Kindlein liebt euch …
… und wenn das nicht gehen will, lasst wenigstens einander gelten. Johann Wolfgang von Goethes humanistischer Aufruf zur Nächsten- und Selbstliebe stößt spätestens an seine Grenzen, wenn aus freundschaftlicher Zuneigung durch soziale Zwänge unermöglichte Liebe wird. So war es bei den „Leiden des jungen Werther“ und auch sechshundert Jahre zuvor im von Minne und blutdürstiger Ritterlichkeit geprägten Mittelalter. Das tragische Liebespaar Tristan und Isolde, durch einen Liebestrank füreinander entflammt, aber nicht füreinander bestimmt, ereilt nach abenteuerlichen Versuchen des gesellschaftlichen Ausbruchs der Tod.
Diese „für unseren Kulturkreis wichtige Liebesgeschichte“ nahm die Wiener Regisseurin Fanny Brunner zum Anlass, die Relevanz der mittelalterlichen Liebe für die Gegenwart zu hinterfragen. Dass sich das Verständnis von Amor über die Jahrhunderte – vom politisch instrumentalisierten Gesellschaftsspiel hin zur individuellen Partnerwahl – geändert hat, ist für sie dabei ebenso Ausgangspunkt wie das Bestreben, Theater zu machen, in dem sich auch die junge Generation (ja, die Zwanzig bis Dreißigjährigen haben angeblich genug vom verstaubten Konservatismus) wieder erkennen kann. Von Museumspflege hält sie nichts. Das zunächst kontrapunktisch anmutende Projekt realisiert sich nicht zuletzt dank des Quäntchens Humor, das bei einer solch blutrünstigen Liebesfehde – immerhin gibt es da noch den gehörnten Ehemann – laut Brunner nicht fehlen darf. Gewalt (vor allem mit Schwert und Degen) könne nicht ernsthaft auf der Bühne behandelt werden, würde sofort comichaft überhöht wirken. Intensiv wie nie zuvor erlebe sie deshalb auch die durch Improvisation geprägten Proben mit den Schauspielern, wo Komik und emotionale Berührtheit nah beieinander liegen und von einem Moment zum anderen umschwenken können. Das im Gegensatz zum Film in seinen inszenatorischen Mitteln reduzierte Medium Theater bietet der Regisseurin dabei das passende Vehikel zur Dekonstruktion und Abstrahierung: „Theater ist immer live, unmittelbar. Das, was Schauspieler spielen, kommt ungefiltert und unverändert beim Betrachter an. Theater findet im Moment statt, ist keine Konserve.“
Ebenfalls nicht aus der Konserve kommt der musikalische Beitrag des Abends. Die Wiener Band GINGA tritt mit E-Gitarre, Bass, Schlagzeug und Geige in genreübergreifenden und originellen, da selbst komponierten Dialog mit den Schauspielern. „Man weiß nicht genau, ob die Musik einen Zustand initiiert oder ob die Musiker auf einen Zustand reagieren“, umreißt Brunner die idealtypische, schon zum zweiten Mal stattfindende Zusammenarbeit. Warum GINGA auf Fanny Brunners Bühne zu musikalischen Wiederholungstätern werden dürfen? Die postmoderne Ironie der Gruppe gehe eine gute Ehe mit der Lust am Genrewechsel im Spiel und dem narrativen Charakter der Inszenierung ein. Die neuhochdeutsche Adaptierung des aus dem zwölften Jahrhundert stammenden Versromans „Tristant und Isolde“ von Eilhart von Oberg bleibt der epischen Gestaltung des Textes treu und wird von den Schauspielern und schauspielernden Musikern als Erzähler und Figuren in Personalunion für die Bühne übersetzt. Dem Spiel mit Illusionen kommt für Brunner dabei neben dem Geschichtenerzählen eine besondere Rolle zu: „Ich liebe die Verwandlungsfähigkeit, die Behauptung, dass etwas ist, wie es ist, und im nächsten Moment kommt heraus, es ist ganz anders.“ Hierfür wird der Körper als primäres Verwandlungsinstrument und bedeutsame Ausdrucksfläche von der im klassischen Tanz ausgebildeten Germanistin choreographisch in Szene gesetzt. Die Herausforderung im Eisenhand Theater bestehe für sie darin, nach allen vier Seiten zu spielen. Ein Bühnen- und Zuschauerraumkonzept so zeitübergreifend – Shakespeare inszenierte sein „Romeo und Julia“ zu Lebzeiten schließlich auch nach drei Seiten – wie die Dreieckskonstellation von Tristan, Isolde und ihrem Gatten Marke.
Ob Liebe aufgrund der wilden, im Text vorgegebenen Gefechte mit Krieg gleichzusetzen ist? Diese Aussage sei zu plakativ, moniert Brunner. Vielmehr würden zwei Menschen, sobald sie miteinander zu tun haben, in ein Spannungsverhältnis treten, welches bei Liebe wohl noch stärker ausarten könnte.
Ganz gegen Spannungen tritt die Regisseurin jedoch im Verhältnis von institutionalisiertem Theater und freier Szene ein. Das „komische Trennungsbedürfnis“ zwischen den beiden sollte aufgegeben werden – zugunsten der Einsicht, dass da und dort gutes Theater gezeigt werden könne, unabhängig vom Budget und der verfahrenen Meinung, dass sich im gegnerischen Lager jeweils nur „Dilettanten oder liberale Köpfe“ befänden. Fanny Brunner weiß, wovon sie spricht. Schließlich hat sie mit „dreizehnterjanuar“ eine freie, spartenübergreifende Theaterplattform ins Leben gerufen, die die Synästhesie, ein bewusstes Überschneiden von Sinneswahrnehmungen, zum Arbeitsdogma erklärt hat. Bildende und darstellende Künste, Dichtung und Musik sollen zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen. Dass ein so engagiertes Vorhaben auch an der Finanzierung scheitern könnte, räumt Fanny Brunner nach kurzem Zögern ein. Im Gegensatz zur deutschen Förderungspolitik sei die österreichische aber eine „geschlachtete, heilige Kuh“. Das Problem liege vielmehr in der Verteilungsstrategie. Anstatt nur jeweils ein Drittel von mehreren Produktionen zu finanzieren, sollten lieber ausgewählte Projekte zur Gänze finanziell unterstützt werden, so Brunner. Prinzipiell stehe ihr der Sinn nach mehr Toleranz zwischen freien Aufführungen und solchen wie „Tristan und Isolde“ am institutionalisierten Theater. Mit diesem Wunsch ist Fanny Brunner erstmal Goethes Meinung.
Tristan und Isolde: Eisenhand
03. Dez., 19.00 h; 09., 12., 18., 20. Dez., 20.00 h; freier Verkauf
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