Aus der Ferne – In Sarajewo

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Linz könnte, wenn es nach mir ginge, ein bisschen wie Sarajevo werden. Oder zumindest flugplanmäßig ein bisschen wie Ljubljana.

Von Ljubljana aus kann man praktisch in die ganze Welt fliegen – nur nicht nach Linz. Von Linz aus kann man eigentlich nirgendwo hinfliegen, auch nicht nach Ljubljana und schon gar nicht nach Sa­ra­jevo. Da ich des Öfteren und verdammt gerne in Sarajevo bin, mache ich mir natürlich Gedanken da­rüber, woran das liegen könnte und ich meine, es liegt ganz einfach daran, dass in Sarajevo alles ziem­lich ganz anders ist als in Linz.
Die Menschen dort verhalten sich zum Beispiel extrem unökonomisch, was die Wirtschaftlichkeit von Hotels betrifft. Nach einem Sarajevo-Besuch hat man schon wieder drei Übernachtungs-, Wohn- und Verköstigungsadressen für den nächsten Besuch in der Hand und im Herzen und wenn man doch mal ein Hotelzimmer gebucht bekommen hat, dann braucht es keiner, weil die ganze Nacht ge­redet und getanzt wird (Wer sich allerdings beruflich und mit Sarajevo-unerfahrenen Kamera­män­nern dorthin begibt, der sollte höllisch auf diese aufpassen und sie früh zu Bett schicken ...).
Völlig anders ist auch der Umgang mit Fremden allgemein: Menschen in Sarajevo freuen sich ziemlich, wenn Menschen etwa aus Österreich kommen, um mit ihnen zu reden, zu essen und zu tanzen. Sie selbst nämlich werden im Gegenzug zu dieser ungefragten Gastfreundschaft von österreichischen Behörden als so verdammt gefährlich und bandenmäßig-räuberisch eingestuft, dass auch die netteste Familie kein Touristenvisum bekommt.
Etwas irritierend ist auch der Umstand, dass praktisch alle Einwohner Sarajevos gleich mehrere Fremd­sprachen beherrschen. Ob im Taxi oder im Restaurant, nirgends kann man sich unbeobachtet in deutsch oder englisch unterhalten – immer wird man verstanden, des Öfteren auch angesprochen, mit einem Interesse und einer Freundlichkeit in der Stimme, die einer gelernten Linzerin schon mal die Paranoia auf die Stirn treiben könnte.
Ein wenig stressig könnte es auch werden, will man sich wichtig machen, Sarajevo ist nämlich ziemlich gebildet, ständig stößt man auf Künstler, Filmemacher, Studenten und will man mal in Ruhe einen Kaffee trinken gehen, dann sitzt man – zumindest im Zentrum – sicherlich vor, neben oder hinter irgendeinem architektonisch, religiös oder anderwärtig kulturell wertvollen Gebäude, und irgendein gebildeter und freundlicher Kellner macht einen darauf aufmerksam.
Der größte Unterschied zu Linz liegt aber wahrscheinlich ganz einfach darin, dass Sarajevo bereits europäische Kulturhauptstadt ist – immer, jedes Jahr und ganz ohne offiziellen Titel. Europa allerdings will von Sarajevo und Bosnien-Herzegovina so rein gar nichts wissen – außer natürlich banktechnisch. Schon am Flughafen springt einem das gelbe Schild mit den gekreuzten Gummistiefeln (ist nicht von mir, bei dieser Gelegenheit eines großes Dankeschön dem, der dieses Bild mal geprägt hat ...) ins Auge und verführt zum Abheben von bosnischen Konvertierungs-Mark. Kann allerdings ein großer Fehler sein – wer das nämlich tut und nicht soviel ausgibt, was gut sein kann, siehe dazu Punkt „Gastfreundschaft“ – der wird spätestens wieder zurück in Linz in einer Filiale der Bank mit den gekreuzten Gummistiefeln, die so gerne Geschäfte in Sarajevo macht, dahingehend belehrt, dass man nicht etwa – wie man hätte meinen können – im Herzen und in der Seele Europas zu Gast war, sondern in einem Land, das zwar nicht so weit weg von Europa ist, dass man nicht tolle Geschäfte mit Banken und geldabhebewütigen Menschen machen könnte, aber doch so weit, dass man die dort abgehobenen Scheine nicht mehr und auf keinen Fall in Österreich zurückwechseln kann – und die Scheine in meinen Händen eher Spielgeld ähneln als einer Währung, mit der man als österreichische Bank etwas zu tun haben möchte. Davor, dass ich jetzt mit den gar nicht so wenigen Konvertierungs-Mark die Kinder beim DKT Spiel betrügen muss, hat mich der Direktor des bosnischen Staatsfernsehen bewahrt. Der hat mir ein Praktikumsmonat angeboten, das ich mit Freude angenommen habe. Der bosnische Wrabetz ist im Erst- und Hauptberuf Filmregisseur. Warum auch immer, in Bosnien-Herzegowina allgemein und in Städten wie Sarajevo oder Zenica im Speziellen hat man nach dem Krieg ziemlich viele Künstler und Künstlerinnen zu Politikern, Politikerinnen, Direk­toren und Direktorinnen gemacht – auch was sehr Feines, was einem noch mal und mit Nachdruck die folgenden Wünsche über die Lippen treibt: Ein bisschen mehr Sarajevo und ein bisschen weniger aufgezwungene, verklemmte europäische Kulturhauptstadthysterie und vor allem: ein Direktflug Linz-Sarajevo und Touristenvisa für alle Menschen aus Bosnien-Herzegovina, die – gesegnet mit einer großartigen Hauptstadt – im Jahr 2009 einfach mal sehen wollen, was Linz als europäische Kulturhauptstadt so alles kann.

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