Musik für Hand, Mund und Herz

Zum 21. Mal findet in Wels das „Music Unlimited“-Festival des Kulturverein Waschaecht statt. Carla Kihlstedt, Kuratorin des Festivals, umreißt ihre musikalische Annäherung an das Programm so: „schließlich ist alles, was um uns existiert, kaum mehr als einfache erweiterung der fundamentalsten werkzeuge, die dem menschen zur verfügung stehen: unserer hände und unseres mundes.“

Was im Dezember 1987 seinen erfolgreichen Ausgang fand, lässt mittlerwei­le viele Klangsüchtige aus aller Damen und Herren Länder den Eingang zum Welser Schlachthof finden. Zum 21. Mal findet das „Music Unlimited“-Festi­val des Kulturverein Waschaecht statt, jährlich und immer im Novem­ber. Wie der Name des Festivals klar indiziert, ist sein programmatisches Becken ein breites und nach vielen Seiten offenes. Improvisierte wie komponierte Mu­sik aus den unterschiedlichsten Klanggefilden finden bei Unli­mi­ted ein un­verkrampftes Neben – und Miteinander. Bald hat es sich auch eingespielt, dass man ein Jahr selbst kuratiert, um im nächsten Jahr eine(n) geschätzte(n) Mu­si­kerIn ums Programmmachen zu bitten. Larry Ochs, The Ex, Fred Frith, Pe­ter Hollinger und andere Klangmeister ließen sich dazu nicht lange bitten.

Heuer gibt es vom 9.-11. November beim Unlimited 21 „Music for Hands and Mouths“ zu hören. Taufpatin und Kuratorin dieses Festivals ist die amerika­ni­sche Geigerin, Sängerin und Komponistin Carla Kihlstedt. 2004 wurden die Waschaechten durch Larry Ochs auf sie gestoßen. Schnell hat Kihlstedt sich in unterschiedlich klingenden Aggregatzuständen in die Herzen des Wel­ser Publikums gespielt. Was zur logischen Konsequenz hatte, dass man sie um ein unbegrenztes Programm für das Festival, das vom unbedingten Willen zuzuhören bestimmt sein will, bat.

Kihlstedt ist, was man landläufig eine typische Amerikanerin nennt: Italie­ni­scher Vorname, schwedischer Nachname und Wurzeln, die von Ungarn und Skandinavien über Polen bis in die Schweiz reichen. Durch ihre ungarische Großtante Elsie, die selbst professionelle Geigerin war, kam sie mit fünf Jahren zur Geige. Von da an bis zu ihrem 22. Lebensjahr war sie hauptsächlich mit klassischer Musik und einem intensiven Geigenstudium, an Eli­teinstituten wie dem Peabody oder dem Oberlin Conservatory, beschäftigt. Bela Bartok war ihr musikalischer Kindheitsheld. Beethovens eminentes Vio­linkonzert hat Carla mittlerweile nicht nur hinter sich gelassen, sondern eben auch mit Orchester und eigenen Kadenzen gespielt. Wenn auch das Bedürfnis, ihre klassische Ausbildung mit breiter gestreuten musikalischen Ausdrucksformen zu verbinden, sehr früh zu Bemerken war: „Ich er­in­nere mich, dass ich in der neunten oder zehnten Klasse [die Perfor­mance­künst­le­rin und Geigerin] Laurie Anderson für mich entdeckt habe, und dass sich dadurch meine Welt verändert hat. Sie hatte eine Art, unmittelbar mit Ide­en umzugehen, von der ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass sie er­laubt sei. Anderson und viele andere Inspirationsquellen wie das Kronos Quartett stellten meine Vorstellung davon, was Musik und Kunst sein können, auf den Kopf.“

Heute tanzt Carla Kihlstedt auf vielen Klanghochzeiten, ist eine höchst ausstrahlende Klangverursacherin in der experimentellen amerikanischen Mu­sik­szene, die auch auf den europäischen Musikbühnen eine gefragte Pro­ta­gonistin geworden ist. „Carla Kihlstedt definiert die Rolle des Geigenspiels in der zeitgenössischen Musikszene neu.“, attestiert das Strings Magazine. Die Geige scheint ihr dabei hochvirtuos bedientes Katapult in alle Rich­tun­gen zu sein, in der Art einer behänden Sprengmeisterin künstlerischer Gren­zen, die nie nur die Sprengung selbst im Sinn hat. Der Fokus liegt dabei we­ni­ger auf der Konstruktion einer bestimmten Imagebildung als auf der künstlerischen Weiterentwicklung, des verschiedenartigen Zusammen­klin­gens und des Expandierens der spielerischen Fähigkeiten. Ob im Kam­mer­jazz Ensemble „Tin Hat“, der apokalyptischen Art-Goth Metal Band „Sleepy­time Gorilla Museum“, der Art-song Formation „2 foot yard“ oder dem „in­dus­trial“ Rockkollektiv „Book of knots“, Kihlstedt bewegt sich in diesen Aus­drucksfeldern wie ein Chamäleon mit höchsten Anpassungsfähigkeiten, wenn auch immer klar sicht – und vor allem hörbar. Aber dem nicht genug: Sie schrieb Soundtracks, Musiken für ihre Bands, Werke für Tanz – und The­a­teraufführungen und wirkte bei mehr als 25 Aufnahmen mit, darunter etwa Tom Waits’ „Alice“ (2002). Musikgrößen wie Fred Frith, John Zorn, Zeena Parkins, das Rova Saxophone Quartet, Erik Friedländer, Bob Ostertag oder Lisa Bielawa waren und sind ihre Partner. Bielawas zartfragile Aus­drucksvulkane, die „Kafka songs“, brachte sie beim letztjährigen Unlimited zum Ausbruch: Singend und gleichzeitig geigend lotete sie die hochkomplexe wie gefühlsabgründige Partitur vollendet aus und bescherte damit un­ver­gessliche Klangberührungszeiten. Die singende Komponisten Lisa Biela­wa, eine der jungen Exponentinnenn zeitgenössischer, amerikanischer Mu­sik, hat sie auch zum heurigen Unlimited eingeladen. Carlas jüngstes Pro­jekt ist eine Zusammenarbeit mit dem Theaterleiter Paul Bargetto (East Ri­ver Commedia) und dem Dichter Rafael Oses, das den Titel „necessary monsters“ trägt. – Ein Liederzyklus, der auf Texten des Buches „the book of ima­gi­nery beings“ von Jorge Luis Borges basiert. Im klassischen Bereich wird sie im kommenden Jahr Werke von Jorge Lidermans und eben Lisa Bielawas Doppelviolinkonzert mit den Boston Modern Orchestra Project uraufführen.

Bei ihrem Unlimited Programm gibt es keine ästhetischen Einschrän­kun­gen, die vorschreiben, was hierher gehört und was nicht. Es wurde be­stimmt von einer tiefen Verbundenheit zu unabhängiger Musik, die aus einem bestimmten Bewusstsein entstanden ist. „obwohl ich über viele themen und den ro­ten faden, die dem diesjährigen festival zugrunde liegen, nachgedacht habe, blieb es für mich am wichtigsten, eine möglichst große bandbreite an mu­sik­formen auf die bühne zu bringen und diese für uns alle erlebbar zu ma­chen. was sie vereint, ist die einfache geste, ein instrument zur hand zu nehmen oder sich an ein instrument zu setzen oder den mund zu öffnen, und das aus einer bestimmten absicht, mit einer bestimmten eindringlichkeit zu tun und den mut zu haben, seine eigenen sprachen und innenwelten darzulegen. schließlich ist alles, was um uns existiert, kaum mehr als einfache erweiterung der fundamentalsten werk­zeuge, die dem menschen zur verfügung stehen: unserer hände und unseres mundes.“, schreibt Kihlstedt in ih­rer programmatischen An­näherung. Der Bogen spannt sich von so unterschiedlichen Himmelsrichtungen wie zärtlich sinn­licher Kammermusik mit dem Bob Goldberg Quin­tet, Experimentellen mit „The Violet Quartet“, eth­nisch Angehauchtes mit Bolivar Zoar, mystische Fabelwelten mit Faun Fab­les … bis hin zu der Me­tall-Apokalypse mit dem Sleepytime Gorilla Mu­seum. 19 Konzerte in drei Tagen werden ein wahr­lich unbegrenztes Klangver­gnü­gen bereiten!

unlimited 21: music for hands and mouths, curated by carla kihlstedt
09.-11.11.2007 im Schlachthof Wels
mit john butcher & gino robair, the violet quartet, ben goldberg, bolivar zoar, ron anderson & the molecules/john shiurba, thomas scandura, lisa bielawa, comedies for the young, ellery eskelin with andrea parkins & jim black, marina rosenfeld & christof kurzmann, larry ochs sax & drumming core & guests, faun fables, secret chiefs 3, good for cows, wu fei, trio braam/de joode/vatcher, carla bozulich & evangelista, terrie ex & moe! staiano und sleepytime gorilla museum.
www.musicunlimited.at

Kulturverein Waschaecht
Im soziokulturellen Biotop des Welser Kulturgeländes Al­ter Schlachthof ist der Kulturverein Waschaecht einer der Hauptmotoren und somit auch ein wichtiger Kultur­träger der Stadt. 1981 als Welser Kulturinitiative gegründet, er­folgte 1993 die Umbenennung in Waschaecht. Um die 40 Konzerte veranstaltet der Kulturverein übers Jahr, die quer durch den klingenden Gemüsegarten führen, wobei man sich auch dem Kabarett oder anderen Kunstformen verschließt. Die Veranstaltungen finden haupt­sächlich aber nicht nur im Schlachthof statt. Mit höchsten Ansprüchen kuratiert die Welser Autorin Adel­heid Dahimene seit ei­nem Jahr auch eine feine Litera­turschiene namens „Expe­ri­ment Literatur“, bei der man spannenden Autoren und ihren Werken begegnen kann. Zum 21. Mal findet am zwei­ten November­wochen­ende das „Unlimited“-Festival, das in der weltweiten Musik­ge­meinde hohes Anse­hen ge­nießt und jährliche viele Musiker und Zuhörer aus der ganzen Welt nach Wels lockt. Für ihre nachhaltige und konse­quente Kulturar­beit bekommt Waschaecht heuer den Lan­des­kulturpreis für Initiative Kulturarbeit. Wolfgang Was­ser­bauer und Peter Neuhauser freuen sich über den Preis und sehen es als Anerkennung für jahrzehntelange Qua­litätsarbeit in der freien Kulturszene. Ihr Credo ist die Ge­staltung des eigenen Lebensraums selbst in die Hand zu nehmen und damit bunter zu machen: „Wir sind die Stadt, in dem wir mitgestalten!“ Die Herausforderung dabei ist, den Spagat zwischen den Alterstufen und Bedürf­nis­sen immer wieder neu zu wagen und zu schaffen. Man will auch etwas von „südländischer Leichtigkeit“ in die Stadt bringen, mithelfen, dass man offener aufeinander zugeht und dabei Berührungsängste verliert. Höhe­punk­te gab es viele. Risiko scheuten sie nie, wenn sie davon überzeugt waren. Wichtig ist und war ihnen immer lokalen Potential Raum, Förderung und Netzwerk zu bieten.

„kultur ist ein grundlegendes lebensmittel jeder offenen und toleranten gesellschaft. die schaffung eines klimas, in dem auseinandersetzung, begegnung und kreativität ge­fördert werden, ist ein hauptanliegen unseres kulturvereins. lebendige und lebhafte auseinandersetzung soll ei­ner bloss konsumorientierten freizeitgestaltung entge­gen­wirken.“, kann man im kulturellen Positionspapier von Waschaecht lesen.

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11/07
FotoautorInnen: 
Rya Kihlstedt

Sleepytime Gorilla Museum

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