Verdammt in alle Ewigkeit?
Das Linzer Bahnhofsviertel ist seit Ende der 1990er Jahre einer starken baulichen Wandlung unterzogen, die mit dem Bau des Musiktheaters am Blumauer Platz ihren (vorläufigen) Höhepunkt erreichen wird. Drei Türme sind das weithin sichtbare Zeichen in der Linzer Silhouette.
Dahinter stehen als treibende Kräfte Umstrukturierungen in der verstaatlichten und staatsnahen Wirtschaft (ÖBB, Energie AG, …) sowie in der Verwaltung und Dienstleistung des Landes (Landesdienstleistungszentrum LDZ) und der Stadt (Wissensturm) selbst, einhergehend mit der Modernisierung der Infrastruktur von Staat, Land und Stadt (Westbahn, Westring, Öffentlicher Personennahverkehr, …), auf Grund politisch und/oder betriebswirtschaftlich formulierter Ziele unter dem Einfluss einer globalisierten Ökonomie.
Der Globalisierungsprozess seit Mitte der 1980er Jahre veranlasste die kapitalistische Raumproduktion sich immer mehr nach finanzstrategischem Kalkül als nach lokalen Bedürfnissen zu richten. Aufwertungen von Stadtteilen durch bauliche Maßnahmen (Gentrifikation), um vornehmere Bevölkerungsschichten anzuziehen, verdrängen all jene, deren Anwesenheit allein schon dem gesellschaftlichen Mittelstand die Fragilität des Wohlstands vor Augen führen würde. Privatisierung und Überwachung des öffentlichen Raumes schließen zunehmend Möglichkeiten für „Andersheit“ aus; eine Tendenz, die sich auch im öffentlich medialen Raum (elektronische Massenmedien, Medienästhetik …), in der Sprache (Marken, Slogans, … Männlichkeit: „Power Tower“) und im kulturellen Diskurs (Sponsoring, Copyright, …) widerspiegelt.
Raum ist ein soziales Produkt, doch wird seine Wahrnehmung als solches durch die „Illusion der Transparenz“ (Henri Lefèbvre), nämlich der Illusion, die Welt so sehen zu können, wie sie ist, verschleiert. Die fiktive Offenheit des Raumes verdeckt subtile Grenzen des Ausschlusses, der Beschränkung, des „Anderen“. Als Grenzen werden oft nur – im Sinne einer herrschaftlichen, militärischen Sichtweise – Barrieren (z.B. Westbahntrasse) oder manifeste Orte des Ausschlusses oder der Bedrohung erkannt. Soziale, politische, kulturelle Grenzen, die der Wahrnehmung und somit dem (kritischen) Denken entzogen werden, paralysieren Grundrechte, die so keinen Raum freigeben können für eine „Andersheit“.
Wenn wir versuchen, im Sinne der von Paul Carter propagierten Umformulierung von Grenze, diese nicht nur, wie bereits erwähnt, als Orte der Bedrohung, des Ausschlusses, sondern auch der Kommunikation von Unterschieden zu sehen, dann sind sie nicht nur notwendig für den Zusammenhalt eines Territoriums, Körpers oder Raumes, sondern geben Raum frei für die Andersheit – auch im Sinne einer Voraussetzung für urbane Diversität und Auseinandersetzung. Nach Linda Pollak sind Grenzen „Orte der Auseinandersetzung und Ambiguität, an denen Unterschiede ihre wechselseitige Abhängigkeit enthüllen, … und Beziehungen zwischen Architektur, Landschaft, Stadt und Subjekt neuen Deutungen unterzogen werden können.“1
Katalysator für eine Neuinterpretation auch in diesem Sinne könnte der Neubau des Musiktheaters sein. Als Kulturbau mit sicherlich auch überregionaler Attraktion, mit dem Foyer direkt an den Volksgarten gerückt, verkehrstechnisch gut angebunden und in einer Situation an einer der wesentlichen Barrieren in der Stadt (Westbahntrasse), hat es gute Voraussetzungen dafür. Auch wenn oder trotzdem es die Weiterführung der Landstraße in die Wiener Straße unterbindet, also Grenze/Barriere ist!
Zusätzlich sind unterstützende Interventionen empfehlenswert und zum Teil im Rahmen des weiteren Ausbaus der Infrastruktur, des Umstrukturierungsprozesses der ÖBB, … auch möglich: Einer mit den verkehrspolitischen Absichten der Europäischen Union konvergierenden Initiative mehrerer Staatsbahnen folgend, um u.a. die Intercity-Züge im Vergleich zu den billigen Kurzflügen zu attraktivieren, soll in naher Zukunft die Westbahn durchgängig „beschleunigt“ werden. Eine notwendige Maßnahme dazu ist der Ausbau auf vier Gleise, damit verbunden eine Verbreiterung der Bahntrasse auch im innerstädtischen Bereich. Mittelfristig werden weiters das Gebäude der Landesdirektion und das Areal der Betriebswerkstätten der ÖBB, südlich der Bahntrasse, für neue städtebauliche Ausführungen zur Verfügung stehen. Daneben ist in Folge des geplanten Baus des Linzer Westrings die Blumauerstraße auf ein Verkehrsaufkommen von ca. 32000 Kfz/Tag und eine zweite Ausfahrt der Tiefgarage unter dem Landesdienstleistungszentrum für den Notfall projektiert, welche zwischen der Bahntrasse und der ÖBB-Landesdirektion mit einer Serpentine die Böschung zur Unterführung Blumau/Wiener Straße hinabführen soll (s. Lageplan).
Diese beabsichtigten Maßnahmen bieten einige Interventionsmöglichkeiten: Der abgebildete Vorschlag zielt darauf ab, zwischen Landesdienstleistungszentrum und der Unterführung Blumau die begrenzende und separierende Wirkung des derzeitigen Bahndamms im o.g. Sinne zu modifizieren, indem verbindende, kommunikative Elemente verstärkt und dessen objekthafte, also von der Topographie weitgehend isolierte, Ausbildung angestrebt werden; also real und suggestiv: Der Damm wird zur „Brücke“.
Scheint auf Grund der topographischen Situation ein Überqueren der Bahntrasse auch für Fußgänger zu aufwändig, ist ein Unterqueren an bereits mehreren Punkten möglich und auch leichter zu modifizieren – im Zuge eines Ausbaus der Westbahntrasse, der den Raum unter der Verbreiterung offen lässt. Dieser wird, vom Bahnhof kommend, durch Rampung (Garagennotausfahrt, s.o.), bzw. Absenkung des Geländes zwischen der ÖBB Landesdirektion und der Bahntrasse kontinuierlich frei gegeben (Damm wird „Brücke“) und mit der anschließenden Wiener Straße und dem oben erwähnten Areal südlich der Trasse mit der modifizierten Unterführung verbunden; für das Gebäude der Landesdirektion erschließen sich durch die teilweise Freilegung des Kellergeschoßes neue Nutzungsqualitäten zur weiteren Attraktivierung der fußläufigen Verbindungen ...
1 Linda POLLAK, Die abwesende Mauer und andere Grenzfragen, in: Daidalos 67, Positionen im Raum
Arbeitsgruppe Nach_wie_Vor_Linz 07: Sabine Funk, Jürgen Haller, Wolfram Mehlem, Herbert Moser, Monika Perner, Christoph Weidinger
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