Akustische und andere Spezialitäten lokaler Art
Der Zusammenhang zwischen den aktuell präsentierten Künstlern ist alles andere als zwingend, stellt sich aber dennoch über drei Begriffe her: Ort, Klang, Kooperationen.
Bereits im Titel Sam Auinger & friends. A hearing perspective wird sehr deutlich darauf hingewiesen, dass der österreichische Künstler in kooperativen Strukturen arbeitet. Ein eigener Raum widmet sich der Visualisierung und Dokumentation dieser örtlich und personell weit verzweigten Zusammenarbeiten. In den unterschiedlichen Produktionen, die neben dem Kunstbetrieb auch im Theater, im Tanz oder im Radio Verwendung finden, steht stets der Klang im Mittelpunkt. Dabei nimmt die Geräuschkulisse, beispielsweise einer Straße, die Hauptrolle ein. Sie wird mit Resonanzrohren harmonisiert und an andere Orte transferiert. So tönt der Klang der Dametzstraße aus den Lautsprecherwürfeln vor dem OK und speist ebenso einige weitere Arbeiten in den Ausstellungsräumen. Die Aufmerksamkeit, mit der Sam Auinger die Klangbilder von urbanen aber auch ländlichen Räumen aufnimmt und transformiert, lässt tatsächlich vieles, was als Hintergrundgeräusche zumeist ausgeblendet wird, hörbar und durchaus auch genießbar werden. Diese Sorgfalt, mit der die Umgebung untersucht wird, erscheint stellenweise wie eine akustische Version der Land Art. Heidi Grundmann nennt das im Katalog „Weltintensivierungserlebnis“. Intensiviert wird das Erleben durch visuelle sowie klangliche Fokussierungen, die mitunter auch körperlich erfahrbar sind. Beispielsweise zeigt das Video „mauerpark“ (2006) aus statischer Kameraperspektive einen verschneiten Ausschnitt der ehemaligen Grenze zwischen Ost- und West-Berlin. Durch partielle Unschärfen, die über das Bild wandern, es mitunter gänzlich verschwimmen lassen, wird auch das Auge dazu verleitet, aufscheinende Architekturen, Personen oder Landschaftselemente genauer zu betrachten. Wenn die AusstellungsbesucherInnen das Angebot der Sitz- oder Liegegelegenheit nutzen, werden sie zudem feststellen, dass sie sich auf einem Lautsprecher befinden, der den Soundtrack körperlich fühlbar werden lässt.
Diese körperliche Involvierung betrifft auch andere Arbeiten, wobei Sam Auinger versucht, die Rezipierenden in Bewegung zu versetzen und unterschiedliche Raumwahrnehmungen zu induzieren. Der aufgezeichnete Klang scheint ein Versuch, Raumatmosphären zu konservieren und spezifische Stimmungen zu extrahieren.
Der oft vorübergehende Aufenthaltsort ist auch von zentraler Bedeutung in Luca Vitones Arbeiten, die sich mit den Anteilen von räumlichen Erfahrungen an identitären Selbstverständnissen beschäftigen. Diesem Thema widmet er sich inhaltlich durch die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Sinti und Roma oder formal durch die Bearbeitung von Landkarten. Die Technik der Kartografie ist seit den 1980er Jahren in seinem Werk ein fester Bestandteil, um Raumsituationen festzuhalten, Verortungen durchzuführen oder Orientierungen zu verunsichern. Seine Auseinandersetzungen mit Stadtplänen (Liberi Tutti, 1996) erinnert deutlich an Fragestellungen der Internationalen Situationisten, die ebenfalls versuchten durch städtische Streifzüge und Spaziergänge den psychosozialen Raum zu erkunden und zu kartografieren. Luca Vitone fügt dieser Praxis einen deutlichen Akzent der Tradition hinzu. Seine Raumerkundungen betreffen auch die Vergangenheit, die er mitunter in archäologischer Manier auszugraben versucht.
Doch Luca Vitone definiert Orte nicht nur über ihre räumlichen Koordinaten, sondern vielmehr über ihren Gebrauch. Die Menschen und ihre Ordnungen, tägliche Rituale, die sich in der Gestaltung von Raum niederschlagen, werden zu Urhebern und Sinnstifterinnen. Eine interessante Konfrontation von sachlicher und persönlicher Darstellung liefert die Arbeit „Non siamo mai soli“ (Wir sind nie allein, 1994). Luca Vitone zeichnete sechs Grundrisse von Genueser Wohnungen, in denen er gelebt hat. Diesen technischen Architekturzeichnungen sind Möbelstücke oder Gegenstände beigefügt, die aus der jeweiligen Wohnung stammen und deren ehemaliger Aufenthaltsort mit rotem Buntstift in den Grundrissen verzeichnet ist. Obwohl den Zeichnungen genaue Detailinformationen, wie Adresse und Maßstabsangaben beigefügt sind, machen erst die persönlichen Gegenstände wie Schallplatten, Messingschild oder ein Kindersitzensemble den Ort anschaulich. Die nüchternen Grundrisse halten alle Raumkoordinaten fest, durch die Gegenstände wird der Alltag vorstellbar. Ihre Gebrauchsspuren und haptische Präsenz kennzeichnen den Raum als einen privaten Raum. Aber nicht nur dreidimensionale Objekte „füllen“ einen Raum mit Inhalt. Luca Vitone dehnt seine Raumuntersuchungen auch auf immaterielle Erscheinungen aus. So dienen in der Arbeit „Sonorizzare il luogo“ (Verortung des Ortes, 1989-1993) traditionelle Lieder dazu, europäische Minderheiten – wie beispielsweise Basken, Korsen, Sarden oder Schotten – zu vertreten. Jede Hörstation wird von einer Art Karte ergänzt, die die Umrisslinie der von den Minoritäten beanspruchten Gebiete zeigt. Da allerdings keinerlei geografische Angaben eine Lokalisierung möglich macht, verlieren die Karten ihre Funktion. Der Forderung offizieller Separierung wird auch auf akustischer Ebene entgegengewirkt. Alle Musikstücke im gleichen Raum abgespielt, lassen sich kaum mehr in einzelne Gruppierungen auseinanderdividieren.
Im Gesamtzusammenhang Luca Vitones Untersuchungen von räumlichen Erfahrungen verliert selbst der Programmpunkt „Genueser Abend“, der mit eingeflogenem Koch, Originalzutaten und Live Musik für ausgewählte Gäste im OK veranstaltet wurde, seine ambientgewohnte Beliebigkeit.
Neben Musik ist natürlich auch das Essen eine lokale Spezialität. In dieser Harmonie aus Ort, Klang und Ereignis wären sich Sam Auinger und Luca Vitone wahrscheinlich einig.
Sam Auinger, mauerpark, 2006
Luca Vitone, Non siamo mai soli, 1994
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