Akustische und andere Spezialitäten lokaler Art

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Am 22. November eröffnete das OK zwei Ausstellungen, die als umfassende Einzelpräsentationen der Künstler Sam Auinger und Luca Vitone konzipiert sind. Damit setzt das offene Kulturhaus nach längerer Umbaupause ein Ausstellungsformat fort, das sich in konzentrierter Werkübersicht einzelnen Künstlerinnen und Künstlern widmet, ihre Arbeiten umsichtig präsentiert und durch umfangreiche Kataloge auch langfristig fördert.

Der Zusammenhang zwischen den aktuell präsen­tierten Künstlern ist alles andere als zwingend, stellt sich aber dennoch über drei Begriffe her: Ort, Klang, Kooperationen.

Bereits im Titel Sam Auinger & friends. A hearing perspective wird sehr deutlich darauf hingewiesen, dass der österreichische Künstler in koopera­tiven Strukturen arbeitet. Ein eigener Raum widmet sich der Visualisierung und Dokumentation die­ser örtlich und personell weit verzweigten Zu­sammenarbeiten. In den unterschiedlichen Pro­duk­tionen, die neben dem Kunstbetrieb auch im The­a­ter, im Tanz oder im Radio Verwendung finden, ste­ht stets der Klang im Mittelpunkt. Dabei nimmt die Geräuschkulisse, beispielsweise einer Straße, die Hauptrolle ein. Sie wird mit Reso­nanz­rohren harmonisiert und an andere Orte transferiert. So tönt der Klang der Dametzstraße aus den Lautsprecherwürfeln vor dem OK und speist eben­so einige weitere Arbeiten in den Ausstellungs­räu­men. Die Aufmerksamkeit, mit der Sam Auin­ger die Klangbilder von urbanen aber auch ländlichen Räumen aufnimmt und transformiert, lässt tatsächlich vieles, was als Hintergrundgeräusche zumeist ausgeblendet wird, hörbar und durchaus auch genießbar werden. Diese Sorgfalt, mit der die Umgebung untersucht wird, erscheint stellenweise wie eine akustische Version der Land Art. Heidi Grundmann nennt das im Katalog „Welt­in­ten­sivierungserlebnis“. Intensiviert wird das Er­leben durch visuelle sowie klangliche Fokus­sie­run­gen, die mitunter auch körperlich erfahrbar sind. Beispielsweise zeigt das Video „mauerpark“ (2006) aus statischer Kameraperspektive einen ver­schneiten Ausschnitt der ehemaligen Grenze zwischen Ost- und West-Berlin. Durch partielle Un­schärfen, die über das Bild wandern, es mitunter gänzlich verschwimmen lassen, wird auch das Au­ge dazu verleitet, aufscheinende Architekturen, Per­sonen oder Landschaftselemente genauer zu be­trachten. Wenn die AusstellungsbesucherInnen das Angebot der Sitz- oder Liege­gele­gen­heit nutzen, wer­den sie zudem feststellen, dass sie sich auf einem Lautsprecher befinden, der den Sound­track körperlich fühlbar werden lässt.
Diese körperliche Involvierung betrifft auch an­de­re Arbeiten, wobei Sam Auinger versucht, die Re­zipierenden in Bewegung zu versetzen und un­terschiedliche Raumwahrnehmungen zu induzieren. Der aufgezeichnete Klang scheint ein Ver­such, Raumatmosphären zu konservieren und spe­zifi­sche Stimmungen zu extrahieren.

Der oft vorübergehende Aufenthaltsort ist auch von zentraler Bedeutung in Luca Vitones Arbei­ten, die sich mit den Anteilen von räumlichen Er­fahrungen an identitären Selbstverständnissen be­schäftigen. Diesem Thema widmet er sich inhaltlich durch die Auseinandersetzung mit der Ge­schichte der Sinti und Roma oder formal durch die Bearbeitung von Landkarten. Die Technik der Kartografie ist seit den 1980er Jahren in seinem Werk ein fester Bestandteil, um Raumsituationen festzuhalten, Verortungen durchzuführen oder Ori­en­tierungen zu verunsichern. Seine Auseinan­der­setzungen mit Stadtplänen (Liberi Tutti, 1996) er­innert deutlich an Fragestellungen der Inter­na­ti­onalen Situationisten, die ebenfalls versuchten durch städtische Streifzüge und Spaziergänge den psychosozialen Raum zu erkunden und zu kartografieren. Luca Vitone fügt dieser Praxis einen deutlichen Akzent der Tradition hinzu. Seine Raum­erkundungen betreffen auch die Vergangenheit, die er mitunter in archäologischer Manier auszugraben versucht.
Doch Luca Vitone definiert Orte nicht nur über ihre räumlichen Koordinaten, sondern vielmehr über ihren Gebrauch. Die Menschen und ihre Ord­nungen, tägliche Rituale, die sich in der Gestal­tung von Raum niederschlagen, werden zu Urhe­bern und Sinnstifterinnen. Eine interessante Kon­frontation von sachlicher und persönlicher Dar­stel­lung liefert die Arbeit „Non siamo mai soli“ (Wir sind nie allein, 1994). Luca Vitone zeichnete sechs Grundrisse von Genueser Wohnungen, in denen er gelebt hat. Diesen technischen Architek­turzeichnungen sind Möbelstücke oder Gegen­stän­de beigefügt, die aus der jeweiligen Woh­nung stam­men und deren ehemaliger Aufenthaltsort mit ro­tem Buntstift in den Grundrissen verzeichnet ist. Obwohl den Zeichnungen genaue Detailin­forma­ti­onen, wie Adresse und Maßstabsangaben beigefügt sind, machen erst die persönlichen Gegen­stän­de wie Schallplatten, Messingschild oder ein Kindersitzensemble den Ort anschaulich. Die nüch­ternen Grundrisse halten alle Raumkoordinaten fest, durch die Gegenstände wird der Alltag vorstellbar. Ihre Gebrauchsspuren und haptische Prä­senz kennzeichnen den Raum als einen privaten Raum. Aber nicht nur dreidimensionale Objekte „füllen“ einen Raum mit Inhalt. Luca Vitone dehnt seine Raumuntersuchungen auch auf immaterielle Erscheinungen aus. So dienen in der Arbeit „So­norizzare il luogo“ (Verortung des Ortes, 1989-1993) traditionelle Lieder dazu, europäische Minder­hei­ten – wie beispielsweise Basken, Korsen, Sarden oder Schotten – zu vertreten. Jede Hörstation wird von einer Art Karte ergänzt, die die Um­riss­linie der von den Minoritäten beanspruchten Ge­biete zeigt. Da allerdings keinerlei geografische An­ga­ben eine Lokalisierung möglich macht, verlieren die Karten ihre Funktion. Der Forderung offizieller Separierung wird auch auf akustischer Ebene entgegengewirkt. Alle Musikstücke im glei­chen Raum abgespielt, lassen sich kaum mehr in einzelne Gruppierungen auseinanderdividieren.
Im Gesamtzusammenhang Luca Vitones Unter­su­chungen von räumlichen Erfahrungen verliert selbst der Programmpunkt „Genueser Abend“, der mit eingeflogenem Koch, Originalzutaten und Live Musik für ausgewählte Gäste im OK veranstaltet wurde, seine ambientgewohnte Beliebigkeit.
Neben Musik ist natürlich auch das Essen eine lokale Spezialität. In dieser Harmonie aus Ort, Klang und Ereignis wären sich Sam Auinger und Luca Vitone wahrscheinlich einig.

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12/07
FotoautorInnen: 
OK, Otto Saxinger

Sam Auinger, mauerpark, 2006

Luca Vitone, Non siamo mai soli, 1994

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