Linzer Märchen!

Es war einmal … Das alte Sprichwort der Linzer „An der Blumau hört Linz auf!“ sollte endgültig zum Mär­chen werden. Die Stadtväter hatten sich ein Herz ge­nommen und gingen mit der gloriosen Idee schwanger, Linz nicht an der Blumau, dem Volksgarten oder der Westbahnstrecke aufhören zu lassen, sondern frühestens bei der Herz-Jesu-Kirche. Der Plan war, die Wie­ner Straße als Ver­län­gerung der Landstraße zu etablie­ren. Eine städ­tebaulich interessante Flaniermeile sollte ent­stehen, aus einem von Linz weitgehend abgeschotteten Vorstadtviertel sollte ein beliebter Bou­­levard, eine hübsche, frequentierte Ge­schäfts­straße er­blü­hen, erwog man. Geschäfts­leu­te, Institutions­betrei­ber, Bewohner der Wiener Straße waren begeistert, man rottete sich zusammen, um Versammlungen zur Sa­che abzuhalten, Meinungen zu sammeln, den Stadt­vätern Ideen zu vermitteln. Besonders freuten sich die vielen Besitzer und Pächter der kleinen Geschäfte in der Wiener Straße. Sie glaubten durch eine Qualitäts­verbesserung der „Wiener-Straßen-Verhältnisse“, mit Groß­märkten, Handelsketten oder Konzern­fi­li­alen im Stadtinneren besser konkurrieren zu kön­nen. Was soll­te wohl schöner sein, als ein char­mantes Wiener-Stra­ßen-Viertel mit Charak­ter, das noch dazu richtig zu Linz gehörte? So et­was, glaubte man, könnte unserem ganzen Linz mehr Seele geben, mehr Charme, mehr Esprit. Wo man doch auch weiß, dass unser Linz Stadt­kultur manchmal gerne in Kubikmeter Beton misst. Land­straße und Wiener Straße, die neue Wiener Stra­ße könnte der Tupfen auf dem „I“ des „i“ in Linz werden, stellte man mit Vergnügen fest. An­bindung an Linz, Fortführung der Landstraße, ein origineller Stadt­teil, konsumentenfreundlich, fußgängerfreundlich, rad­fahrergerecht … Die Linzer würden das zu schätzen wis­sen. Das glaubten ver­mutlich auch die Stadtväter einmal. Sie bauten eine „Mini-U-Bahn“ in der Wiener Straße, ge­stalteten einige Häuserfassaden neu, verbrei­terten von Herz-Jesu-Kirche bis zur Blumau den Geh­steig, fast wollte man meinen, es handle sich um eine Fußgängerzone, sie hübschten auf, was zu be­hübschen war, alte hässliche Bäume wurden weg­gerissen, viel neues Grün gepflanzt, Fahr­rad­wege angelegt, Park­plät­ze reduziert, blitzblanke Nirosta-Lampen installiert … Ja, ein Linzer Bou­le­vard-Ereignis schien da zu entstehen, eine ganz neue Wiener Straße. Die Anrainer wa­ren angetan und die braven Stadtväter waren stolz, sie hatten ja auch ausführlich geplant und dabei sehr tief in ihre Hosentaschen gegriffen. Der Herr Bürger­meis­ter schnitt zur Neusanierung der Straße mit stolz ge­schwellter Brust ein rotweißrotes Band ent­zwei und die Menschen freuten sich. Alles schien schön und gut! Doch: Der Teufel schlief nicht, sah sich diese Idyl­le an, ärgerte sich über so viel Wohlsein, gönnte den Lin­zern der Wiener Straße ihr Glück nicht und be­schloss, etwas zu unternehmen. Er setzte den braven Stadtvätern mehrere dicke Flöhe in die Ohren (was in Linz nicht selten vorkommt), auf dass sie die neue Wie­ner Straße vergaßen. Etwas noch Neueres und noch viel Größeres müsste entstehen, wussten die Stadt­väter. Etwas viel größeres als die Leute der Wiener Straße an Profit und Ruhm für das Linz der Stadtväter einbringen hätten können! Etwas Monumentales, egal wo. Wie es der Teufel haben wollte, kam die ewige Fra­ge zum wichtigsten aller Bauwerke der Welt, dem Lin­zer Musiktheater, wieder einmal zur Diskussion. Flugs setzten sich die bauwütigen Stadtväter in den Wis­sens­turm und redeten und planten „auf Teufel komm raus“ – und um vielen Baufirmen eine Freude zu ma­chen, beschlossen sie, das gro­ße Musiktheater als riesigen Betonkeil ans Ende der Landstraße zu bauen, kreuz und quer, tief in den Volksgarten hinein, dicker als der dickste Teil der „chinesischen Mauer“, direkt vor die Wie­ner-Straße hingewuchte(l)t. Was für ein Bau­spek­ta­kel. Alle Baufirmenbesitzer jubelten und feierten die mutigen Stadtväter. Was für ein Event. Ein achtes Weltwunder in Linz! Ein schöner, neuer, riesiger Betonklotz in den Volksgarten hinein. Es tat nichts zur Sache, dass die Wiener-Straßen-Be­woh­ner traurig wa­ren, jetzt waren sie nämlich noch mehr abgeschottet von Linz als jemals zu­vor. Vor kurzem noch frisch „entgettoisiert“, wa­ren sie jetzt das neueste, alte Getto ge­worden. Vie­le fragten, wie kann das gehen? Ver­nünf­tige, aber sauteure Investitionen für ein ganzes Viertel für die „Würste“? „Aber hallo“, meinte der Teufel, „das Kleine muss dem Großen weichen, Ober­flä­che vor In­halt, Hülle statt Fülle, Vordenken statt Nachdenken!“ Die Stadtväter nickten beflissen und beklatschten sich selber. Und der lange, dunkle Schatten des großen Mu­siktheaters hüllte die funkelnagelneue Wiener-Straße und ihre Be­woh­ner wieder in tiefe Finsternis. So teuer den Stadt­vä­tern die Idee des neuen Monumentalbaues auch kam, sie waren nicht von ihr abzubringen. Ver­kehrsprobleme hin oder her. Die Wiener Stra­ße war – obwohl königlich mit ganz viel Steuer­geld renoviert – wieder in die alte Vorstadt-Vor­hölle verdammt.
Epilog: Einmal ritt ein Prinz an Linz vorbei. Er war In­genieur. Er sah die Stadt und dachte: „Ziem­lich verplant und verbetoniert alles hier, was könnte man da wohl noch verbessern?“ Im Vorbeireiten sinnierte er laut, die Gleise der Westbahn könnte man unterirdisch legen, auf Tie­fe des bestehenden neuen Bahnhofs, darüber einen Anschluss von der Landstraße zur Wiener Straße bauen, ohne Unterführungen oder Bar­ri­e­ren und dann könnte man auch noch den Volks­garten vergrößern, verlängern in die Wiener Stra­ße hinein. Warum sich dauernd selber die Wege verbauen?! Das wäre eine Lösung … Der Prinz ritt die Wiener Straße entlang, sah in traurige Anrai­neraugen, verließ die Vor­stadt Richtung Sonnen­un­tergang und ward von den Stadtvätern nie ge­hört oder gesehen, obwohl das möglich gewesen wäre, weil sie hoch über Linz auf ihren Sesseln klebten, ganz oben im Wissensturm, teuflisch dy­namisch über noch spektakulärere Bauprojekte (als das Musiktheater) diskutierend ...

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