„(...) allerorten Baumstrunken mit jeder Menge an Steckerlzeugs am Boden (...)“
Der Augenblick, die Epiphanie, die Erscheinung: „Irgendwo nach Kefermarkt fährt ein Behinderter im Rollstuhl an den Zug heran, stemmt sich hoch & schwingt seinen verkürzten Körper auf den Waggonauftritt, während zwei ältere Leute den Rollstuhl zusammenklappen & ihn der aus dem Gepäckwagen herausragenden Hand entgegenstrecken.“
Augenblicke beziehen sich zunächst auf ein äußeres Erscheinungsbild. Augenblicke sind keine Erkenntnisform, sie passen in kein hermeneutisches Regelwerk, sie bewegen sich nicht von außen nach innen, suchen keinen Bedeutungskern für die Symptomatik der Alltagsgestik. Ihr Ursprung und ihr Austragungsort ist die Spielform reiner Äußerlichkeit.
Pilar registriert Oberflächen. Was er in einem bestimmten, konzentrierten Moment wahrnimmt, nimmt in kleinen Erlebnisaufsätzen, Essays, Gedichten, Miniaturen und nicht zuletzt Zeichnungen Umrisse an. In diesem Transkribieren wird die Epiphanie als wahrgenommener Moment Erscheinung, Vision: Melancholisch-elegische Gestimmtheiten stellen sich ein, „wenn das, als unbeschreibbar geltende, unendlichkeitsgefühl mit sanftmütigem wohlwollen einströmt & alles in dir zu tönen scheint: nicht nur weil du dich selbst verzückst & schließlich irritiert dabeibist, wie ein solches irritandum nur in seltenen augenblicken aufkommt; ein anderer zustand, der durch besondere ereignisse hervorgerufen wurde & nun zu steigerungen neigt? Ein irritandum insofern, weil sonst ja das kognitive, alltags- & damit überlebensbezogene henkeln und tadeln dominiert.“
Seine Erlebnisse auf Reisen durchs Südböhmische, nach Litauen, Kreta, ins Salzkammergut, seine Zeitsprünge hinter und vor den eisernen Vorhang, seine Besichtigungen, sein Gefängnisaufenthalt, Flüge, Taxi- und Zugfahrten, erste oder wiederaufgenommene Kontakte, Besuche, Gespräche und Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, schließlich seine Heimreisen ins immer wieder „zwangsnormale Österreich“ – alles rundet sich, „um sich schließlich zum Exorbitanten zu steigern“.
Achsen des Augenblicks: In die horizontale Ebene des Sehens ritzt Pilar vertikale Wahrnehmungskerben aus Erinnerungen und Erwartungen. Oder, mit anderen Unbekannten, aber im selben Koordinatensystem gedacht: Auf der Horizontalen seines grundsätzlichen Einverständnisses mit der Welt leuchten Pilars Idiosynkrasien wie Wahrnehmungswiderhaken. Pilar, das schreibende und zeichnende Ich, das nichts von der Stelle bewegen muss, sich keine Zusammenhänge aufbürdet, schrittweise nach vor geht oder springt, unterbricht, alles berührt und wieder lässt.
Und dennoch hat „In Krumau & anderswo: Achsen des Augenblicks“ etwas Imperatives. Durch Pilars Beschreibungen, sein Interesse für die sang- und klanglose Wirklichkeit, für das Vertraute, für Unverständlichkeiten und Eigenheiten entsteht im Leser ein Bedürfnis, ein Zwang, eine Lust … was einen dazu bringt, die Welt beiläufig so und nicht anders zu sehen.
Walter Pilar: In Krumau & anderswo: Achsen des Augenblicks (Verlag Ritter, 2006)
Biografie: Walter Pilar, geb. 1948 in Ebensee (OÖ), lebt als Schriftsteller, Grafiker, „KunstWandwerker & Rauminstallatör“ in Linz. Seit 1968 zahlreiche Lesungen, Aktionen & Ausstellungen. Einträge in Gipfelbücher, Beiträge in in- und ausländischen Kulturzeitschriften & Anthologien. Er erhielt u.a. den oö Landeskulturpreis für Literatur. Zahlreiche Einzelpublikationen wie: „LEBENSSEE≈ Gerade Regenbögen“ (Ritter, 2002).
Ausstellungen (Auswahl): Galerie im Stifterhaus Linz (1992, 2005); O.K Centrum f. Gegenwartskunst, Linz (1992, 1999); Kunsthaus Bregenz (2000).
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