Filmvorschau: Brinkmanns Zorn
„Die Geschichtenerzähler machen weiter, die Autoindustrie macht weiter, die Arbeiter machen weiter, die Regierungen machen weiter, die Rock’n’Roll-Sänger machen weiter [...]. Auch alle Fragen machen weiter, wie alle Antworten weitermachen. Der Raum macht weiter. Ich mache die Augen auf und sehe ein weißes Stück Papier.“ (aus der Vorbemerkung zu „Westwärts 1&2“, 1974)
Rolf Dieter Brinkmann, 1940 in Vechta bei Oldenburg geboren, war nach abgebrochener Gymnasialzeit und einer Buchhändlerlehre in Essen schließlich 1962 in Köln angelangt, wo er neben Gedichtbänden, Erzählungen und Hörspielen seinen berühmtesten Roman „Keiner weiß mehr“ veröffentlichte.
Während für seine frühen Prosaarbeiten zunächst der französische „nouveau roman“ Vorbild gestanden hatten, gewannen zunehmend im Laufe der 60er Jahre die amerikanische Beat- und Pop-Literatur an Einfluss. Autoren wie Jack Kerouac, William S. Burroughs und Frank O’Hara aber auch die Musik von The Deviants, The Doors oder den Rolling Stones verhalfen ihm zu einem Lebensgefühl, das ihm eine klare Distanzierung zur als konservativ empfundenen europäischen Literaturszene ermöglichte.
1969 gab Brinkmann gemeinsam mit Ralf-Rainer Rygulla „Acid. Neue Amerikanische Szene“ heraus, eine Text- und Lyriksammlung, die die amerikanische Beat-Literatur in Deutschland populär machen sollte.
Zu diesem Zeitpunkt war Brinkmanns Vertrauen in Literatur und Sprache als Vermittlungswerkzeug schon schwer getrübt.
Als bereits höchst umstrittener Autor wurde er zunächst zur Kölner Schule des Neuen Realismus, einer Gruppe um Dieter Wellershoff, gezählt, die durch schonungslose Genauigkeit gesellschaftlichen Realitäten beizukommen versuchten. Nun aber hatte er erkannt, dass Sprache, selbst wenn sie konsequent bildhafte Elemente verwendet, letztendlich doch Beschränkungen verhaftet, und nicht mehr in der Lage ist, den Erfahrungen von gesellschaftlicher Fragmentarisierung und der totalen Zersplitterung sozialer Gemeinschaft gerecht zu werden. 1970 beschrieb er in „Notizen und Beobachtungen vor dem Schreiben eines zweiten Romans“ das Ausmaß seiner Krise als so bedeutend, dass ihm die ganze Literaturproduktion fragwürdig erschien.
Brinkmann, der sich vom Schwung der 68er Bewegung Veränderungen in Kunst und Politik erhofft hatte, wollte durch seine unkonventionelle Vermischung der Formen die Literaturszene beeinflussen.
Nunmehr enttäuscht über der Verpuffen der Energie der sich zunehmend verbürgerlichenden 68er Bewegung reagierte er mit phasenweise rigorosem und elitärem Auftreten in der Öffentlichkeit, das in einem skandalträchtigen Fernsehauftritt, in dem er Marcel Reich-Ranicki beschimpft und bedroht hatte, seinen Höhepunkt fand und zu einem völligen Bruch mit dem deutschen Literaturbetrieb führte.
Weitgehend zurückgezogen setzt er zu Beginn der 70er Jahre die Suche nach zeitgemäßen Prosaformen fort, die in dieser Zeit entstandenen Hörspiele sind hörbarer Ausdruck seines Zweifels an der schriftlichen Form. In Streifzügen durch Köln beginnt er mit einer geliehenen Ausrüstung tonnenweise Material, Super-8 Filme, tausende Instamatic-Fotos und 12 Stunden Tonbandaufnahmen „... für einen zweiten neuen Roman, der von 1968-73 in der BRD spielt, durch alle Schreckenskammern und Wuseleien führt und der nur von einer Person handelt, die durch diese Kulisse geht.“ zu sammeln.
Brinkmann gilt heute als Kultfigur, wird dabei aber oft zu unrecht als Pop-Autor und Politrebell auf seine frühen Zeiten reduziert. Als erster deutschsprachiger Autor setzte er bewusst die Erzähltechniken des Films in seinen Texten ein. Die Technik des Cut-Up, wie man sie insbesondere aus „Schnitte“ und „Rom, Blicke“ kennt, waren Ergebnis des Versuchs einer Neubestimmung seines ästhetischen Schaffens im Prozess des Anrennens gegen die eigenen Denk- und Schreibgewohnheiten, an die er nicht mehr glauben konnte.
Brinkmann hat Zeit seines Schaffens versucht, nicht als Literat zu gelten und sich der Vereinnahmung des Literaturbetriebs zu entziehen. „Was die Einordnung betrifft, sehe ich mich selber als Einzelgänger, etwas Außenseiter ...“ (aus einem Brief an Hartmut Schnell, in: Briefe, S. 125)
1973 verbrachte Brinkmann ein Jahr als Stipendiat in Rom, im Jahr darauf arbeitete er als Gastlektor an der texanischen Universität Austin. Kurz vor der geplanten Veröffentlichung des Gedichtbands „Westwärts 1&2“ kam Rolf Dieter Brinkmann, der Autos stets gehasst hatte, 1975 bei einem Autounfall in London ums Leben.
Als seine wichtigsten Werke gelten der Roman „Keiner weiß mehr“, die Anthologie „Acid“, der Briefband „Rom, Blicke“ und der Gedichtband „Westwärts 1&2“.
Brinkmanns Zorn ist der Versuch des Regisseurs Harald Bergmann, aus dem medialen Nachlass Rolf Dieter Brinkmanns das Portrait eines unbequemen, wütenden, aber auch leidenschaftlichen Schriftstellers zu schaffen, der immer wieder bedingungslos und mit gnadenloser sprachlicher Wucht auf jedes Alltagsdetail eingedroschen hat.
Der Film setzt genau an der Stelle an, als Brinkmann massenhaft Super8-Filme, Fotos und Tonbandmaterial auf seinen Streifzügen durch die Kölner Innenstadt produziert hat.
Originaltonbänder liefern die Handlungsspur des Filmes, Schauspieler Eckhard Rohde, selbst Schriftsteller und Brinkmann-Kenner visualisiert diese und verleiht der Originalstimme eine lippensynchrone körperliche Präsenz. Ergänzt durch die Kamera von Elfi Mikesch entstand eine experimentelle Verknüpfung von Dokumentation, Hör- und Spielfilm. Brinkmanns Zorn wurde 2007 auf dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen uraufgeführt und ist im Juni im Linzer Kino Moviemento zu sehen.
„Ein gelber schmutziger Himmel, ein gelber schmutziger Himmel ein gelber schmutziger Himmel, ein mieser gelber dreckiger, schmutziger Kölner Himmel, ein mieser Himmel, ein verdammter Scheißdreck von Himmel, ein mieser gelber schmutziger Kölner verfluchter elender Kackhimmel, ein von Lichtfetzen verkackter Himmel.“ (Originaltonband 1974)
Brinkmanns Zorn wird vom 26.-29. Juni um 21.30 h im Moviemento gespielt.
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