Zu Wort und Worten kommen

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René Bauer lädt höchstpersönlich zum Poetry Slammen.

Eine Frage: Als Sie noch ein Kind waren und Ihre Mutter Ihnen Märchen vorlas, saß sie da an Ih­rem Bettrand oder auf einer Bühne an einem Tisch mit Leselampe und Wasserglas? Und Sie durf­ten nicht unterbrechen, nicht lachen, nicht nachfragen und vor allem: nicht einschlafen?
Dann wäre das wohl Ihre erste Begegnung mit der alten Dame Literatur gewesen, eine ernste Person, sehr seriös, möglicherweise eine Bank­an­gestellte, grau meliertes Haar, oft ein wenig sentimental, erzählt Ihnen immer wieder von ihren Problemen und Schwärmereien und lässt Sie da­bei nie zu Wort kommen. Eine für manche etwas, na sagen wir anstrengende Person.
Nun gibt es aber in Linz eine Veranstaltung, die Sie zu Wort kommen lassen will und bei der das Publikum aufgefordert wird, etwas beizutragen, man aber trotzdem einschlafen darf (hey, das ist ein freies Land!): Der Linzer Poetry Slam.
Jeder, der es sich zutraut, kann hier seine eigenen Texte vortragen. Sie brauchen nur Ihre Werke aus der Schublade holen, kommen, Mut haben und die wenigen Regeln beachten, die es gibt: Fünf Minuten Zeit, keine Verkleidung, kein Ge­sang, keine Requisiten. Eine sich spontan konstituierende Publikumsjury stimmt über Ihren Text ab und vielleicht gewinnen Sie den Hauptpreis: Einen Wollsocken voller (anonymer) Spenden­gel­der und den größten Applaus des Abends. Viel­leicht wollen Sie aber auch nur zuhören und ein Glas Wein oder einen Gerstensaft genießen.
Klingt Ihnen das zu unseriös? Zu banal? Wir ma­chen’s schon seit zwei Jahren und uns macht’s Spaß. Dem Publikum auch. Glauben wir. Es kommt zumindest immer wieder. Und Sie? Wa­rum waren Sie noch nie bei uns?

Das Gottesurteil
Trüber Novembermorgen. Habe falsch geparkt.
Bekomme Strafmandat. 21 Euro.
Will nicht zahlen.
Zwei Wochen später. Bekomme Anzeige. Jetzt 35 Euro.
Will nicht zahlen. Schreibe Einspruch.
Vier Wochen später. Einladung aufs Amt. Oder 60 Euro.
Trüber Dezembermorgen. Bin am Amt. Man macht aus mir eine Nummer. Schaue auf die Uhr. Bin keine schnelle Nummer.
Bin dran. Gehe zur Tür. Klopfe an.
Stille.
Gehe rein. Amtsvorsteher sitzt in finsterer Amtshöhle und starrt auf seine leeren Hände.
Bedrückend.
„Guten Tag!“ sage ich.
„Grüß GOTT!“ sagt er.
Amtsvorsteher fummelt an einer Fernbedienung herum und ohrenbetäubende Musik ertönt. Chor. Orchester. Requiem Aeternam. Adagio. D-Moll.
„Was is los?“ fragt Amtsvorsteher.
„Ich erhebe Einspruch gegen die Strafe wegen meines Falschparkens“, sage ich.
„Sowas machma nimma,“ erwidert Amtsvorsteher. „Einsprüche, Berufungen, erste Instanz, zweite. Dauert viel zu lange. Ist viel zu kompliziert. Bürokratieabbau. Verstehen sie? Kommt von ganz oben.“
„Was machen Sie stattdessen?“ frage ich.
„Gottesurteil“, meint er.
„Ja dann los“, sage ich.
Amtsvorsteher klatscht in die Hände. Kessel mit kochendem Wasser wird hereingetragen. Amtsvorsteher sagt, ich soll einen Euro reinschmeißen in das kochende Wasser.
Ich schmeiß rein.
Amtsvorsteher sagt, ich solle den Euro jetzt wieder rausholen.
Ich greif rein in das kochende Wasser.
„Ah!“ Mein Arm. Tut Weh. Hab den Euro.
„War das alles?“ frag ich.
Amtsvorsteher schüttelt den Kopf. Mein Arm wird mir verbunden.
„Kummans in einer Woche wieder! Wenn die Wunde eitert, sind sie des Parkvergehens schuldig. Wenn net ... net.“
Eine Woche später. Ich komme wieder. Bin wieder eine langsame Nummer. Amtsvorsteher starrt wieder in seine leeren Hände. Ich betrete die dunkle Höhle. Amtsvorsteher dreht Musik wieder richtig laut auf.
3. Sequenz des Requiems: Rex Tremendae in G-Moll.
„Wer ist gestorben?“ frag ich.
Amtsvorsteher lässt nur schweigend den Verband vom Arm nehmen. Arm sieht schlimm aus.
Amtsvorsteher sagt: „Da is Eiter.“
Ich sage: „Nein. Das sind nur Hautfetzen.“
Er sagt: „Na, des is Eiter.“
Ratsch. Ziehe Hautfetzen runter und zeige ihn Amtsvorsteher.
„Hautfetzen,“ sage ich.
Amtsvorsteher ist nicht sicher, ob ich das Gottesurteil bestanden hab. Findet ich habe eher Eiter als nicht. Findet ich soll die Strafe zahlen.
Ich finde nicht. „Gibts da nicht noch irgendwie eine Möglichkeit?“ frage ich. „Vielleicht ...
noch ein Gottesurteil?“
Amtsleiter ist begeistert und lässt 10 glühende Pflugscharen holen, über die ich barfuß laufen soll.
Ich gehe mit zischenden Füßen über die Pflugscharen.
Eine Woche drauf: Amtsvorsteher ist sich wegen Eiter wieder nicht sicher. Ich will noch ein Gottesurteil.
Ab jetzt wöchentliche Gottesurteile.
In der Amtskantine stecke ich meinen linken Arm in einen Pizzaofen. Pizza ist fertig. Meine Hand auch. Pizzabäcker streut ganz automatisch Oregano drauf. Ich bestell mir noch Sardellen und extra Käse dazu.
Im Amtsfreibad werde ich gefesselt und ins Wasser geschmissen. Gehe manchmal unter, aber nie lange genug, um als ertrunken zu gelten.
In Amtskeller steckt man mir Nadeln in Muttermale. Manchmal blute ich, manchmal nicht.
Man befiehlt mir zu weinen. Ich weine. Kann das ganz gut. Bin also keine Hexe.
Man zieht mir einen Rock an, ich muss mich auf ein rauchendes Feuer setzen ohne Unterwäsche, die Beine spreizen und den Mund öffnen. Aus meinem Mund dringt kein Rauch. Also bin ich noch Jungfrau.
Verwirrung. Ist aber eindeutig. Gott nimmt da den Mund ganz schön voll finde ich.
Mehrere Monate vergehen. Sitze nun im Rollstuhl. Kopf verbunden. Beide Arme verbunden. Beide Füße verbunden. Alle meine Muttermale aufgestochen. Huste immer wieder Wasser aus meiner Lunge. Weine manchmal zur Vorsicht, um nicht verbrannt zu werden.
Amtsvorsteher hat noch einen Test: Ich solle mein Auto wiegen lassen. Wenn es weniger als eine Ente wiegt, ist es eine Hexe und ich muss die Strafe zahlen. Mein Auto würde dann verbrannt.
Ich schüttle den Kopf. „Das mit dem Bürokratieabbau ist schon eine gute Idee“, sage ich, „aber mir dauert das einfach zu lange.“
Ich zahle die Strafe und bekomme einen offiziellen Bescheid, dass ich noch Jungfrau sei, aber möglicherweise keine Hexe. Muss mich jetzt ein bisschen erholen.

Der nächste Linzer Poetry Slam findet am 20. Dezember statt – der Ort wird noch bekannt gegeben!
Und zwar hier: www.postskriptum.at

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12/07
FotoautorInnen: 
postskriptum

Johann

Publikum beim Abstimmen

Didi Sommer und Linda Wallner, die Vereinsobleute, moderieren das Ganze.

Andi Topf

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