Der polyglotte Ohrenspitzer

Sam Auinger im Brucknerhaus.

Der Linzer Musiker und Komponist Sam Auinger sozialisierte sich musikalisch inmitten der blühenden Rock- und Punk-Szene der Linzer Stadtwerkstatt, nicht ohne die „Ars Elec­tronica“ im Rücken zu haben. Der in Berlin lebende Linzer kehrt nun in seine Heimatstadt zurück und präsentiert sich in einer dreiteiligen Personale, die auch zu einer seltenen Programmsynchronizität des Offenen Kulturhauses mit dem Brucknerhaus führte. Zwei Tage nach der Ausstellungs­er­öffnung im OK stand im Mittleren Saal des Brucknerhauses der konzertante Teil von Sam Auingers „a hearing perspective“ auf dem Programm. Auinger ist von seiner Heimatstadt in die weite Welt ausgezogen, um sie zu erhören, abzuhören, an ihr zu horchen, seine hörenden Perspektiven zu ge­winnen, diese elektronisch einzufangen und sie in musikalische Formen – sprich Kompositionen – zu gießen. Ein polyglotter Hörarchäologe und Ohrenspitzer mit einem lust- und genussvollen „Bauchzugang“ scheint Auinger zu sein. Er bringt seine Hörwelten, die auch vieles von Hörschulen ha­ben, in den Konzertraum und macht dabei die Trommel­felle so fragil, dass man das zu-Bodenfallen eines Pro­gram­mes akustisch als Meteoriteneinschlag erlebt. Bemerkens­wert da­­bei war, dass die durchaus vielen Zuhörer nicht un­bedingt der typischen Brucknerhaushörerschaft entsprangen und so­­mit auch nicht an die Rituale des Konzert­be­triebs ge­wöhnt waren: Was dazu führte, dass kaum ein Stück be­gann, ohne dass nicht Zuspätkommende die schon ge­schlos­senen Tü­ren wieder öffneten, ihre Plätze aufsuchten und dabei klarerweise Geräusche verursachten. Geräusche, die man im Kontext der hörsensibilisierenden Musiken stärker, intensiver, störender, aber auch bewusster als Teil der uns permanent umgebenden akustischen Umwelt wahrnahm.
Drei unterschiedliche „Hörperspektiven“ standen auf Auin­gers Konzertprogramm: Als erstes „Saarbrigge 7-49-14“ (2006) für neunköpfiges Ensemble und Tonband. Die Hör­situation entspringt der deutschen Stadt Saarbrücken, die in der Nähe ihres Naherholungsgebietes, dem Saarbrücker Staden, eine mehrspurige Autobahn verlaufen hat, die die Stadt permanent mit einem „Grundton“ versorgt. Ein Grund­ton, der in das Bewusstsein der Bewohner längst mit Selbst­verständnis eingesickert ist und somit der Wahrnehmung un­bewusst geworden scheint. Dieses Geräuschband durchzieht das Stück, gibt dem Stück den Grundton. Töne, die das Ensemble akustisch zu mikroskopieren scheint, in dem sie sie vergrößert, in sie hineinsucht und sie in instrumentaler Lautwerdung aufsucht. Was die ohnehin zugespitzte Hör­situation des Autobahntons im Konzerthaus noch mehr verschärft, da sie instrumental aufgenommen und imitiert wird.
Die „Musik für Streicherensemble Nr. 1“ (2002) war in seiner Konzeption ganz anders. Als Material von außen diente den Streichern – unter anderem Mitglieder des Spring String Quartetts – ein Video. Ohne Noten, bei abgedimmten Licht, blickten die Musiker auf Bildschirme und wurden von einer Videoeinstellung aus der Mojavewüste bildgeleitet. Der Pro­grammbeschreibung nach, da für das Publikum nicht sichtbar, waren darauf ein funktionsloses Windrad und zwei Bäu­me zu sehen. Deren Wehen im leichten „highdesert“ Wüs­ten­wind, die In­tensitäten des den Streichern zugedachten, sich wenig verändernden Klangmaterials zu steuern schien und zum Be­treten eines hypertroph-zärtlichen Klangraums führte, in des­sen Innerem die beiden Celli in poetisch-sinnlicher Dich­te summten.
Nach der Pause fusionierten sich der Vokalartist David Moss, der Cellist Michael Moser, der Bassist Hannes Strobl und Sam Auinger an den Samplern zu „Hometown“. Ein sich auf verschiedene Hörarten fokussierendes Städteportrait von Linz, Berlin und Innsbruck. Dies ist eine im September bei den Tiroler Klangspuren uraufgeführte Klangarbeit von „tamtam“, das Auinger und Strobl zusammenarbeiten lässt. Zusammenwirken mit anderen Musikern, Komponisten und Künstlern scheint für Auinger typisch und notwendig. Die ein­stündige „Hometown“ gliedert sich in fünf Teile. Ein Pro­log, der sozusagen als musikalische Service­leistung den Zu­hörern den Einstieg in das Klangmaterial und die Klang­spra­che erleichtern will, steht vier Sätzen voran: Der erste „Räu­me“ führt in drei städtische Hinterhöfe, die als Cantus firmus dienen, der zweite „Farben“ nähert sich der urbanen Lautsphäre an, der dritte „Rhythmus“ den Met­ren der Stadt und im abschließenden „Raum“ verschmelzen die Fokusie­rungen zu einer Legierung.
Der Rasensprenger ist nicht zu überhören, wie der Fußball, der ständig an die Gartentüre knallt, während die Amsel ihr Lied trällert und dabei durch das Vollgetonhorn der Rettung übertönt wird. Und da beginnt es problematisch zu werden: Diese konkreten Klangereignisse bieten die Oberfläche des Stücks, der man sich schnell und gern nähert, zumindest eine Zeit lang. Diese zwingen einen aber auch an dieser zu verharren oder bieten nicht unbedingt das Trittbrett in eine Tiefenschärfe an. Ein Vollgetonhorn ist klar ausmachbar, aber was will es mehr, als mich daran zu erinnern, dass die Rettung naht und ich im realen Leben aufzupassen habe. Welche Assoziationskette will ausgelöst werden, ohne nur die Dinge beim Namen zu nennen. Für eine Schule des Hö­rens ist die pädagogische Architektur von zu didaktischer Nachlässigkeit und Spannung. Auch wenn es immer wieder zu spannenden Momenten führt, die aber nicht tiefer ein- und abtauchen scheinen zu wollen. Man denkt an Rilkes Wort „... Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus ...“ und freut sich über den lustvoll, sympathischen und virtuosen Zugang des Quartetts an seiner „Hometown“, was alleine diese Stunde aber nicht zu tragen vermag. „Die Dinge sin­gen höre ich so gern“, dichtete Rilke ins selbe Gedicht.

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