Aus der Ferne – Kranke, Hypochonder und Schutzheilige

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N. schenkte mir kürzlich ein Büchlein. Das heißt: „Der kleine Hypochonder“. Ich bin nämlich eine gro­ße Hypochonderin. N. weiß das und leidet manchmal darunter. In diesem Büchlein sind viele grau­­sige Krankheiten beschrieben, Symptome und nicht vorhandene Heilungschancen ebenso wie unterhaltsame Abbildungen von Madenfraß im Gesicht bis Ascariasis – eine Krankheit, bei der Wür­mer aus Lungen und Luftröhre über die Blutbahn ... – ach, vielleicht will das ja niemand gar so genau wissen. Ich verzog mich jedenfalls sofort mit einem Buch, hatte es innerhalb kürzester Zeit ausgelesen und lag einen halben Tag später mit einer gar grausigen Grippe im Bett. Wobei – einige der Symptome deuteten auf ein Eosinophiles Myalgie-Syndrom ebenso wie auf eine Nekrotisierende Fas­­ziitis hin. Darauf angesprochen, erklärte N., er habe gedacht, das Buch handle von erfundenen Krankheiten, hätte er gewusst, dass das echte sind, hätte er nie ... Zu spät. Und eine ganz schlechte Idee. Ich leide also. Darunter, dass meine Nase rinnt, mein Kopf ganz schwer ist, ich zwischen den herzhaften Hustenanfällen überraschenderweise nicht zu rauchen vermag und vor allem unter der Vorstellung, dass ich womöglich den Zwölfjährigen angesteckt habe und ich die nächsten Wo­chen damit verbringen werde, ihn zu pflegen. Das ist nämlich das Fatale am Hypochonderdasein: Während man selbst ja nur Hypochonder und gar nicht echt krank ist, sind diejenigen, die man mit den eingebildeten Krankheiten angesteckt hat, immer echt krank und wollen von Hypochondern ge­pflegt werden. Die Echtheit einer Krankheit liegt also im Auge oder auch in den Nebenhöhlen und Bronchien des Betrachters, Viren richten – von der Nicht-Hypochonderseite aus betrachtet – bei Hypochondern nichts an, sondern benutzen sie sozusagen als Wirte, um bei Nicht-Hypochondern anschlagen und ausbrechen zu dürfen.

Nun leide ich aber zurzeit an einer stinknormalen Grippe, und weil alle anspruchsvollen Bücher von N. gelesen werden und ich mir selbst verboten habe, etwas anzufassen, das jemand anderer anfasst, um zu vermeiden, ihn mit meiner, vielleicht ja doch nicht eingebildeten, das gibt jetzt auch – hüstel, hüstel – N. zu, Grippe anzustecken, lese ich Sachbücher. Darunter findet sich ein zumindest im Zu­stand einer Grippe vergnügliches Büchlein namens „Lexikon der Heiligen“. Hypochonder haben keinen Schutzpatron, das ist schade. Dafür haben Architekten gleich drei: Barbara, Thomas und Johan­nes den Täufer. Das ist gut. Rundfunk und Fernsehen werden durch Johanna von Orleans vertreten, das ist genauso gut und entbehrt nicht eines gewissen Sarkasmus’. Für Pressezensur ist Anastasia von Sirmium zuständig. Und weil sich die katholische Kirche nicht so gerne festlegt, dürfen alle Anas­tasia anrufen: Sowohl jene, die sich Beistand zum Gelingen von ausgeübter Zensur herbeisehnen, als auch jene, die davon betroffen sind (Rückschlüsse darüber, dass der Grund dafür, dass jene, die Zensur ausüben, eher Erfolg haben als jene, die sich dagegen wehren müssen, sind in unseren Breitengraden durchaus zulässig: das liegt vielleicht darin, dass erstere eher katholisch sind als letztere). Weil es offenbar überhaupt zu wenige Heilige gibt, sind manche gleich in mehreren Ange­le­gen­heiten anzurufen: Nikolaus von Myra ist zum Beispiel gleichzeitig für Russland, Schnapsbrenner und das Wiederfinden gestohlener Gegenstände zuständig. Wundert sich jetzt noch jemand über das Kli­schee von ständig besoffenen, diebischen Russen? Adalbert von Prag und Benedikt von Nursia können beide dafür in Sachen Europa angerufen werden – Heiligen­ver­schwen­dung im Sinne einer europäischen Nord-Süd-Achse also. Um Wasserscheue kümmert sich Hubert von Maastricht und Lüt­tich. Nur jetzt für den Fall, dass der andere Hubert, der demnächst im Auftrag von Linz 09 die Donau beschippert, womöglich – wäre ja entsetzlich – wasserscheu ist. Katharina von Alexandria könnte al­ler­dings dann bei der Suche nach Ertrunkenen behilflich sein, wir wollen ja nichts Schlimmes hoffen, aber … man könnte das jetzt endlos so weiterführen, zum Glück aber enden grippale Infektionen ebenso wie Kolumnen: Man kann sich schließlich wieder Nützlichem zuwenden.

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