Hässliche Entlein – Österreichische Architekturgeschichte in der Wiener Straße

Das Besondere der hässlichen Entlein in Linz ist ja, dass es sich um Alltagsbauten handelt. Wir sprechen also nicht von besonderen Typologien wie Theaterbauten, Museen oder Sakral­bauten, sondern von pragmatischen und „notwendigen“, meist unauffälligen Verwaltungsbauten, Bankgebäuden, Schulbauten oder Produktionsstätten. Folge zwei des Plädoyers auf die Schönheit von Linzer Bauwerken der 60er und 70er Jahre von Lorenz Potocnik.

Diesmal bekommt das von Ernst Hiesmayr und Hans Aigner geplante Wirt­schaftsförderungs­ins­ti­­tut in der Wiener Straße 150 die kleine verspro­chene Portion Aufmerksamkeit. Immerhin wurde mit diesem Bauwerk österreichi­sche Architektur­ge­schichte geschrieben.

„Bauzeit 1965-1967 (bzw. 1959-1967), Grundstück­fläche 31000 m2, verbaute Fläche 7750 m2, um­bauter Raum 120000 m3. Additive Aneinander­rei­­hung der Baukörper. Wahrung von Variabilität und Er­wei­terungsfähigkeit. Kurs­ge­bäude durch drei Stie­­gen­häuser erschlossen, alle Lehrräume von der Hal­le aus zugänglich und kontrollierbar. Kons­truk­tion: Stahl­be­ton­­ske­lett, Vorhang­fassade: Alupro­file und Isolierglasfüllungen, abgehängte Kli­ma­de­­c­ke: Alu­stäbe, Werkstätten: kittlose Vergla­sung, Fuß­bö­den: Hart­as­phalt. 1 Kurs­ge­bäu­de, 2 Werk­stät­ten.“ Die Beschreibung des WIFI im Bau­ten­katalog „Ober­öster­reichische Bauten 1900 bis Heute“ aus dem Jahr 1973 von Sieg­fried Hermann gleicht ei­nem Telegramm und ist so spartanisch und stac­ca­to-artig wie das Bauwerk selbst. (Die Be­schrei­bung ist offensichtlich auf das ausschließliche Fach­publikum zugeschnitten gewesen ... da hat sich einiges in der Rezeption von Architektur ge­tan.) Architekt Hiesmayr und Bau­inge­nieur Aig­ner (beide 2006 verstorben) haben sich hier perfekt er­gänzt und den – einem Wett­be­werbs­gewinn entsprungenen – Entwurf bis ins letzte De­tail realisieren können. Insbesondere das sechs­ge­schossige, schmale, jedoch lan­ge Kurs­ge­bäude wirkt nicht zufällig wie ein Industriebau: Der Rie­gel – er könnte direkt aus einer riesigen Strang­pres­se entstanden sein – gehört zu den strin­­gen­testen Linzer Architekturen der späten Fünfziger und frühen Sechziger Jahre und sollte seiner Auf­gabe entsprechend auch baulich den in­dustriellen Fortschritt symbolisieren. Tatsäch­lich ist dieser Schul­bau auch weit­gehend aus der industri­el­len Formensprache entwickelt, ohne mit den Funk­tionen in Widerspruch zu geraten. Die vorgehäng­ten Fassaden und star­ken Sonnen­schutz­elemente mit ihrer die Dimension des Baues verfremdenden ästhetischen Graphik sind eine für Österreich frü­he An­wen­dung dieser Art. Architek­toni­sche Groß­zügigkeit zeigen auch die im Kursge­bäu­­de liegende, erdgeschoßige ehemalige Empfangs­hal­le (heu­te Cafe) und die Treppen­häu­­ser mit Vor­räumen. Die Schmalheit des Riegels er­laubt trotz Zu­bau­ten eine per­fekte Belichtung für alle Räume. Die Grün­flä­chen geben dem Kom­plex ei­nen parkähnlichen Cha­rakter und ha­ben ein stetiges Wach­sen und „An­do­cken“ im Laufe der Jahr­zehnte er­laubt. Das Kursgebäude über­nimmt hier die Funktion eines Rück­grades, die Bau­pha­sen spielen gut zusammen: Trotz Größe, Höhe und Viel­falt des mittlerweile zu einem Kom­plex herangewachsenen Are­als bleibt eine gute Orien­tierung erhalten. Laut Auskunft des Soh­nes von Aigner wur­den die zahlreichen Um- und Zubau­ten zum Leid­we­sen der Architekten je­doch nicht mit diesen ab­­gestimmt.

Friedrich Achleitner beschreibt in „Der Aufbau und die Aufbrüche, 1945-1975“ (1995, Prestel Ver­lag) das Jahr 1958 als ereignisreich und als Be­ginn eines Umschwunges im österreichischen Bau­geschehen: Fertigstellung der Stadthalle, des Böh­ler-Hauses (beide in Wien und von Roland Rai­ner), des Österreichpavillons in Brüssel von Karl Schwanzer und das WIFI in Linz! Er sieht in Hies­mayr, Schwanzer und Rainer u.a. eine Gruppe, die er der „klassischen Moderne“ zuordnet. Dabei erkennt er eine konstruktiv und funkti­o­nal dominierte (kulturelle) Grundhaltung, eine positivistische und puristische Einstellung, die einen (formalen) Dialog mit der Geschichte grundsätzlich ausschloss und die vordergründig problemorientiert argumentierte. Eine nicht unwesentliche Rol­le spielten die sich damals am Höhepunkt be­find­lichen Seminare über industrielle Vorferti­gung mit Konrad Wachsmann (D/USA) im Rah­men der Salzburger Sommerakademie.

Hiesmayr und Aigner (beide später Professoren für Architektur bzw. Bauin­ge­nieur­we­sen an der TU-Wien) schufen mit dem WIFI einen Bau, der auch die allgemeine Entwicklung der Linzer Architektur beeinflusste, vor allem durch die fast symbolisch technoide Ästhetik, die im neuen Selbst­verständ­nis der Industriestadt Linz eine gewisse Rolle spielte. Hies­mayr konn­te noch viele kleine und große pragmatische Bau­werke realisieren, die der Ar­chitekt Clemens Holz­meister (Zubau Landestheater Linz, 1957) einmal „so wie das Wesen dieses Mannes: großzügig, einfach, ohne Mätzchen und grund­ge­scheit“ charakterisiert hat. Sein bekanntestes Bau­werk jedoch ist das 1984 (nach 16 Jahren Planung und Aus­füh­rung) fertig ge­stellte „Juridicum“. Da­bei handelt es sich um eines der ganz wenigen mo­dernen großen Bau­wer­ke in der Wiener Innenstadt. Un­ter­irdische Hörsäle und abgehängte Ge­schosse schaffen – dank einer ausgeklügelten Konstruk­tion – unglaubli­chen Frei­raum in einer beengten städtebaulichen Situation. Aigner hat u.a. die „neue“ Fischer Skifabrik in Ried oder das Ver­wal­tungsgebäude der Wiener Allianz Versi­che­­rung an der Unteren Donaulände gebaut.

In die ungefähre Zeitspanne der Planung und Um­­setzung des WIFIs fallen übrigens: Die Be­su­che von Nikita Chruschtschow (1960), vom persischen Schah (1960) und vom russischen Kosmo­naut Juri Gagarin (1962), die Neu­er­richtung der Synagoge in der Betlehemstraße nach Plänen von Fritz Gof­fit­zer (1966), die Freigabe des Römer­berg­­tun­nels für den Verkehr (1967) und der Spa­ten­stich zum Bau des Brucknerhauses von den fin­ni­schen Archi­tek­ten Kaija und Heikki Siren (1969).

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05/07
FotoautorInnen: 
Gregor Graf

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