Markierungen und andere Gedanken
„Wenn wir einmal der EU beitreten sollten, müssen Sie sich nicht vor einer Invasion fürchten. Wir sind schon da.“ So der stellvertretende moldawische Außenminister bei einer im Mai stattgefundenen Tagung in Salzburg: „Migration – Integration. Perspektiven für eine Europäische Integrationspolitik“ mit Hinblick darauf, dass bereits eine beträchtlliche Anzahl an legal und illegal eingewanderten Menschen in EU-Ländern lebt.
Unter dem Titel „Markierungen – Gespräche zur kulturellen Vielfalt“ fand heuer in Linz zum zweiten Mal eine vorwiegende politisch und universitär besetzte Tagung statt. Gunther Trübswasser, Mitorganisator, fasst zusammen: „So unterschiedlich der Begriff ‚Integration‘ verstanden oder gelegentlich missverstanden wird, so deutlich ist bei den ‚Markierungen 07‘ zu Tage getreten, dass die verlässlichste Grundlage für ein respektvolles Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen immer noch die Beachtung der Menschenrechte ist. Sie garantieren die individuellen Freiheiten und die Partizipation des Individuums an der Gesellschaft, setzen aber dort Grenzen, wo es um Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Demokratie oder die Achtung der Rechte der Einzelnen geht. Menschenrechte gelten in beide Richtungen und sind weder unteilbar noch unveräußerbar. Würden wir dies als Grundlage für eine offene Gesellschaft anerkennen, könnten wir uns manche unnütze ‚Kopftuch- und Islamdebatte‘ ersparen.“
Mit der Thematik „Migration und Arbeitsmarkt“ beschäftigt sich eine Anfang Juni in Linz stattfindende Tagung. Hauptthematik sind die aus der Praxis bekannten und zunehmends absurden Behandlungsweisen von (mitunter hochqualifizierten) ausländischen Arbeitskräften im österreichischen Arbeitsmarktförderungssystem, wie bespielsweise „Umschulungen“ von AkademikerInnen in verschiedensten Bereichen der Handhabung von Computeranwendungsprogrammen kurz vor der Vermittlung in Reinigungsfirmen, unter denen zwar ÖsterreicherInnen auch zu leiden haben, die aber MigrantInnen zumeist noch schneller treffen.
Rainer Münz, der sich im Bereich der Migrationsforschung seit langem einen Namen gemacht hat, stellt fest, dass alternde und schrumpfende Gesellschaften auf Zuwanderung angewiesen sind, denn ohne Migration gäbe es in 40 Jahren in der EU um 88 Millionen weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter und somit einen Mangel an Arbeitskräften.
Womit sich die Katze in den Schwanz beisst: Denn ohne die, die vielerorts als die, „die wir nicht haben wollen“, bezeichnet werden, können wir offenbar auf Dauer auch nicht sein.
Womit wir wieder an die „Gastarbeiterpolitik“ der 60er und 70er Jahre erinnert werden, als arbeitsfähige Menschen aus anderen Ländern (vorw. Jugoslawien, Türkei) bewusst in Länderabkommen mit Spanien, der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich geholt wurden. Obwohl: Irgendeinen Unterschied gibt es doch, denn GastarbeiterInnen in den 60er Jahren und darauf waren politisch jedenfalls gewollt und wurden weder aus Solidarität noch aus Angstgefühlen von verschiedensten Teilen der Gesellschaft bis hin zu den Medien im jetzigen Ausmaß wahrgenommen.
Woher kommt sie nun, die immer wiederkehrende Diskussion über Aspekte der Vor- und Nachteile der Zuwanderung? Die Diskussion um die Ängste der MehrheitsösterreicherInnen, die ohnehin keiner wirklich begründen kann? Wir wissen mittlerweile darum und können doch – abseits von selbstbefreienden Erklärungen über derbe, unter der Gürtellinie laufenden Wahlkampfparolen der FPÖ nicht wirklich erklären, was das Unbehagen insgesamt ausmacht. Auch in sogenannten aufgeklärten Kreisen wird mehr über Sinn und Nichtsinn der Notwendigkeit der Quoteneinschränkung und des Abschließens der Grenzen im europäischen Tenor diskutiert, als über die Lebensbedingungen der Menschen, die (großteils aus anderen Gebieten als aus Moldawien) „ohnehin schon hier“ sind.
Vielleicht ist es eine Spur, zu wissen, dass wenn da gesamteuropäisch etwas passiert, was außerhalb unserer Kontrolle verläuft (oder jener der PolitikerInnen, denen zwar nicht vertraut wird, aber die es trotzdem richten sollen), grundsätzlich Angst macht. Vielleicht ist es auch eine Vermutung, dass, obwohl man denen, die es richten sollen, – begündeterweise – nicht vertraut, deren Angst manchesmal mit der eigenen Angst vertauscht wird. Vielleicht ist es aber auch bloß nun nicht mehr zu übersehen, dass das, was an Diskriminierungen und menschenunwürdiger Behandlung gegenüber MigrantInnen und noch mehr gegenüber AsylwerberInnen nunmehr immer mehr in die Öffentlichkeit gerät, einfach ein schlechtes Gewissen macht.
Nachdem in den vergangenen Jahren viele unsinnige Schlagzeilen in nicht nur den rechtslastigen Medien zu lesen waren, hat sich in jüngster Zeit die mediale Berichterstattung in eine andere Richtung gekehrt. Selbst der letzte Trottel hat schon bemerkt, dass es keinerlei Sinn macht, aufgrund eines geänderten Fremdengesetzes (das schon vielerlei Novellen hinter sich hat) sogenannte „integrierte MigrantInnen“ plötzlich rauszuschmeissen und „Familien“ – des Österreichers und der ÖsterreicherIn angeblich höchster Grundwert – auseinanderzureissen. NachbarInneninitiativen aus den Gemeinden engagieren sich (und das ist gut so). Das Unbehagen hat einen konkreten Anlassfall gefunden, der für viele verständlich ist.
Noch nicht ganz so verständlich ist es, dass MigrantInnen in einem Land, dessen PolitikerInnen über ihre Arbeits- und Lebenschancen bestimmen, ein aktives und passives Wahlrecht fordern oder dass sie einen gleichberechtigten Zugang zu Sozial- und Bildungsleistungen einfordern, in einem Land, dessen Steuertopf unter anderem durch ihre Sozialabgaben gefüllt wird. Oder etwa gar, dass alle Menschen, die aus einem anderen Land geflohen sind, weil sie dort nicht mehr leben konnten, ein bedingungsloses Grundrecht auf Schutz und adäquate Lebensbedingungen haben, ohne erst ihre Anständigkeit und ihre Arbeitswilligkeit (die AsylwerberInnen erst gar nicht beweisen können, weil sie keine Arbeitsbewilligung erhalten) sowie ihren Kosten-Nutzen-Faktor für das österreichische Wohlfahrtssystem unter Beweis stellen zu müssen.
Thomas Maurer stellt in seinem aktuellen Kabarett fest, dass mittlerweile an der Festung EU jährlich 18 mal mehr Menschen gestorben sind als an der Berliner Mauer.
Man könnte den Eindruck haben, ein Rest der Festung Österreich versucht ihren Platz in der Festung EU zu finden und vergisst dabei möglicherweise darauf, dass die Bedingungen und daraus resultierenden Handlungsweisen aller Menschen, die hier leben, ob legal oder illegal, ob unter guten oder unter schlechten Bedingungen ausschlaggebend dafür sind, wie die Bedingungen für alle sind.
Noch viele Tagungen und Diskussionen und Aufklärungsarbeit werden folgen (müssen), nicht nur angesichts der Tatsache, dass bereits seit langem eine Fremden- und Asylpolitik in die verkehrte Richtung geht, sondern auch deshalb, weil das Wegschaun vor den Problemen, die eine derartige Politik geschaffen hat, einfach nicht mehr funktioniert.
Informationen über die Tagungen und ihre Ergebnisse unter
www.markierungen.at, www.migration.at
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