Vom Nutzen und Nachteil der Subversion für das Leben
„Mit zwei fundamentalen Problemen sieht sich das Konzernmanagement im Jahre 1977 konfrontiert: (1.:) Die Nachkriegsära eines ungewöhnlich raschen wirtschaftlichen Wachstums ist vermutlich beendet. (2.:) Die Nachkriegsära einer beispiellosen weltweiten wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit ist vermutlich abgeschlossen ... Das Ende dieser Ära könnte das Konzernmanagement möglicherweise zur Revision seiner Pläne und Strategien zwingen, zur radikalsten und schmerzhaftesten seit Menschengedenken ... Wachstum, umgesetzt in verbesserte Lebensbedingungen, ist zu einer Grunderwartung aller Menschen auf der Welt geworden ... Solche Erwartungen müssen heute offensichtlich enttäuscht werden ... In vielen Nationen könnten sich die sozialen Spannungen ... letzten Endes explosiv entladen ... Die heftigen Auseinandersetzungen innerhalb von Nationen oder zwischen Nationen aufgrund enttäuschter Erwartungen der Massen könnten Revolution und Krieg zur Folge haben.“
Eine Konzernberatungsfirma im Jahre 1977
„Nur die Mächtigen wissen, wer ihre wahren Feinde sind.“
Umberto Eco, „Der Name der Rose“
Grundsätzlich ist es ein anspruchsvolles bis unmögliches Ding, sich in die verrückte und paranoide Welt der Reichen und Mächtigen hinein zu versetzen. Um den Chinesen eins auszuwischen (oder so), marschieren die Amerikaner in den Irak ein und blamieren sich dabei, zum Beispiel, und eigentlich weiß keiner wirklich, warum. Politiker, Militärs, Konzernchefs, kurz gesagt, Vertreter des Establishments bzw. des Systems, sind Menschen, die in ständiger Angst leben, oder anderen komischen Zuständen, da es in Politik, Wirtschaft und so weiter darum geht, wer über wen herrscht, und das mit einer gewissen Berechtigung, denn wenn man es selbst nicht tut, so tut’s jemand anderer. Insofern wir in einer Zeit leben, in der die Macht- und Kräftegleichgewichte zwischen den bestimmenden Ländern dieser Erde in einer Verlagerung begriffen sind, die Allianzen und Blöcke, die sich in den nächsten Jahrzehnten entweder rivalisierend oder kooperativ gegenüberstehen werden, noch nicht feststehen, und sich so gut wie überall die sozialen Gegensätze verschärfen (und das eine und andere mehr, wie zum Beispiel Umweltprobleme), könnte man sich schon einmal auf einiges gefasst machen was die nähere Zukunft betrifft.
Seit ungefähr 25 Jahren verfolgen die Wirtschaftseliten und auch die der Politik unter dem Titel Neoliberalismus eine Strategie, von der es unklar ist, zu welchem Anteil sie realen Sachzwängen wie intensivierter Weltmarktkonkurrenz, Rationalisierungsdrücken im Zusammenhang mit Innovation, Veraltetheit der sozialen Sicherungssysteme, Verschiebung der Demographie etc. einerseits und der Heranziehung dieser realen Sachzwänge zur Umsetzung einer Reichtumsumverteilung von unten nach oben und einer allgemeinen Machtentfaltung des Kapitals über diverseste Bereiche des Lebens und der Öffentlichkeit andererseits geschuldet ist, die aber auf jeden Fall auf eine Spaltung der Gesellschaft hinaus läuft. Aus ihrem Adlerblick heraus ist das den entsprechenden Eliten auch völlig bewusst; das phantasierte Gespenst einer kommenden Revolution oder starken Gegenbewegung wird auf den Gipfeln des World Economic Forum vielleicht ernster genommen, als auf den entsprechenden Alternativgipfeln. Die EU hat in ihrer neuen Menschenrechtscharta immerhin schon einmal die Todesstrafe in ihren Mitgliedsländern untersagt, in einem merkwürdigen Zusatz die Einführung der Todesstrafe jedoch in den Ermessensspielraum der Länder gestellt im Fall von „Unruhen, Ausschreitungen oder Krieg“. Interessant! Nun, das sind die Machtstrategien von oben, mit denen wir uns konfrontiert finden.
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Seit einiger Zeit ist innerhalb einer kleinen kritischen Öffentlichkeit das Ding mit der Subversion groß angeschrieben. Subversion ist ein Sammelbegriff für Methoden, bestehende Strukturen oder Machtgefüge zu unterwandern. Da die Konfrontation nicht auf gleicher Augenhöhe stattfindet, stattfinden kann oder eben in dieser Hinsicht absichtlich vermieden wird, versucht die Subversion den Gegner, allgemein gesagt, mit Nadelstichen zu traktieren, um diesen damit herauszufordern. Entweder, um in einen Dialog mit ihm einzutreten und sich ihm gegenüber zu artikulieren, oder um den Gegner zur schrankenlosen Anwendung seiner Machtmittel zu treiben und damit eine Eskalation zu erzwingen, innerhalb derer sich der Gegner aufreibt, erschöpft oder selbst zersetzt. Das bekannteste Beispiel auf der gegenwärtigen internationalen Bühne für zweiteres ist Al Kaida, oder allgemein terroristische Vereinigungen. Als ein glorreicheres Beispiel für politische Subversion aus der jüngeren Vergangenheit könnte die Strategie des passiven Widerstandes gegen die britische Kolonialmacht in Indien unter Gandhi ins Bild gerückt werden.
Auch einige KünstlerInnen und Intellektuelle zeigen sich gegenwärtig begeistert von der Subversion. Entsprechend der Regeln des Kunst- und Intellektualitätsspiels werden Referenzen herangezogen, um das, was man zu sagen hat, auf eine allgemeine Ebene zu heben. In diesem Fall ist es vorrangig der poststrukturalistische Theoriegarten, die Werke Foucaults, Derridas, Deleuze’ und auch anderer wie beispielsweise Baudrillards, Lacans, Althussers oder Barthes’. Die Ansätze Foucaults, Deleuze’ und Derridas waren in ihren Intentionen tatsächlich durch und durch subversive Akte gegen zur damaligen Zeit bestehende Dogmatismen innerhalb der Philosophie und ihrer Didaktik. Sozialphilosophische und gesellschaftstheoretische Sprengkraft bekamen sie im Zuge der 68er-Revolution, nachfolgend im Rahmen der feministischen Theorie, sowie allgemein im Rahmen einer sich als undogmatisch verstehenden Linken, die sich gegenüber dem Totalitarismus und Holismus des Marxismus-Leninismus ablehnend verhält, durch (unter anderem, natürlich) die Degeneration und dem Verschwinden des sozialistischen Lagers schließlich aber auch ziemlich machtlos gemacht ist. Und die es – nachdem sie sonst eigentlich nichts mehr zu sagen und zu tun hat – eben mit „Subversion“ versucht.
Innerhalb der poststrukturalistischen Theorie ist der Begriff der Subversion recht positiv besetzt. Subversion wird hier verstanden als eine kreative, eigendynamische und selbstreflexive Unterwanderung von Systemen, Gefügen oder allgemein eben dem, was subvertiert werden soll. Hervorstechend an dieser Auffassung von Subversion ist ein gewisser Mangel an direkter Konfrontationsbereitschaft mit dem Gegner zugunsten einer sich von den Apparaten des Gegners abspaltenden Eigendrehung des eigenen Subsystems, deren Dynamik im Idealfall bereichs- und gesellschaftsübergreifend wird. In diesem Fall hätte die Subversion dann gewonnen oder zumindest einen kleineren oder größeren Sieg errungen. (Oder, wie Gilles Deleuze es (im Vorwort zu den „Unterhandlungen“) viel besser ausdrückt: „Die Philosophie ist keine Macht. Religion, Staat, Kapitalismus, Wissenschaft, Recht, öffentliche Meinung und Fernsehen sind Mächte, nicht aber die Philosophie ... Da die Philosophie keine Macht ist, kann sie nicht in eine Schlacht mit den Mächten eintreten, führt stattdessen einen Krieg ohne Schlacht gegen sie, eine Guerilla ... Und da sich die Mächte nicht damit begnügen, äußerlich zu bleiben, sondern in jeden von uns hineinreichen, findet sich jeder von uns ständig in Unterhandlungen und einer Guerilla mit sich selbst, dank der Philosophie“).
Was leistet nun aber die Subversion, durchaus etwas allgemeiner betrachtet, als so wie gerade eben? Die Subversion ist eine Methode, durch ein Moment der Überraschung oder Überforderung, durch Überschreitung von Grenzen oder Gesetzen ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen, oder zumindest, das eine oder andere ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Wie lange und nachhaltig es dort dann vorhanden bleibt, ist natürlich eine andere Frage. Vor allem in der Hinsicht, dass allgemeine Angriffspunkte der zeitgenössischen Subversion – Konzerne, Neoliberalismus, Patriarchat etc. – eben gerade aufgrund ihrer Wirkungsmacht für das alltägliche Leben der meisten Menschen ohne wirkliche aktive Relevanz sein können. Überhaupt ist das mit dem „Bewusstsein“, zu dem kritische westliche Intellektuelle eine wahre Fetisch-Beziehung pflegen, was es kann, wie es funktioniert, wie Bewusstseinstransformationen möglich sind und was sie bewirken können, einer der schwierigsten Fragenkomplexe, über den man am wenigsten Bescheid weiß – wenngleich sich natürlich auf den ersten Blick so einiges lüftet, wenn man bei der Betrachtung bestimmter Phänomene bleibt.
Das Problem von Kräften, die innerhalb von fortgeschrittenen Industriegesellschaften eine gesellschaftliche Veränderung anstreben, ist, dass sie innerhalb einer Massengesellschaft davon bedroht sind, bestenfalls die Rolle einer Lobby oder Pressure Group unter vielen anderen einnehmen, sobald sie sich auf Institutionalisierungen einlassen (sagte einst schon Hanna Arendt). Öffentlichkeit ist weiters ein relativer Begriff, und ist in seiner Strukturierung durch Herrschaftsinteressen imprägniert. Die Anforderung, die an eine kritische, unvereinnahmte und selbstreflexive (Gegen)Öffentlichkeit (und der Schaffung und Aufrechterhaltung von Bewusstsein) besteht, ist, dass sie immer wieder von neuem erobert oder definiert werden muss. Einen Beitrag dazu leistet die Subversion.
Und wenn’s doch nicht klappt, so verbessert das Betreiben von Subversion immerhin das Selbstbewusstsein und persönliche Lebensgefühl der Subversiven. Auch das ist ein Nutzen der Subversion, und der kritischen Haltung im Allgemeinen.
P.S.: Äußerst kurzfristig anberaumt war heute, am 11.11.2007, der große David Lynch persönlich zu Gast bei der Viennale in Wien. Der Filmemacher betreibt seit dreißig Jahren Transzendentale Meditation und ist davon überzeugt, dass eine verbreitete Anwendung dieses Verfahrens den Weltfrieden herstellen und eigentlich überhaupt alle Probleme lösen könnte. In diesem Zusammenhang hat Lynch Werbung für eine von ihm gemeinsam mit anderen initiierte Friedensakademie gemacht und war damit auch beim Bundeskanzler. Vielleicht werde ich es daher mit der Subversion aufgeben und es mit Transzendentaler Meditation probieren.
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