Das Scheitern an der Lebensgeschichte

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Die Aufmerksamkeit gegenüber dem Gescheiterten wächst, gescheiterte Projekte sind gescheite Projekte. Geht’s um die Aktualität des Scheiterns, wird meist auch das Scheitern als „das große moderne Tabu“ zitiert, so auch jetzt von der Landesgalerie im Vorfeld zur Ausstellung „Scheitern“, die im Juni stattfindet. Das Zitat stammt von Richard Sennett aus seinem bereits 1998 erschienen Buch „Der flexible Mensch“.

Für Harald Szeemann war das Scheitern „die poetische Dimension in der Kunst“. Das mag die Rol­le des Künstlers betreffen, der an der Spitze einer Avantgardebewegung und als „Topos der Moder­ne“ mitunter an der Gegenwart scheitert. Ande­rer­seits betrifft die poetische Dimension des Schei­terns auch einen Mythos der Kunst an sich, künst­lerische Inhalte darzustellen, die an einer Übermacht des Realen scheitern oder an der Ver­messenheit der eigenen Idee. Manches Mal wird der Gestus einer unternehmerischen Risiko­be­reit­schaft bis in die Absurdität hinein karikiert oder übersteigert, was nicht in Erfolg, sondern in heiterer Befreiung oder auch in Wahnsinn enden kann. Denkt man beispielhaft an Alexis Sorbas und das fröhliche Zusammenkrachen der mühsam errichteten Transportrutsche am Ende des Filmes oder an den Wahnsinn im Film Fitz­carral­do, ein Schiff durch den Urwald zu schleppen, dann kann man innerhalb dieser doch sehr unterschiedlichen Filme dem Scheitern eine befreiende Kraft zuschreiben, die quasi geradezu als My­thos eine Läuterung darstellt. Als negative Er­zäh­lung ihrer nicht gelungenen Erfolgsgeschichte stellt das Scheitern die ursprünglich angestrebte Idee in Frage oder das System oder ebenso die mit­unter zweifelhaften unternehmerischen Cha­raktere der Protagonisten.

So weit, so gut, kann man wohl feststellen, dass das Scheitern im realen Leben wohl zu keiner Zeit ein besonders erstrebenswertes Ziel war, wenn­­gleich das Scheitern zu neuer Aktualität ge­kommen sein mag, bzw. sogar ein gewisses Flair erlangt hat. Bereits im Dezember des vergangenen Jahres recherchierten Mitglieder der Redak­tion anlässlich einer Veranstaltungsreihe im Wie­ner Aktionsradius Augarten über das Scheitern („Friedhof der gescheiterten Projekte“). Grund­te­nor der Veranstaltung war, gescheiterte Projekte als gescheite Projekte zu bezeichnen. Diese falsche etymologische Herleitung des Wortes stellte gewissermaßen einen „rechtmäßigen“ Ausweg dar, das Schicksal des unverdienten Scheiterns guter Projekte in etwas individuell Positiveres umzuwerten. Ergebnisse der weiteren Recherche wa­ren unter anderem der „Club der polnischen Ver­sager“ oder die „Show des Scheiterns“, beides Ber­liner Phänomene, die das Scheitern in einer abgefahrenen Mischung aus Ernst und Show präsentieren. Außerdem tauchten im Internet einige Such­ergebnisse auf, die dem Scheitern eine amüsante, urbane Note beifügten (Werbeagenturchic) oder Internetseiten, die einem allgemein gut zu spürendem Gefühl ehrlichen Ausdruck geben wollten. Nicht zuletzt wurde immer wieder das Schei­tern als „das große Tabu der Moderne“ zitiert, was in Person des Kultursoziologen Richard Sen­nett einen wissenschaftlich fundierten Hinter­grund belegt, der aber (wie ich glaube), gar nicht unbedingt notwendigerweise immer genau ge­kannt sein muss. Um die volle Dimension des „gro­ßen modernen Tabu“ zu verstehen, ist eine wei­tere Lektüre zwar unbedingt empfehlenswert, in Eingängigkeit und Dramatik allerdings wird die Aussage aufgrund der Lebenserfahrung des modernen Menschen aber vermutlich ohnehin so­fort verstanden. Christoph Schlingensief formu­lierte wahrscheinlich genau in dieser Mischung aus sofortigem Verständnis, Aktualität, Amüse­ment, Ohnmacht und Todernst des umfassenden „Scheitern-Gefühls“ den breitenwirksamen Slo­gan „Scheitern als Chance“. Die verzweifelte Kampf­parole appelliert in ihrem Kunstaktivismus wohl kaum an den schöngeistigen Kunstsinn oder an eine unternehmerische Risikobereitschaft, die Er­folg verspricht. Scheitern scheint vielmehr zu einer ewigen Chance geworden zu sein, zu einer ausweglosen Ästhetik innerhalb vieler anderen ausweglosen Ästhetiken. So gesehen kann „Schei­tern als Chance“ gleichermaßen als Lebens­hilfe­parole, als Kampf- und Trostprogramm für eine brei­te Bevölkerungsschicht gesehen werden, die in ständigem Risiko von materiellen oder im­ma­te­riellen Verlust zu leben gezwungen ist.

Wo kommt nun die Thematisierung der neuen Auf­merksamkeit am Scheitern her? Nicht nur nach Sennett sind der neue Kapitalismus und der um­fassende soziale Wandel der Institutionen für vielerlei negative Entwicklungen verantwortlich. Die Argumentation mit Flexibilisierung, Fragmen­tie­rung und Beschleunigung ist zwar nicht mehr ganz neu, dafür in den alltäglichen Lebens­rea­litä­ten umso aktueller. Bereits 1998 behandelt Sen­nett in seinem Buch „Der flexible Mensch“ (Origi­nal: „The Corrosion of Character“) die weitläufigen Auswirkungen des neuen flexiblen Kapitalis­mus. Die Zeitdimension dieses neuen Kapitalis­mus begünstigt eine Dominanz kurzfristiger, relativ schwacher Bindungen und erzeugt die Leit­sät­ze: In Bewegung bleiben, keine Bindungen eingehen, keine Opfer bringen. Die Zeit driftet von Ort zu Ort, von Tätigkeit zu Tätigkeit, Stellen werden durch Projekte und Arbeitsfelder ersetzt. Durch Flexibilisierung und Fragmentierung werden ethi­sche Wertvorstellungen wie Loyalität, Verantwor­tungsbewusstsein oder Arbeitsethos ausgehöhlt. Folge ist ein polarer Gegensatz des Driftens und des Verlustes von erfahrbaren, festen Charakter­ei­genschaften – Orientierungslosigkeit und ein neu­er Kulturkonservativismus entstehen aus dem Verlust von erlebten Bindungen und jedweder lang­fristigen Orientierung. Die Angst, die innere Sicherheit für das eigene Leben zu verlieren, ist somit in die eigene Arbeitsgeschichte und in den eigenen Lebensstil eingebaut. Darüber hinaus sind Arbeitsplatz, Sozialstaat und Gemeinschaftsleben als Bezugsrahmen einem immer rascheren Wan­del unterworfen, Ursachen lassen sich kaum noch Wirkungen zuordnen, Absichten und Vorha­ben verlieren sich in einem Netz von unwägbarem Ri­siko und Zufälligkeiten, über die Einzelne und Gruppen immer weniger Kontrolle haben. Ins­ge­samt vermag das institutionelle Leben kei­ne Si­cherheiten mehr zu leisten, es vermag auch nicht mehr als Erzählrahmen dienen, als eine Ge­schich­te, in der Menschen eine signifikante, aktive Rol­le spielen: Die flexible Welt taugt nicht mehr für eine identitäts- und sinnstiftende Narration über das eigene Leben, ein dramatischer Verlust, der in einem kollektiven Unbehagen mündet, an der eigenen Lebensgeschichte gescheitert zu sein.

Ein Dilemma ist, dass das flexible System langfristig große soziale Ungleichheiten produziert und ein­en Charakter hervorbringt, der sich ständig in Erholung befindet, praktisch der Wirtschaft passiv ausgeliefert. Das produziert auf lange Sicht nicht Zorn, sondern Lethargie. Das besondere Di­lemma ist auch, dass sich im Falle des Scheiterns Menschen allzu leicht in eine Opferrolle eines über­mächtigen Regimes gedrängt sehen. So berechtigt das auch innerhalb eines flüssig da­hin­driftenden Systems ist, entwertet die Opfer­rol­le jedoch die eigenen Fähigkeiten und macht passiv. Auch jenseits von materieller Notversorgung (soziale Abfederung) können sich diverse „Trost-Institutionen“ der Betroffenen leicht annehmen. Das Problem des systemimmanenten Drifts bleibt jedoch trotz Trost bestehen: Sennett stellt in einem anderen Buch, in „Respekt im Zeitalter der Ungleichheit“ (2002) die Frage, ob eine derartig große soziale Ungleichheit, ja Ungerechtigkeit, Res­pekt überhaupt noch zulässt – und auch die Achtung vor dem Anderen, vor allem vor den Ge­scheiterten.“ Er selbst sieht in einer Gesellschaft, die die langfristigen Bedürfnisse ihrer Mitglieder derartig unterminiert, keine Zukunft. Das Schei­tern hat jedenfalls viele Gesichter bekommen. Wir sind gespannt, welche Positionen die Kunst vorzustellen vermag, ob sie imstande ist, Posi­ti­o­nen zu vertreten, die das Tabu des Scheiterns auf eine tiefer greifende Weise zu thematisieren im­stande ist und die Resignation, die auch diversen Show-Formaten innewohnt, auf eine aktive Weise zu durchbrechen vermag.

Ausstellung „Scheitern“, Landesgalerie ab 21. Juni
Erfolgsorientierung und die optimale Nutzung von Lebens­chancen prägten lange Zeit das Bild der Leistungsgesell­schaft. Scheitern war darin nicht vorgesehen. Die Aus­stel­lung wird 10 bis 15 Positionen zeitgenössischer Kunst zu­sammenführen, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema „Scheitern“ auseinandersetzen. Das inhaltliche Spektrum wird von psychologischen Aspekten wie dem Umgang mit individuellem Scheitern und Versagens­ängsten über gesellschaftspolitische Problemstellungen bis hin zu (selbst)ironischen Interpretationen des Schei­terns reichen. Außerdem wird es am 27. Juni eine „Show des Scheiterns“ geben.
Informationen unter www.landesgalerie.at.

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06/07
FotoautorInnen: 
Anna Jermolaewa

Gegen das Dahintreiben braucht es heutzutage vermehrt starke Kontrolle, weil es kaum noch um starke Charaktere gehen kann. Gescheitert? Futuredummies landen in Seichtzonen. Eine mögliche Interpretation des (Video-)Bildes „go…go…go…“ von Anna Jermolaewa, einer Teilnehmerin der Ausstellung „Scheitern“ im Juni in der Landesgalerie.

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