Ich möchte schreiend davonlaufen, …

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Zukunft, strategische Planung, Leistung, Verdienst und Erfolg – jenseits der Butterseite stehen Sackgassen, Zorn, Aggression, Scheitern. Verschiedene Institutionen beleuchten im Juni das andere Ende der Skala von win-win-Situationen aller Art. Gunda Wiesner beginnt mit einem Ausblick auf das kommende Festival der Regionen und die Juni-Ausstellung im Kunstraum Goethestrasse.

… doch treff ich immer nur mich selbst! Ich frage mich, was das diesjährige Festival der Regionen und das aktuelle Programm des Kunstraum Goe­the­strasse gemein haben? Abgesehen davon, dass ich versprochen habe, eine Seite über die Veran­staltungen zu schreiben (vom jeweils zwei-wörtrigen emotionsgeladenen und griffigen Titel und ab­gesehen von meinem eigenen Ärger: wieso ich in einem Telefonat mit der spotsZ-Redaktion mit einem „ja, sicher schreibe ich was“ geantwortet habe, anstatt etwas zu lamentieren über sonstige noch ausstehende Arbeiten und dann mit einem „leider nein, diesmal nicht“ mich entschuldigend aus der Affäre gezogen habe).

Nichts für ungut, aber nun sitze ich in einem kalten Arbeitszimmer, während die Vögel und die Kinder unterm offenen Fenster mich verhöhnen. Ja, es ist ein schreck­lich schönes Wochenende. Wäh­rend ich also zu­rück­geworfen auf mich selbst, wahlweise meinen Computer oder laut fluchend Gerd anpöble, bin ich schon umherirrende Gefangene in dem vom Kunstraum Goethestrasse gestellten Themenfeld Zorn_Aggression. Anfäng­lich halte ich mich noch für verärgert, während die Internetsuchmaschine mich mit „Das was den Ärger hervorruft, ist ein Ärgernis“ verhöhnt und mir als Ausweg „Siehe auch → Magengeschwür“ vorschlägt. Das treibt mich ins Stadium der um-sich-schlagenden Wut voran. Der Bildband „Pla­ka­te der Österreichischen Nationalbibliothek“ lan­det laut krachend auf dem Boden und schließlich schellt die Hand auf die Tischkante (am liebsten würde ich ja den Computer schlagen, habe aber gelernt, nicht den Boten zu strafen). So leid tue ich mir schon. Wü­tend auf mich selbst (das kenn ich übrigens schon aus meinen frühen Kind­heits­tagen) drehe ich mich wie eine Katze und ihr Schwanz im Kreis, wie Hans Polterauer es mit sei­ner siebentägigen Performance unter dem Titel Im Kreis gehen für das Festival der Regionen verspricht: Jetzt habe ich mein Wochenende gleich zweifach vermasselt. Martin Fritz kündigt mir in einem Email einen Fluchtweg aus meiner Miss­laune ab 23. Juni 2007 an. „Reservieren Sie einen ganzen Tag oder besser ein Wochenende, um all dem nach­zuforschen, was unser Programm künstlerisch zu­sammenführt“, empfiehlt er nicht nur mir. Das Festival der Regionen Fluchtwege und Sack­gas­sen führt heuer entlang der B 138 und der Pyhrn­autobahn in den Bezirk Kirchdorf a.d. Krems. Dort beschäftigen sich 28 Projekte mit den The­men Migration, Mobilität, Fortschritt und Rück­zug. Die im „gesegnetem“ oberösterreichischen Land ge­strandeten Trümmer eines Flüchtlings­boo­tes (Stran­det, Christoph Draeger) machen da nicht nur auf die Migrationsproblematik an den Gren­zen Europas aufmerksam, sondern thematisieren auch den Sehnsuchtsgehalt, der im Thema verborgen liegt: Wo man hin oder von wo man weg will, was man zu erreichen glaubt und was einen tatsächlich erwartet. Mit den Sackgassen nach der Flucht, mit Fremdenangst und Ausgren­zung beschäftigen sich die Fotoarbeit Zellen von Vero­nika Hofinger und Sie ... (Nika Radic) und die Furchtbaren Wege zur Endstation Konzen­tra­tions­lager Mauthausen zeigt Wolfram Kastner. Aber auch ganz persönliche Wege werden verfolgt, Expeditionen außerhalb der Norm mit Jo­hanna Kirsch und Abenteuerfahrten in die alltäg­lichen Arbeitsbedingungen der weiblichen Bevöl­kerung (mitgefahren: Nina Höchtl). Dass in Zeiten einer er­folgsorientierten Leistungsgesellschaft Irr- und Abwege nicht nur geografisch verfolgbar sind, be­weist die Show des Scheiterns in der Lan­des­gale­rie Linz, wo das „Sich-Verrennen“ als kulturelle Tech­nik verstanden wird. Das sind nur we­nige der Ausblicke, die uns die insgesamt 37 Be­tei­lig­ten geben. Von denen sich vermutlich nur Rudi Geissler wünscht: Besuchen Sie uns nicht!

Zwischenzeitig hat sich meine Laune gehoben, was wohl daran liegt, dass ich auf meinen Balkon gewechselt habe. Etwas beruhigt, weil sonnentrunken, kann ich mich nun Zorn_Aggression erneut wid­men. Der Kunstraum Goethestrasse wandelt ab 14.06. auf den Spuren der Todsünde und zeigt 8 künstlerische Positionen. Dabei widmet man sich der Aggression in ihrem alltäglichen Auf­tre­ten, also abseits von den Ausnahmezuständen der Gewalt, wie sie im Krieg oder beim Terror auftreten. Aggression als Vertreter des Destruk­tions­triebes (nach S. Freud) setzt sich zum Ziel, Einheiten zu zerstören. In diesem Sinne untersucht der Kunstraum die Affekthandlung im zwi­schenmenschlichen Zusammenleben, sozusagen in der „Crashzone“ zwischen dem Einzelnen und den Anderen. Grenzziehungen und Auswege stellt uns also das kulturelle Geschehen ab Juni. Im Übrigen plädiert Konrad Lorenz, den Aggres­sionstrieb auf ein gesellschaftlich akzeptiertes Ni­veau umzuleiten. Hierbei empfehlen sich Sport, Wissenschaft und Kunst. Dieser Erkenntnis wid­me ich meinen nun folgenden Radausflug zum nächsten See.

Kunstraum Goethestrasse: Zorn_Aggression mit Arbeiten von Miriam Bajtala, Amanda Dunsmore, Judith Hopf, Robert Hinter­leitner, Peter Leimer, Marko Mäetamm, Michael Pühringer, Stefanie Wuschitz und Janina Wegscheider. 14.06. bis 31.07.
2007, Goethestr. 22 und im Leerstand Goethestr. 33, ehemaliges Linzer Bettenhaus. www.kunstraum.at
Festival der Regionen: Fluchtwege und Sackgassen vom 23.06. bis 08.07.2007. Programm und Orte unter www.fdr.at

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06/07
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Kunstraum

Zorn und Aggression sind als Phänomene, die unsere Zeit prägen, immer deutlicher im alltäglichen Umfeld spürbar. Acht Beiträge der Ausstellung Zorn_Aggression/anger_aggression reflektieren mit unterschiedlichen Methoden die Alltagswahrnehmung – weitgehend unter Verzicht auf Ausnahmezustände der Gewalt, wie Krieg oder Terror. Der KunstRaum Goethestrasse xtd richtet in zwei Räumen das Augenmerk auf emotionale Verdichtung, unerwartete Momente und Situationen, in denen Energien in Form von Zorn und Aggression frei werden.

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