Ein Kosmos aus Angst und Styropor

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„Ein Terrarium für freiwillige und unfreiwillige Galgenhumo­ris­ten. So die auszugsweise Beschreibung zum Projekt „dark city“, das im Oktober im 3raum-Anatomietheater lief. Dort trat im Okt­ober unter anderem auch Patrik Huber mit seinen „Cathedral Dead Clowns“ auf, einer Show um eine „Kathedrale des Desas­ters“. Pat­rik Huber im Interview mit Anatomietheaterleiter Hubsi Kramar.

Servus Hubsi, ich wurde gefragt, mit dir ein Interview zu ma­chen, für die freie Kulturzeitschrift spotsZ, ca. 7000 Zeichen.
So schriftliche Interviews sind für mich nicht cool, das strengt mich an, ich quassle gerne. Für das Schreiben brauche ich Zeit, die ich kaum habe – bei all dem, was ich so zu erledigen habe. Beim Schreiben bin ich genau, meine Szenen, Stücke, ja – das ist eine Art Rausch, das ist eine andere Form des Schrei­bens. Diese Fragen sind immer so umfassend, da fallen mir ganze Bibliotheken ein. Schrecklich, hier nun Kurz­ant­wor­ten, weil ich dich mag ... reden tue ich über vieles gerne, über anderes überhaupt nicht.

Wir haben uns über eine Produktion von Gerhard Fresacher ken­nen gelernt (Anm: dark city). Ich bin bei dir aufgetreten und hab die Atmosphäre bei euch sehr genossen. Was interessiert dich am Theater, an der Bühne, warum hast du das Anato­mie­the­ater, bzw. auch das Kabelwerk aufgezogen?
Weil ich Guckkastenbühnen nicht besonders reizvoll finde, aber Fabriken, Geschäfte, Anatomiesäle, Swimmingpools, Bau­ernschuppen, etc., etc., da füh­le ich mich mit meiner Art von Kreativität wohl – Lebensräume mit The­a­terblut zu erfüllen ...

Wie ist es dir mit meiner Performance, bzw. unserer Per­for­mance, den „Cathe­dral Dead Clowns“ gegangen?
Super, endlich wieder ein anarchistischer – freier – Spiel­an­satz mit Können und viel Phantasie. Danke für deinen, bzw. euren Auftritt, wir sind jedenfalls am Boden gelegen vor La­chen, ohne Alkohol und andere Drogen.

Was ist der Unterschied zwischen Hochkultur und deinem The­a­ter, außer der Kohle?
Hochkultur ist eben Kulötur, also verfestigte Erfolgskunst, al­so Kultur eben – Trachten, an den Papst glauben, an Loden­hirne und so weiter.

Ab nächstem Jahr werden wir bei euch eine Gute-Nacht-Gro­teske zweimal im Monat über zumindest ein halbes Jahr oder länger installieren, wie würdest du das beschreiben?
Dieses neue Projekt ist unbeschreiblich, da es sich ja um einen freigelassenen Tiger aus Eschnapur handelt, der sich in unseren Landen so gar nicht aus­kennt und gerne frisst und dann neue Welten gebiert ...

Du kennst dich doch sehr gut mit dem Leben aus?
Was heißt auskennen mit dem Leben – ja „aus“, aber das ist es dann auch schon. Wer glaubt, sich auszukennen, ist meist auf dem Holzweg. Aber der Kos­mos ist nicht aus Holz, eher schon aus Rosenblättern und Styropor. Mein Wahlspruch: „Wer an der Unsicherheit zweifelt, ist verloren ...“ Der Satz ist of­fen, im eigentlichen Sinn. Es gibt keine Sicherheit ohne Un­si­cher­heit, das ist ja logisch – und diesen Bestandteil der evidenten durch Un­si­cher­heit bedingten Unsicherheit versichert man. Was im Realen nur be­dingt ein Versichern bedeutet – wenn man etwas zum Versichern hat: Es ist eine stark emoti­o­nale Komponente der Sehnsucht und der Hoffnung. Diese wie­derum ist auch ein Teil der „Büchse der Pandora“, die ja be­kanntlich bes­ser verschlossen bleibt, um Unheil zu vermeiden. Aber hin und wieder öffnet sie sich, vor allem wenn man es nicht erwartet. Dagegen gibt es keine Ver­sicherung – das ist ne­ben allem Negativen aber das Erfreuliche und als Prinzip ge­dacht, da es im Positiven einen Aspekt des Lebens bedeutet.

Meiner Meinung nach ist die Angst ein verfänglicher Motor, die größte Schei­ße. Es sichert das Individuum und entfremdet es gleichzeitig. Aus dieser Angst heraus wird dann bekämpft und gekämpft.
Willkommen in der Wirklochkeit (kein Tippfehler). Und was heißt, sich „nicht sorgen“, wenn ständig Menschen verhungern, weil eine verschwindende Minderheit nicht genug be­kom­men kann und der Planet von einem vollidiotischem Ge­schöpf namens Mensch systematisch ausgesaugt wird. Ge­schöpfe, die alles zusammenraffen, fressen und alles zu­schei­ßen und auf ihrem Berg von Scheiße sich besonders gut vorkommen … bzw. ver-kommen.

Was machst du, wenn dir ein Mensch einen Arschtritt gibt und da­vonläuft, oder stehen bleibt und sagt, ich kann nicht anders, bit­te schlagen sie mich nicht zurück, sie Affenarsch, ich liebe sie.
Theoretisch ist immer leicht, irgendetwas zum Besten zu ge­ben, aber die Le­benspraxis schaut ja dann doch immer wieder ganz anders aus. Und mit dem Zurückschlagen ist das so eine Sache. Mir wäre am liebsten, viel Schmer­zensgeld für solche Blödheiten zu bekommen. Es reicht, außer natür­lich: Wer es schafft, zu lieben, wird vielleicht auch wiedergeliebt und das ist doch wirklich super. Also Kopf hoch, damit er in die Schlinge passt – haudey, Hubsi.

3raum-Anatomietheater
Hubsi Kramar leitet das 3raum-Anatomietheater im Ana­to­miegebäude des ehemaligen Veterinärmedizinischen Ins­ti­tuts im Wiener 3. Bezirk. Damals Seziersaal, Anatomie­saal und Hörsaal besteht das Theater heute aus drei Räu­men, die jeweils Platz für 120 Zuschauer bieten. Hubsi Kra­mar folgt damit einem Kurs, architektonisch interessante Räume, die brach liegen, für KünstlerInnen und eine interessierte Öffentlichkeit als Veranstaltungsräume zu öff­nen, bevor sie der Spitzhacke zum Opfer fallen. Im Sinne größtmöglicher Offenheit wird das 3raum-Anatomie­thea­ter für Theater und Performances, Ausstellungen, Konzer­te, Filme, Feste usw. genutzt und für Eigenproduktionen so­wie interessante freie Produktionen geöffnet.
Im November waren unter anderem zu sehen: Das Schmürz vom Jarryverehrer Boris Vian, die Ausstellung Ubahn­people oder die Versuchsanordnung b/11 amorphose, eine „körpertheatrale Episode im pathologischen Se­zier­saal des ehemaligen k.k. Thierarzney-Institutes in Wien“. Vielversprechende Titel im Oktober waren HUn­GER 2017, DC EXTENDED TOTE BAR, eine „zwanglose Show mit Livemusik“ oder dark city, das mit allen Mitteln der Kunst „Auswege aus der Alltagshölle der Menschen, die ih­re eigene Stadt bewohnen, welche ausschließlich in ih­ren Köpfen existiert“, thematisiert, als „Pilot einer seriellen Be­richterstattung aus einer finsterkomischen Perspek­tive über eine erdachte Stadt“. Im Dezember finden sich unter anderem auf dem Spielplan: Die Kinderodyssee Arii­ra, Heavy Chanson von Lucy McEvil oder die Cello-Al­ter­na­tive-Rockband Metaphysis; außerdem Evita Peron in ei­ner machtverludert/verlogenen Interpretation von Copi.

www.3raum.or.at

Cathedral Dead Clowns/Hubraum
Hubraum hat sich aus den zahlreichen Aktivitäten rund um Patrik Huber und Doris Jungbauer entwickelt und versteht sich als flexibles Personenkollektiv ohne eigene Spiel­stät­te. Als Kristallisationspunkt für freie Theater- und Perfor­mancearbeit ist Hubraum gleichzeitig in aller Seriosität an Subversion, Show und „großem Theater“ interessiert. Den Arbeitsansatz von Hubraum beschreiben Doris Jungbauer und Patrik Huber in einer ihrer ersten Theaterproduk­tio­nen etwa so: „Bei Aida. Opus Trash haben wir das Libretto verwendet und für unsere Zwecke zusammengekürzt. Es hat dann Leute gegeben, die behauptet haben, dass wir die Bühne damit schänden. Wir haben die Bühne aber nur als Plattform benutzt, um sie mit ihrer ganzen Theatertra­dition sich selbst gegenüberzustellen – und sind damit als Spielende zu Beobachtern des Publikums geworden.“ Eine der nächsten Produktionen, der Bonesmasheryman, mor­bidsurreales Popmusiktheater über den Zusammen­hang von Show und Töten wurde als konfrontative Per­for­mancearbeit vom Theater Phönix produziert und ging auf Tournee unter anderem nach Laibach, Zenica und Sara­je­wo. Die derzeitige Produktion von Hubraum, bzw. den Li­ving Dead Clowns war neben Linzfest und Linzer Eisen­hand­theater nunmehr auch in der Roten Bar des Wiener Volkstheaters und im Anatomietheater in Wien zu sehen. Ständig im Hubraum-Programm sind außerdem Georgie Gold und sein Entertainment mit einem Käfig voller Nar­ren. Außerdem ist Patrik Huber immer für Formate wie Klaus Kinski isst Helmut Berger oder The living Shit Show oder ähnliches gut. O-Ton Einladungstext: „If you want to die, we will not kill you“.

www.hubraum.net, 06641303671

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FotoautorInnen: 
hubraum

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