city of respect

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Die „City of Respect“ hat sich der „KunstRaum Goethestrasse xtd“ auf die Fahnen geheftet: In den nächsten Jahren soll in einer Verschränkung aus Prozess und Methodenentwicklung kulturelles Empowerment entwickelt werden, das einer Gesellschaft im Umbruch Möglichkeiten zur partizipativen Gestaltung eröffnen soll: Respekt, Leben und Perspektiven für sich selbst und für alle Be­wohnerInnen der Stadt. Susanne Blaimschein und Beate Rathmayr vom KunstRaum im Interview.

Der „KunstRaum Goethestrasse“ wurde zu „KunstRaum Goethestrasse xtd“ – mit dieser Erweiterung wurde die konzeptuelle Vision „City of Respect“ entwickelt, ein auf mehrere Jahre angelegtes, selbstgewähltes Leitthema, das die ohnehin vorhandene, übergreifende Ausrichtung des KunstRaumes um den As­pekt der Zukunft erweitert. Ist das so? Aus welcher Notwendigkeit ent­stand die Neupositionierung?
Beate Rathmayr: Die erwähnte Erweiterung um die Dimension Zukunft ist für mich so nicht nachvollziehbar, die Notwendigkeit der Neuorien­tie­rung liegt, finde ich viel mehr darin, dass mit der Schnittstelle Kunst/So­zi­a­les einfach oft was auf der Strecke bleibt. Die extended Version versucht, das zu verändern. Dazu fällt mir wieder der Unterschied zwischen Handeln und Tun ein, der dabei sicher auch eine Rolle spielt. Weiters die Definition von Respekt, die das Berücksichtigen, das Rücksicht nehmen und das ge­gen­seitige Beachten beinhaltet, was alles wesentlich für unseren Ansatz ist.
Susanne Blaimschein: Die Bezeichnung xtd beinhaltete in seiner Konzep­tio­nierung die Dimension des Modellversuchs. Mit der nun startenden Umset­zung lassen sich die formulierten Leitlinien, Zugänge und Ziele als realisier­bar und „neu“ erkennen – ich bin davon überzeugt, dass wir damit neue Mo­delle des kontinuierlichen und aktuellen Sichtbarmachens psychosozialer Her­ausforderungen im Feld der Kunst schaffen. Dafür sind Herausforde­run­gen zu bewältigen, um als produzierende Einheit für Wissen, Austausch und Ex­periment offen zu sein. Differenzierte partizipatorische Zugänge sind grund­legend für unsere Arbeit. Dahinter und treibend ist die Vision des Mit­gestaltens durch Wahrnehmen, Erkennen und Be-Achten von Lebens­be­dingungen und Lebensverhältnissen in dieser Stadt, in diesen gesellschaftlichen Systemen konkret durch ein Tun von Vielen. Hier zitiere ich Katha­rina Lenz: „Über die Kunst soll es möglich werden, andere, noch nicht be­gan­gene Wege zu erproben, wobei man sich dazu zwischen verschiedenen Disziplinen, Zielgruppen, AkteurInnen, sozialen Räumen und Orten be­wegt und untereinander Kontakt sucht“.

Der Begriff einer „City of Respect“ hat für mich etwas poetisch-visionäres, erscheint gleichzeitig anachronistisch, wie ein Strukturmodell aus einer an­de­ren Zeit für eine andere Zeit, kurz: eine soziale Utopie, die zu schön ist, um wahr zu sein. Ich finde die Titelgebung interessant, weil das für mich fast eine Zeile aus einem Hiphop-Lyric sein könnte.
BR: City of Respect will sich zum einen durch den Begriff in der Stadt verorten und zum anderen einen Begriff verwenden, der in erweiterter Dimen­sion gesehen wird, der verschiedene Bereiche einbezieht und der mit dem Begriff Respect sehr viel offen hält – weil auch jeder eine Idee dazu hat.
SB: Wertschätzend und be-achtend mit dem Gegenüber umzugehen und ein kooperatives Selbstverständnis sind wichtig, das heißt, jeder ist anteilig für das Gelingen zuständig – es geht um etwas Einfaches und Grundlegendes, und gerade in der Frage von Gestimmtheiten und Gesundheiten nicht im­mer Gelebtes.

Der KunstRaum Goethestrasse xtd hat sich im Laufe seines Bestehens so­wohl Prozessen und Methoden verschrieben, diskursive und partizipative An­­sätze zu entwickeln. Könnt ihr anhand von geplanten Projekten beispielhaft und konkreter beschreiben, wie sich die „City of Respect“ ge­gen „Standar­di­sie­rung von Kultur“ oder „Verwaltet-sein von Individuen“ rich­tet?
SB: Ich greife die aktuellen Veranstaltungen heraus. Ein Projekt das von 2.-4. Mai mit Workshops startet, trägt den Titel „Street Training – city of respect(KR)“. Mit „Street Training“ bezeichnet die Londonerin Lottie Child ih­re künstlerischen Projekte und Methoden, mit denen sie einlädt, die Stadt zu erkunden – mit dem Ziel, durch eine physische Auseinandersetzung mit der alltäglichen Umgebung, einen unüblichen und außergewöhnlichen Mo­dell­ansatz zur Verfügung zu stellen. Es geht da­rum, physische, geistige und soziale Grenzen zu erkennen, zu überwinden, zu verändern oder auch aufzuheben. In der Aus­einandersetzung mit der Stadt und dem Neustadtviertel werden unterschiedliche As­pekte von „Respect“ als inhaltliche Klammer mitbe­ar­­beitet. Das ist ein mehr­tei­liges Projekt, das in Zusammenarbeit von Kunst­­Raum Goethestrasse xtd mit der britischen Künstlerin Lottie Child, mit Aileen Derieg, der englischen Kuratorin Emily Druiff und Radio FRO umgesetzt wird. Es setzt sich gezielt mittels künstlerischen Zugangs mit sozialen und politischen Bedürf­nis­sen und Belangen einer Stadt und ihrer Bewoh­ner­­In­nen auseinander. Für Sep­tember sind weitere Workshops und eine Ausstel­lung geplant.
Ein weiteres, mehrteilig künstlerisch-partizipatorisches Projekt, das sich mit den Fragen von Bil­dung auseinandersetzt, trägt den Titel „Heimat­kun­de – Le­bensmittelpunkt, Kost und Logis im Neustadtviertel“. Eine Kollabora­tion mit Kultur­ver­ein Z6 (Robert Hinterleitner), servus.at (Uschi Reiter) und Kunst­Raum Goethestrasse xtd. Es ist ein Experiment des Austauschs von Wis­sens- und Lebenswelten: Ein kleinster gemeinsamer Nenner ist ein Es­sen, sowie speziell aufbereitetes Wissen und Diskussionsgrundlagen für al­le Gäs­te. Ge­star­tet wird von 25.-27. Mai mit „Will Work For Food“/„3 Brote für ein Lied“, ein Projekt vom Ber­liner Künstler KH Jeron (http://khjeron.de). „Will Work For Food“ ist ein Projekt zum Thema Arbeit und Tauschöko­no­mie: Kleine Robotervehikel tauschen ihre Ar­beits­leistung gegen Lebensmit­tel. Die Vehikel kön­nen zeichnen und pfeifen, näm­lich die Lieder „Happy Birth­day“ und die „Inter­na­tio­na­le“. Am 1. Mai de­monstriert eine Gruppe von Ve­hi­keln auf dem Lin­zer Haupt­platz. Das „Will Work For Food“ Hap­pe­ning wird den Wunsch einer Neude­finition von Arbeit the­ma­tisie­ren, die Ent­kop­pe­lung von Arbeit und der Sicherung der individu­ellen Le­bens­­hal­tung.
Die Projektreihe KontaktZone: Kunst<>Psychia­trie ist eine Zusammenarbeit mit dem Landes-Kran­ken­­haus Steyr, Abteilung Psychiatrie. Der Kunst­Raum Goethestrasse xtd hat zur Auseinanderset­zung mit der räumlichen und in­halt­lichen Di­men­sion der Psy­chiatrie Steyr Studierende der Kunst­uni­versi­tät ein­geladen und wird dabei selbst zum Arbeits- und Zwischenpräsen­ta­tions­raum. In der Zeit vom 14.-23. Mai arbeitet Svitlana Trattmayr vor Ort an ihrem Projekt „Gemein + einsam = Ge­meinsam“. Eröffnet wird die Aus­stel­lung dann in den Räum­lichkeiten der Psychiatrie Steyr am 29. Mai.

Erfahrungen schreiben sich in den Körper ein. Körperlichkeit sowie „umgehende Fak­to­ren“ haben innerhalb der Positionierung des Kunst­Raumes zwischen Kunst und Psy­chosozia­lem wohl eine besondere Realität?
BR: Mir fallen zur Körperlichkeit das Befinden, die Gestimmtheit und die Psychogeografie ein, das sind Begriffe, die mit dem Tun und nicht dem Han­deln in Bezug stehen – und das ist ein Schwer­­punkt in unserem Konzept.
SB: „City of Respect“ zielt auf eine Unvoreingenommenheit gegenüber Krank­heiten ab. Der KunstRaum Goethestrasse xtd, ein Angebot der pro mente OÖ, arbeitet dazu mit künstlerischen Methoden und Modellen, macht sichtbar und zeigt auf.

Ihr habt erwähnt, dass „City of Respect“ eine Be­griff­­lichkeit ist, die gut ist für viele zum Ando­cken? Wen würdet ihr euch dafür wün­schen?
BR: Wir wünschen uns ein Zusammentreffen, eine Kollaboration mit Men­schen und Aktuer­In­nen, die den Willen zum Experiment haben, die sich auf etwas Neues einlassen. Das Aufbrechen von bestehenden Arbeitsbereichen soll Methoden bringen, die ein ständiges Hinterfragen und Verwerfen ak­zep­tieren, wir wollen dort zusam­men­arbeiten, wo man es eigentlich am we­nigsten erwartet, dort wo Kunst/Psychosoziales neue We­ge und Notwendig­keiten erkennen lassen – wo­bei recht schnell klar wird, dass das sehr viele Be­reiche betrifft.

KunstRaum Goethestrasse xtd
Der KunstRaum Goethestrasse xtd arbeitet in und an den Berührungsfeldern von Kunst und Psychosozialem. Als Angebot der pro mente OÖ versucht der KunstRaum Goethestrasse xtd, die Schnittmenge beider sich überlappender Bereiche als Kompetenzzentrum für Psy­cho­so­ziales/Kunst offen zu halten, die ThemenführerInnenschaft darin zu übernehmen und als Ver­netzungsstelle lokal verortet, transdisziplinär und international tätig zu sein.
Was sichtbar wird, ist die Erweiterung des Ausstellungs- und Veranstaltungsraumes hin zum Arbeits- Kommunikations-, Präsentations- und Vermittlungsraum, zum Labor und Pro­duk­tions­raum für „externe“ Ausstellungen. Dabei ist das Labor als ein Betriebssystem zu verstehen – als produzierende Einheit für Wissen, Austausch und Experiment. Es geht um Bildung und kulturelles Empowerment, um Alltagswissen, Wissensweitergabe, um Bio­gra­phie und Erfahrungen aus der eigenen Lebensgestaltung, um ExpertInneninputs und interkulturelle Kommunikation. Der KunstRaum Goethestrasse xtd soll ExpertInnen, Künstler­In­nen und einer interessierten Öffentlichkeit intensiven Austausch ermöglichen.

Gastvortrag von Adrienne Goehler im KunstRaum
Im Rahmen von „City of Respect“ wurde Kultur als „Ge­samt­heit von Lebensgestaltungs­fak­toren“ formuliert, es geht um Partizipation, Empowerment und neue Strate­gien. Mit zwei ge­ladenen Zukunftsgesprächen wurde die Dis­kussion von „City of Respect“ nach Außen ge­star­tet. Die Ebene eines disziplinenübergreifenden Austausches zwischen unterschiedli­chen ExpertInnen findet sich in allen Projekten 2007 wieder. Bereits im März war im Rah­men der Zukunftsgespräche die Berliner Publizistin und Kura­torin Adrienne Goehler im Kunst­Raum Goethestrasse xtd anwesend. Der abgehaltene, öffentliche Gastvortag am 8. März behandelte die Spannungsfelder einer möglichen Kul­turgesellschaft sowie Fragen von sozialer und kultureller Verantwortung. Adrienne Goehler stellte dabei einen Zu­stand zwischen „nicht mehr“ und „noch nicht“ fest – dieser Zwischenzustand eröffnet Raum für „das Neue“. Dement­spre­chend geht es ganz allgemein um einen noch genauer zu entwickelnden Auftrag an Kunst und Wissen­schaft, um für eine sich umfassend im Umbruch be­find­li­chen Welt neue Perspektiven zu entwickeln. Kurz gesagt, es geht darum, einer Gesell­schaft, der ihr gewohnter, an Erwerbsarbeit gekoppelter Arbeitsbegriff rapide abhanden kommt, neue Modelle und Methoden zu er­öf­fnen. Auf einer sozialpolitisch-philosophischen Ebene hat Adrienne Goehler die Philo­sophin Hannah Arendt zitiert, die er­mahnt hat, den Arbeitsbegriff weg von der Er­werbs­arbeit hin zu einer „Gleichrangigkeit der vielfältigen mensch­­li­chen Tätigkeiten“, also hin zu einer „unabweisbaren kreativen Tätig­keit“ zu entwickeln. Adrienne Goehler hat im sel­ben Zu­sam­menhang ebenso André Gorz zitiert, der einen zukünftigen Arbeitsbegriff im Sinne von „poiesis“ definiert hat, was ein ursprüngliches „kreatives fertigen, verfertigen, vermitteln“ meint: Dieser Arbeitsbegriff von „poiesis“ ist als kreativer Prozess auf selbsttätige Ver­wirk­lichung und nicht auf unselbstständige Ar­beit angelegt. Kul­tur­gesellschaft bedeutet einerseits also, den Arbeitsbe­griff von der herkömmlichen Erwerbsarbeit zu entkoppeln, dementsprechend zu ent-werten und wiederum anders wer­tend aufzuladen. VorläuferInnen und ProtagonistInnen dieser neuen Mo­del­le sind dementsprechend und u.a. in einer Avantgarde zu suchen, die an den Rändern der regulären Beschäftigungs- und Versicherungsverhältnisse lebt (bzw. hinsichtlich von Preka­risierung leben muss): Inner­halb des Feldes der KünstlerInnen, Wissenschaft­ler­In­nen, der freien Kulturschaffenden und PublizistInnen gilt es, Stra­tegien und Forderungen zu ent­wickeln, die in ihrer Ziel­setzung einer negativen Avantgarde entgegenzusteuern vermögen. Wenn auch, oder gerade, weil sie darin lebt. „Es wird keine Vollerwerbstätigkeit in Hoch­­preis­­ländern mehr geben“, so die zentrale These von Goehlers aktuellem Buch „Ver­flüs­si­gungen – Wege und Umwege vom So­zialstaat zur Kulturgesellschaft“, dem Sozialstaat ist schlicht­weg sein konstitutives Gegenüber, eben die Voll­erwerbstätigkeit als Standard­mo­dell verloren gegangen. Wir sind gespannt auf das neue, konstitutive Gegenüber der Kultur­gesellschaft – das es, und das macht es unter Umständen schwierig, als solches vielleicht ja gar nicht mehr geben wird können.

Aufruf zur Einreichung von Beiträgen für das Bildarchiv Zorn
Am 14. Juni 2007 wird im KunstRaum Goethestrasse xtd eine Ausstellung zum Thema „Zorn und Aggression“ eröffnet. Ein Projekt stammt von Robert Hinterleitner, der derzeit noch Beiträge sucht: ein Bildarchiv zum Thema Zorn, das auf einer großflächigen Bildtafel erstmalig präsentiert wird. www.kunstraum.at/article.php?ordner_id=4&id=157

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05/07
FotoautorInnen: 
Katharina Lenz

Zukunftsgespräche im KunstRaum Goethestrasse xtd, 7. und 8. März 2007: ExpertInnen aus Politik, Wissenschaft, Soziales, Kunst, Kultur und Wirtschaft wurden zu internen Gesprächsrunden eingeladen.

TeilnehmerInnen der Ausstellung „Zorn/Aggression“ thematisieren die Begriffe Zorn und Aggression auch im Umfeld von Alltagswahrnehmung (Oben: Miriam Bajtala, unten: Amanda Dunsmore).

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