From Minimal Music to Drone

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Sons and Daughters of Minimal Music – Postminimal Noise im New York der 70er und 80er Jahre. Es hat zu dieser Zeit bereits einige Ausprägungen der Minimal Music gegeben, eine der interessantesten ist der Postminimal Noise. Diese Fortsetzung der bereits im Februar begonnenen Reihe zu Minimal Music handelt von zwei der bekanntesten Protagonisten, Rhys Chatham und Glenn Branca. Ebenso von einer gegenläufigen Bewegung von E- und U- Musik und einer Fusion von Avantgarde, Punkrock und Kunst. Das Minimal Music Universum dehnt sich aus. Über den Beginn von weitläufigen musikalischen Verzweigungen.

Rhys Chatham
geboren 1952 in Manhattan, studierte klassische Flöte und arbeitete als Cembalostimmer. Interesse an Post-serieller Musik. Ab 1968 regelmäßiger Besuch des Electric Circus, einem Treffpunkt der New Yorker Musikszene um John Cage. Dort wohnt er einem Auftritt von Terry Riley bei und bezeichnet dies später als seine erste Er­leuch­tung. Er studiert bei Pandit Pran Nath nordindische Musik. Kompositionsunterricht bei Morton Sobotnick, in dessen Studio für elektronische Musik. Dabei entstehen Stücke wie Electronic Music Study No.1/No.2 (1968) oder Facticity (1969) am Buchla Synthe­sizer, geprägt von Rück­kopplung und Lärm. Hat sich bei La Monte Young dazumals als Klavierstimmer eingeschlichen, weil er behauptete, sein Klavier klinge auf The Well Tuned Piano verstimmt und zog dann gleich in dessen Künstler­kolo­nie ein. Be­kam dort von La Monte Young inoffiziellen Unter­richt in nordindischer klassischer Musik. 1971 führte er sein legendäres Werk Two Gongs im Kitchen Club auf, dessen musikalischer Direktor er für die folgenden zwei Jahre war. In dieser Zeit widmete er sich einem Minima­lismus, der auf einem Akkord basierende Klänge über lange Zeit­intervalle gleich klingend stehen ließ, eine Art Drone-Minimalismus, zum Beispiel Dr. Drone in Concert von 1971. Zwischen 1973 und 1975 Flötist in einem Trio mit Tony Conrad und Charlemagne Palestine bzw. beim Love of Live Orchester des Saxo­phonisten Peter Gordon.
Unter dem Einfluss der sich hauptsächlich im Club CBGB formierenden New Yorker Punk-Bewegung wandte er sich 1975 Kompositionen für eine konventionelle Bandbesetzung zu, allerdings unter immer massiverem Gitarreneinsatz. Bezeichnet ein Konzert der Ramones als seine zweite Erleuchtung. Dies führt zur Gründung eines Trios mit der Gitarristin Nina Canal und Robert Appleton, The Gynecologists. Zuvor erlernt er auf einer geborgten Tele­cas­ter das Gitarrenspiel. Zu Beginn dieser Phase war er nochmalig Leiter des Kitchen Club, übrigens ein Seitenprojekt des Mercer Art Center und in ehemaligen Küchenräumlich­keiten angesiedelt. Dort trifft er auf Glenn Branca, der dort mit seiner Band Theoretical Girls auftritt. Chatham tritt gelegentlich als Bassist mit Theoretical Girl auf und nimmt Branca als dritten Gitarristen in seiner Formation auf. 1977 entsteht eine erste komplette Version (ca. 30 min) von Guitar Trio, die offen ge­stimmte Gitarren mit verschiedenen Ober­ton­reihen einsetzt. Branca verlässt die Formation kurz darauf und gründet das Trio Static, eine Band, die Song­strukturen mit auf offenen Gitarrenstimmungen basierten Minimalismus verbindet. Zwischen 1979 und 1989 entstehen Chathams wichtigste Werke für große Ensembles (siehe unten). Beteiligt waren in dieser Phase die üblichen musikalischen Verdächtigen der Lower East Side, meist Mitglieder von Sonic Youth, Mars und Swans.
Chatham übersiedelte 1988 nach Paris, weil er mit der französischen Choreographin Isabelle Marteu verheiratet war. Zunehmendes Interesse an Electronica aller Art. In den 1990ern beschäftigte er sich mit Trom­pete, Techno und TripHop, gründet mit dem Produzent und MIDI Programmierer Martin Wheeler ein Duo, das das Album Neon veröffentlicht. In dem französischen Film Pola X tauchte er als Dirigent einer Schar von Gitarristen auf, was die Schmonzette eindeutig aufwertete. 2005 wurde in Sacre Ceur am Montmatre das Werk A Grimson Grail aufgeführt, eine Komposition für 400 Gitarren. Derzeit aktiv im Minimal-Metal-Quintett Essentialist, das sich in einem zirkulärem Prozess der Inspiration von Drone Metal im Stil von Earth und Sunn O))) beeinflusst zeigt.
Werkauswahl:
Two Gongs (1971): Eine Komposition für zwei große chinesische Gongs. Chatham fand sie in einem Musik­verleih und begann damit zu experimentieren. Er entdeckte, dass mit den Gongs ähnliche Klänge zu erzeugen waren, wie mit den Synthesizern der elektronischen Musik. Grund­idee war, die Gongs in Modulation und Schwebung zu halten. Es ergaben sich verschiedene Oberton­spektren in Abhängigkeit der Schlag­stärke. Aufgeführt wurde die Komposition von Chatham mit seinem Kompositions­kol­legen Yoshimasa Wada. Two Gongs wurde von der Village Voice als „radical new kind of minimalism, that almost negates the whole idea of composition“ besprochen. Rhys Chatham sieht Two Gongs mit seinen Obertonexperimenten als Basis für seine gesamte weitere Tätigkeit, was auch die Werke mit den Gitar­ren mit einschließt.
Guitar Trio (1977): For Three Electric Guitars, Electric Base and Drums. Die verschiedenen Obertöne der Gitarren dienen als melodiöses Ausgangsmaterial für das erste Stück seines Gitarrenensembles, bei dem sich Minimal Music mit Punkrockmusik fusionierte. Glenn Branca hat hier mitgespielt.
Out-of-Tune Guitar (1979): Chatham beschäftigt sich mit dem Problem, dass sich elektrische Gitarren sehr schnell verstimmen.
Acoustic Terror (1980) und Drastic Classizism (1981): Zwei Stücke für dissonante Gitarren.
Massacre on Mac Dougal Street (1982) und Waterloo, No 2 (1986): Zwei Werke für das kleine Blasmusik­orchester und Perkussion. Laut Chatham klingt das so, als ob Philip Glass auf Marschmusik treffen würde.
Die Donnergötter (1985): Ein Werk für sechs speziell gestimmte Gitarren. Es wurde auch als Teil einer Oper von Joseph Nechvatal aufgeführt wurde.
An Angel Moves Too Fast to See (1989): Gliedert sich in fünf Teile, wird insgesamt mit 100 Gitarristen aufgeführt, in sechs Gruppen und drei Stimmungen unterteilt.

Glenn Branca
Geboren 1948 in Harrisburg beschränkte sich Glenn Brancas musikalische Ausbildung vergleichsweise auf gelegentliche Gitarrenstunden. Es kam zur Mitarbeit in einer Theatergruppe und Mitwirkung in lokalen Bands, zum Beispiel The Crystal Ship. Außerdem gründete er das Bastard Theater, für dessen Aufführungen er die meiste Musik selbst komponierte.
Angesagte New Yorker Gruppen wie die New York Dolls beeinflussten ihn, so dass er 1976 nach New York übersiedelte und sich an Theaterprojekten der Off-Off-Szene beteiligte. 1977 gründete er gemeinsam mit Jeff Lohn die Band Theo­retical Girls, die sich zuerst noch an seinen Punk-Idolen orientierte, aber bald zentraler Bestandteil der sich gerade im Aufbruch befindlichen No Wave Szene wurde. Branca bezeichnet Theoretical Girls als fünfte von zehn originären No Wave Bands. Die Gruppe veröffentlicht eine Single (U.S.Millie/You Got Me) von der sie im vereinigten Königreich dank der britischen Presse einige tausend Stück verkauften. Zu diesem Zeitpunk traf Branca auf Rhys Chatham, der ihn für sein ers­tes Gitarrenwerk Guitar Trio als dritten Gitarristen engagiert. Chathams Ver­wen­dung offener Gitarrenstimmungen scheint Branca nachhaltig inspiriert zu haben. Das führte gemeinsam mit der Gitarristin Barbara Ess und der Schlag­zeugerin Christine Hahn zur Gründung der zwar noch songorientierten, aber auch schon mit Elementen der Minimal Music arbeitenden Band The Static. The Static veröffentlichte eine Single (My Rela­tionship/Don’t Let Me Stop You) und eine in London aufgenommene Live-Kassette. Nachdem Christine Hahn nach Berlin zurückkehrt, um Malaria zu gründen, löst sich die Band auf.
Branca gründet 1979 eine sechsköpfige Gitarrenband, die im selben Jahr das Stück Ins­trumen­tal for Six Guitars beim Max’s Kansas City Easter Festival aufführt, 1980 die EP Lesson No. One/Dissonance und 1981 die LP The Ascen­sion veröffentlicht. Die LP wur­de mit vier unison eingestimmten Gitarren (So­pran, Alt, Tenor und Bariton) eingespielt. Ebenso wurde 1981 das Stück Inde­terminate Activity of Resultant Masses aufgenommen, das aber damals nicht veröffentlicht wurde. 1982 folgt Bad Smells, ein Stück für die Twyla Tharp Dance Co. An dieser Stelle soll kurz eingefügt werden, dass auch die von Philip Glass inspirierte Laurie Anderson mit der Twyla Tharp Dance Co. zusammenarbeitete. Laurie Andersons Einfluss von Minimal Music zeigte sich unter anderem deutlich in ihrer ersten Single O Superman. Zurück zu Glenn Branca: bei seinen Stücken partizipieren auch die beiden Sonic Youth Gitarristen Lee Ranaldo und Turston Moore, weiters beteiligen sich an seinen Werken Page Hamilton von Helmet und einige Mit­glie­der der Swans. Es entstehen seit den frühen 80er Jahren zehn Symphonien unter dem Einsatz selbst entwickelter und gefertigter Instrumente wie „Gitarren-Cembalos“ oder auch „Schlegel-Gitar­ren“, die es ermöglichen, einen großen Teil des Oberton-Spektrums auszuschöpfen. Dass Glenn Branca praktisch den umgekehrten Weg vom „Rock“ zur „Avant­­garde“ gegangen ist, veranschaulicht auch, dass er nach und während der Ent­stehung seiner symphonischen Gitarren­werke auch Orchester­werke schrieb, die ganz ohne Gitarren auskommen. Dazu gehören die Har­monic Series Chords von 1989 und die Symphonie No 9 (l’eve future) von 1995.
Glenn Brancas Gitarren-Symphonien zeichnen sich laut Eigenaussage da­durch aus, dass sie „riesige Massen von Klang bearbeiten, die wie bei einer Skulp­tur gestaltet werden“. Die Klang­skulpturen formen sich durch Lärm, Struktur, Klangflächen und Oberton­ge­bilde. Letztere lösen angeblich beim Zuhörer vereinzelt vor allem live Hörerlebnisse aus, die nicht gespielte Töne oder sogar Instrumente hörbar werden lassen. Obwohl Glenn Branca findet, dass seine Symphonien „ein Gefühl von Schönheit und Erhabenheit“ vermitteln, wurde zum Beispiel von John Cage Gegenteiliges behauptet: Er bezeichnet 1982 bei Chicagoer New Music Festival Brancas Musik als „faschistisch und vom Bösen be­einflusst“. Für Brancas Behauptung sprechen jedoch die Untertitel seiner ersten drei Symphonien: Tonal Plexus, The Peak of the Sacred, Gloria. In größeren Zeitabständen entstehen weitere Symphonien, kürzlich wurde die 14. aufgeführt.

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