rätselhaft. Stärkste Assoziation bleiben die fein abgetreppten Mauern und Erker aus vielen Bauwerken des italienischen Architekten Carlo Scarpa (insbesondere das Grabmal Brion in San Vito d’Altivole, 1974) und die äußere Form so vieler deutscher Bunker am Atlantikwall, die der französische Architekt und Philosoph Paul Virilio in „Bunker Archeology“ 1976 so grundlegend erforscht hat. An diesen findet man diese Abstufungen und Abrundungen (allerdings aus ballistischen Gründen) an allen Öffnungen vor.

Was ist eine Megastruktur?
Reyner Banham gibt in seinem 1976 erschienenen Buch „megastructures – urban future of the recent past“ ausführlich Auskunft über das Wesen dieser Großbauten. Megastrukturen versprachen groß/klein, bzw. geplant/spon­tan oder permanent/vorübergehend zusammenzubringen und stellten am Höhepunkt ihrer Verbreitung (Ende 60er) ein weltweit erfolgreiches Kon­zept dar. Fast immer große öffentliche Bauten wie eben Verwaltungen fassen so ganze Teile einer Stadt und „ermöglichen in gewissem Sinn eine küns­tlich geschaffene Landschaft“ (Fumihiko Maki, 1964). In Österreich kann man neben den phantastischen Flugzeugträger-in-der-Landschaft Ent­würfen von Hans Hollein u.a. die Uno City (1979), das AKH-Wien (1991,
20 Jahre Bauzeit!) oder die Wohnblöcke in Alterlaa dazuzählen.
Ziel dieser Typologie war, eine Art Großstruktur, die optisch intakt bleibt, langfristig Kontinuität wahrt und dabei gleichzeitig schnellen, kurzen Zyk­len einen Rahmen bietet. Megastrukturen sind das Gegenteil von monofunktionalen Gebäuden, die – wie so oft der Fall – für nichts anderes zu nutzen sind als die ursprüngliche Funktion. Heute wäre das Anbieten von Me­ga­strukturen nur selten erfolgversprechend. Gebaute Megastrukturen hat­ten fast immer schlechte Pressereaktionen und unfreundliche Rezeption: Meist war der Bauprozess so lang, dass nach Fertigstellung die geistige Mo­de, die zur Entstehung geführt hatte, schon verflossen war. Zusätzlich ha­ben Megastrukturen des Öfteren einen heutzutage nicht leicht vertretbaren, megalomanischen Beigeschmack.
Das Zentrale Verwaltungsgebäude erfüllt einige Kriterien einer Mega­struk­tur. Das Erkennen dieser Typologie im Rathaus ist nicht nur von rein theoretischem Interesse, sondern erlaubt es, das Bauwerk anders zu sehen: Das Rathaus als Megastruktur lässt sich anders denken, nämlich als (vertikale) Infrastruktur der Stadt Linz, die eine problemlose und schnelle Verände­rung und Adaptierung an die momentanen und sich schnell wandelnden Bedürfnisse der Räume erlaubt. Im Gegensatz zu dem, was die äußere Form suggeriert, ist die Re-Interpretation des ganzen Komplexes in viel kleinere Zeitzyklen gefordert.

Aufruf, die Megastruktur Rathaus zu verbessern.
Das Rathaus hat so etwas wie einen ersten Lebenszyklus erreicht. Es ist gut ge­altert und wird die nächsten 20 Jahre erst seine wahren Stärken zeigen können. Von welchen in letzter Zeit gebauten Häusern kann man das be­haupten? Spätestens wenn irgendwann Moos zwischen den Ritzen der Ter­rassenplatten wächst und das Bauwerk erfolgreich eine erste Wandlung durch­gemacht hat, wird das Neue Rathaus zwar ein altes sein, aber Pilger­stätte für moderne Architektur ... Die Kulturhauptstadt 2009 ist DIE Ge­le­genheit, dem ganzen Komplex mitsamt den Unterführungen einen neuen Schub zu geben; erfrischende und überraschende Nutzungen zu überlegen. Das Gebäude noch mehr der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es Teil der Kulturhauptstadt werden zu lassen. Bilanz der letzten 22 Jahre zu ziehen und evtl. Dinge zu Ende zu planen. Über die Meinung weniger Freaks hinaus, könnte das Rathaus das ursprünglich angestrebte kulturelle Zent­rum von Urfahr darstellen und von einer breiten Öffentlichkeit in seiner Einzigartigkeit anerkannt werden.

Ich fordere auf, die rund 10.000 m2 Freifläche zu entdecken und ungeahnte Potenziale freizusetzen und mit minimalen Eingriff die Wahrnehmung und dadurch die Nutzung des Bauwerks geschickt zu verändern.
Ich fordere aber insbesondere das Rathaus auf, sich für das Jahr 2009 eine Vielzahl an Ideen, am besten mit einem Wettbewerb, einfallen zu lassen, um diese hängenden Gärten von Linz zu dem zu machen, was es vielleicht hätte werden sollen: eine offene, wandlungsfähige Megastruktur großer Vielfalt, Impuls für Anregung und Innovation.

Literatur: „Megastructures – Urban Future of the Recent Past“ Reyner Banham, Thames and Hudson, London, 1976. „Civilizing Terrains – Mountains, Mounds and Mesas“ William Rees Morrish, William Stout Publishers, San Francisco, 1996. „Das Neue Linzer Rathaus“ Walter Knoglinger, Errichtungsgesellschaft der Stadt Linz, 1985. „Linz – Neue Städtebauliche Perspektiven“ Rupert Falkner/Otmar Brunner, Stadt­bauamt Linz, Linz, 1980.

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