Starkes Werk, zu brav gespielt
Tarquin? Wer war das schnell? Ach ja, das ist doch dieser Typ aus Shakespeares Lang-Gedicht „Die Schändung der Lukretia“, der Sohn des letzten römischen Königs, der eine tugendhafte Römerin vergewaltigt. Die Empörung über diese Tat führte (in realiter 509 v. Chr.) zum Ende der Monarchie und markiert die Gründung der römischen Republik.
Am Linzer Landestheater fand kürzlich die österreichische Erstaufführung von Ernst Kreneks im US-Exil entstandener Kammeroper „Tarquin“ statt. Im Libretto von Emmet Lavery ist Tarquin unschwer als Hitler zu erkennen. Hier ist er ein aus Frust und Kränkung zum Tyrann gewordener Emporkömmling, der sein Heimatland besetzt und zerstört. In der Textvorlage von 1940 sind weitere historische Persönlichkeiten erkennbar, Ignaz Seipel, Kurt Schuschnigg, Himmler und Konsorten. Und es treten Typen auf, wie die leicht zu instrumentalisierenden Mitläufer in Militär und Medien und sich geschmeidig anpassende Künstler.
Die Studienproduktion der Anton Bruckner Privatuniversität, vom Premierenpublikum frenetisch bejubelt, hinterließ zwiespältige Eindrücke. Das exzellente Kammer-Ensemble und das hervorragende Sänger-Quintett brachte die Kraft und Dynamik und Lebendigkeit von Kreneks Musik überzeugend über die Rampe. Doch das erklärte Ziel, einen Beitrag zu leisten zum Diskurs über die Themen Emigration, Vertreibung von Kunstschaffenden, Umgang von Kunst mit Gewaltregimen, das hat die Inszenierung verfehlt.
Und zwar vor allem deshalb, weil sie das Drama zu brav und zu glatt, sozusagen vom Blatt spielen ließ. Was dazu führt, dass die Perspektive der Entstehungszeit der Oper nicht verlassen wird, und diese kann nun einmal nicht anders sein als zu kurz und zu flach. Dabei betteln Laverys Texte geradezu darum, aufgeladen zu werden. Was gäbe allein schon die mythologische Vorlage her an Zeitbezügen: Das Imperium, das zerbricht durch Hybris der Herrschenden. Oder was fänden sich da nicht für lokale Bezüge: Ein Werk eines von der NS-Diktatur vertriebenen Künstlers aufgeführt an einem Haus, in dem der real existiert habende NS-Diktator sich in seiner Jugendzeit an Wagner-Opern und Blut- und Boden-Stücken besoffen hatte. Und in dem übrigens 1935 ein frühes Drama von Emmet Lavery, „Die erste Legion“, aufgeführt wurde, inszeniert vom späteren Weltstar Leon Askin.
Nicht einmal die im Text von 1940 gestreifte Diskussion um das Argument der Einschränkung von Freiheit aus Gründen der Sicherheit wurde in Linz aufgegriffen. „Tarquin“ blieb hier eine professionell vorgetragene, aber doch schon leicht angestaubte Geschichte aus einem sehr viel anderen Jahrhundert. Schade um die vergebene Chance.
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