„(...) allerorten Baum­strunken mit jeder Menge an Steckerlzeugs am Boden (...)“

Buchrezension: In Krumau & anderswo: Achsen des Augenblicks von Walter Pilar

Der Augenblick, die Epiphanie, die Erscheinung: „Irgendwo nach Kefermarkt fährt ein Behinderter im Rollstuhl an den Zug heran, stemmt sich hoch & schwingt seinen verkürzten Körper auf den Waggonauftritt, während zwei ältere Leute den Rollstuhl zusammenklappen & ihn der aus dem Ge­päck­wagen herausragenden Hand entgegenstrecken.“

Augenblicke beziehen sich zunächst auf ein äußeres Er­scheinungsbild. Augenblicke sind keine Erkenntnisform, sie passen in kein hermeneutisches Regelwerk, sie bewegen sich nicht von außen nach innen, suchen keinen Bedeu­tungs­kern für die Symptomatik der Alltagsgestik. Ihr Ur­sprung und ihr Austragungsort ist die Spielform reiner Äu­ßerlichkeit.

Pilar registriert Oberflächen. Was er in einem bestimmten, konzentrierten Moment wahrnimmt, nimmt in kleinen Er­leb­nisaufsätzen, Essays, Gedichten, Miniaturen und nicht zu­letzt Zeichnungen Umrisse an. In diesem Transkribieren wird die Epiphanie als wahrgenommener Moment Erschei­nung, Vision: Melancholisch-elegische Gestimmtheiten stellen sich ein, „wenn das, als unbeschreibbar geltende, unendlichkeitsgefühl mit sanftmütigem wohlwollen einströmt & al­les in dir zu tönen scheint: nicht nur weil du dich selbst verzückst & schließlich irritiert dabeibist, wie ein solches irritandum nur in seltenen augenblicken aufkommt; ein anderer zu­stand, der durch besondere ereignisse hervorgerufen wurde & nun zu steigerungen neigt? Ein irritandum insofern, weil sonst ja das kognitive, alltags- & damit überlebensbezogene henkeln und tadeln dominiert.“

Seine Erlebnisse auf Reisen durchs Südböhmische, nach Litauen, Kreta, ins Salzkammergut, seine Zeitsprünge hinter und vor den eisernen Vorhang, seine Besichtigungen, sein Gefängnisaufenthalt, Flüge, Taxi- und Zugfahrten, erste oder wiederaufgenommene Kontakte, Besuche, Gespräche und Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, schließlich seine Heimrei­sen ins immer wieder „zwangsnormale Österreich“ – alles rundet sich, „um sich schließlich zum Exorbitanten zu steigern“.

Achsen des Augenblicks: In die horizontale Ebene des Se­hens ritzt Pilar vertikale Wahrnehmungskerben aus Erin­ne­rungen und Erwartungen. Oder, mit anderen Unbekannten, aber im selben Koordinatensystem gedacht: Auf der Ho­ri­zon­talen seines grundsätzlichen Einverständnisses mit der Welt leuchten Pilars Idiosynkrasien wie Wahrnehmungs­wi­der­haken. Pilar, das schreibende und zeichnende Ich, das nichts von der Stelle bewegen muss, sich keine Zu­sam­men­hänge aufbürdet, schrittweise nach vor geht oder springt, unterbricht, alles berührt und wieder lässt.

Und dennoch hat „In Krumau & anderswo: Achsen des Au­genblicks“ etwas Imperatives. Durch Pilars Beschreibungen, sein Interesse für die sang- und klanglose Wirklichkeit, für das Vertraute, für Unverständlichkeiten und Eigenheiten ent­steht im Leser ein Bedürfnis, ein Zwang, eine Lust … was einen dazu bringt, die Welt beiläufig so und nicht anders zu sehen.

Walter Pilar: In Krumau & anderswo: Achsen des Augenblicks (Verlag Ritter, 2006)

Biografie: Walter Pilar, geb. 1948 in Ebensee (OÖ), lebt als Schrift­stel­ler, Grafiker, „KunstWandwerker & Rauminstallatör“ in Linz. Seit 1968 zahlreiche Lesungen, Aktionen & Ausstellungen. Einträge in Gipfelbücher, Beiträge in in- und ausländischen Kul­turzeit­schrif­ten & Anthologien. Er erhielt u.a. den oö Landes­kul­tur­preis für Literatur. Zahlreiche Einzelpublikationen wie: „LEBEN­SSEE≈ Ge­rade Regenbögen“ (Ritter, 2002).
Ausstellungen (Auswahl): Galerie im Stifterhaus Linz (1992, 2005); O.K Centrum f. Gegenwartskunst, Linz (1992, 1999); Kunst­haus Bregenz (2000).

21
Zurück zur Ausgabe: 
12/07
FotoautorInnen: 
Reinhard Winkler

& Drupal

spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014