Steinchen für Steinchen
Mosaik ist ein Buch ohne Anfang und ohne Ende. Ein Steinchen für Steinchen. Gibt es einen roten Faden?
Den Faden habe ich mir aus der Chaostheorie gezogen. Aus dem Chaos entsteht Ordnung und aus der Ordnung entsteht wieder Chaos. Möglicherweise ist die Schöpfung eine Ordnung, die im Chaos versinkt, aus der wieder eine Ordnung entsteht. Vielleicht ist die Welt also schon mehrmals entstanden, weil sie schon mehrmals untergegangen ist. Aber das ist letztlich nebensächlich, denn den Weg bis zur Vollendung gibts ohnehin nicht.
Ist das Vollendete ein Bedürfnis?
In „Mosaik“ steht die Farbe Gold für das Ideale. Kinder haben eine starke Beziehung zu Gold. Woher kommt das? Ich weiß es nicht. Die Verehrung für Gold ist etwas so Urtümliches, dass sie nicht erklärbar ist. Wahrscheinlich ist sie angeboren. Die Sehnsucht nach dem Ideal besteht und ist einfach da, zeichnet das Menschsein aus.
„Mosaik“ ist ein Buch aus Fragmenten. Es wird keine Geschichte erzählt, vielmehr ist es eine Darstellung vom Denken in Bruchstücken. Und am Schluss des Buches gibts ein Register, das zwischen all diesen Teilen Ordnung schafft.
Heutzutage ist das Wissen dermaßen umfangreich geworden, dass Allgemeinbildung, wie man sie noch vor wenigen Jahrzehnten gefordert hat, nicht mehr möglich ist. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Aber diesen Zustand, nur mehr fragmentarisch denken und überblicken zu können, das sollte in „Mosaik“ schon auch dargestellt werden. Wir wissen zu genau, dass die Wissenschaft in fünf Jahren etwas ganz anderes behaupten kann als heute. Eine allgemeine Skepsis hat sich breitgemacht. Die Ordnung, der Rahmen ist aber doch ein Bedürfnis. Sonst wird man unsicher. Aber diese Ordnung kann jeder immer nur für sich selbst herstellen.
In „Mosaik“ gibt es kaum einen Behauptungssatz, der nicht gleich wieder durch eine Frage relativiert wird. Was stimmt – stimmen könnte – bleibt immer dahingestellt.
Wie stellt man sich zu den Fragen? Alles ist fraglich. Antworten können immer falsch sein. Wie kommt man zu Antworten? Man kann nichts gegen Fragen und wenig für Antworten tun. Also findet man sich mit dem bruchstückhaften Wissen ab, oder man leidet ewig darunter. Aber darunter zu leiden ist überflüssig.
Ein Steinchen im „Mosaik“ befasst sich mit Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Aber das Werk scheint sie weniger zu interessieren als dessen Überschrift, die Sie über Seiten spielerisch zerpflücken.
„Die Welt als Wille und Vorstellung.“ Der Titel klingt doch vielversprechend! Mich hat das Buch selbst ehrlich gesagt nicht sonderlich beeindruckt. Aber dass es diesen Titel gibt, rechtfertigt das ganze Buch. Ich muss dazu sagen: Das ist nicht unbedingt mein genereller Umgang mit Philosophen. Wenn ich lese, lese ich zumeist sehr diszipliniert. Für mich war die Philosophie immer wichtig, schon allein deshalb, weil ich sie als Impuls für mein eigenes Schreiben gebraucht habe.
Gibt es Sätze, die für sie Gültigkeit haben?
Ja, Wittgenstein: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ Dieser Satz ist richtig, man kann ihn nicht widerlegen. Im Grunde sagt er aber gar nichts. Vielleicht obwohl – oder vielleicht weil er so richtig ist.
Ist „Mosaik“ nicht ein ähnlich vielversprechendes Wort?
Ich würde es so nennen: Als Titel meines Buches ist es ein Versuch, ein Problem zu lösen. Das Problem nämlich, dass eine Erzählung nur im Nacheinander funktioniert. Ein Bild, zum Beispiel, ein Gemälde, kann mehrere Dinge zugleich darstellen. Das war für mich immer ein Problem: Man kann Gleichzeitigkeit nicht erzählen. In der Vorstellung ist „Mosaik“ ein Gemälde. Etwas Zweidimensionales. Das war für mich die Lösung des Problems. Natürlich nur in meiner Vorstellung.
Ist es möglich, „Mosaik“ in der Mitte aufzuschlagen und zu lesen?
Naja, besser wär’s schon, man liest es vom Anfang bis zum Ende.
Warum?
Es gibt zwar keine Entwicklung im Buch, es ist ja kein Bildungsroman. Es ist ein Zeitgemälde. Aber es will Beziehungen herstellen. Die Figuren im Buch haben Beziehungen.
Sind die Beziehungen der Figuren im Buch Freundschaften?
Ja, das sind sie. Die Menschen beschäftigen sich miteinander. Wenn auch immer auf die eine oder andere Art unwirklich. Und gerade das halte ich für realistisch.
Sind solche Beziehungen als innig möglich?
Ja. Aber nicht auf Dauer.
Ist Liebe eine Augenblickserfahrung?
Ich glaube, die wahre Liebe ist doch etwas, das dauert. Alles andere ist vergänglich.
Sollte man sich mit dem Vergänglichen abfinden?
Das Anerkennen von Tatsachen, die man nicht ändern kann, ist eine Intelligenzfrage. Aber bitte. Ob das jetzt stimmt, ist fraglich.
Das Denken in „Mosaik“ ist wie ein Hin- und Herlaufen zwischen den Figuren. Es gibt kaum Monologe. Wie wichtig ist Ihnen das Ich? Das Du? Das Wir?
Ich bin kein ich-bezogener Mensch, mich interessiert die Welt.
Eine Frau, eine Feministin – ich bin nämlich keine Feministin, das möchte ich dazusagen – hat mir gegenüber einmal behauptet, dass Frauen immer vom „Wir“ reden und die Männer immer vom „Ich“. Mir ist das genaue Gegenteil aufgefallen: Die Frauen reden immer vom „Ich“ und die Männer vom „Wir“. Nun behaupte ich nicht, der Feministin gegenüber Recht zu haben, aber es zeigt sehr gut, wie sehr die Einstellung, die man der Welt gegenüber hat, die eigene Erkenntnis von der Welt trügt, nicht?
Hatten sie nie das Gefühl, es als Frau etwa im literarischen Betrieb schwerer zu haben als Männer?
Nein, so hab ich nie gedacht. Wenn ich mich nicht durchgesetzt habe, dann wegen meiner eigenen Unfähigkeit. Mit meinem Frausein hat das nichts zu tun.
Gibt es so etwas wie weibliches Schreiben?
Nein, Quatsch. Es gibt Kunst und Dinge, die keine Kunst sind. Bewusstsein für geschlechtliche Identitäten halte ich da nicht für relevant.
Ich bestreite ja nicht, dass es einen Unterschied zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen gibt. Aber das ist nichts, auf das ich mich versteifen will. Daraus will ich kein Programm machen. Ich würde jetzt nicht sagen, dass Kunst ungeschlechtlich ist. Aber letztlich ist Kunst ein Begriff, dem man in seinem Anspruch entspricht oder eben nicht. Doris Dörrie hat einmal in einem Interview gesagt: „Wir Frauen wollen nicht in den Olymp. Wir wollen den Menschen Freude machen.“ Da hab ich mich gefragt: Wie kommt sie dazu, mich mit diesem „Wir“ zu vereinnahmen?
Ich will in den Olymp! Gut, ich habs nicht geschafft, aber es war mein Ehrgeiz. (lacht).
Sind Lebensituationen der Menschen nicht unterschiedlich und oft ungerecht?
Ja, aber werden Männer nicht auch unterdrückt?
Im Mosaik gibt’s aber ein Kapitel, das sich mit dem Thema auseinandersetzt. Die Frauen, die kleiner gewachsen sind als die Männer und darum auf die Männer hinaufblicken müssen.
Vielleicht klingt das feministisch, aber ich habs nicht so gemeint. Es ist eine Beobachtung, eine Feststellung.
… die bei mir in ihrer Einfachheit ironisch angekommen ist. Ist Ihnen Ironie wichtig?
Nein, nicht beim Schreiben und auch nicht als Lebenshaltung. Aber Ironie hilft manchmal, die Dinge besser ausdrücken zu können. Ironie ist auch ein Behelf, um die Ungenauigkeit des Wissens offenzulegen. Aber Ironie ist keine Kunst an sich.
Ist Melancholie eine Lebenseinstellung?
Nicht meine. Ich bin positiv. Mir wird immer gerne attestiert, ich sei wohlwollend. Das ist einer meiner positiven Wesenszüge.
Ist „wohlwollend“ nicht auch schon wieder ein ironieverdächtiges Wort? Also wenn jemand Sie für wohlwollend hält, empfinden Sie das als Kompliment?
Naja, ich kann mir schon vorstellen, dass jemand das ironisch meint. Aber ich selbst empfinde mich eher als wohlwollend, denn als übelwollend. Aber ich will hier nicht meine positiven Charaktereigenschaften unterstreichen. Ich hab 30.000 Fehler, und mein größter Fehler ist, dass ich feige bin.
Aber andererseits braucht es doch sehr viel Mut, um von sich zu behaupten: Ich bin feige.
Finden Sie?
Schwäche zu zeigen braucht doch erst Mal Stärke?
Ich behaupte meine Feigheit auch erst seit rund 20 Jahren. Empfunden habe ich das aber immer. Nur war ich früher eben zu feige, um das zuzugeben. Also insofern haben Sie schon recht. Irgendwann bin ich mutig genug geworden, um mir meine Feigheit einzugestehen. Sagen will ich: Ich halte mich nicht für den idealen Menschen und ich kann mir den idealen Menschen auch nicht vorstellen. Aber das ist ja auch nichts, worüber man verzweifeln müsste.
Sie leben schon sehr lange, wenn ich das so sagen darf. Ich bin 41. Als ich auf die Welt gekommen bin, waren sie 45 Jahre alt. Haben Sie das Gefühl, viel erlebt zu haben?
Sie machen sich keine Vorstellung davon, wie viel ich erlebt habe.
Welches Jahrzehnt war das Beste?
Ich kann das jetzt gar nicht mit den geschichtliche Ereignissen in einem Zusammenhang sehen. Für mich war die Zeit zwischen meinem 50. und 60. Lebensjahr die beste. Da war ich noch kräftig, hatte schon viel Erfahrung und sehr gute Beziehungen mit Menschen. Mit 50 nähert man sich doch einem sehr bewussten Mensch-Sein. Mit 50 hab ich begonnen, Verständnis für die Welt zu entwickeln.
Irmgard Perfahl, geb. 1921 in Birkfeld. Germanistikstudium. Erste schriftstellerische Arbeiten in den 50er Jahren; zwei Literaturpreise: Kulturförderungspreis der OÖ Landesregierung; Theodor Körner Preis.
Wichtigste Veröffentlichungen:
Guten Tag Freiheit; Schwarzes Lächeln Senegal; Mosaik; Eukalyptus, was flüsterst du.
Lesung: (voraussichtlich) 22.5.07, Buchhandlung „seitenreich“, Bürgerstr. 34
Veranstalter: Karl-Heinz Wagner, der das Geschäft seit Juni 2004 führt und mittlerweile monatlich Lesungen veranstaltet. „Leider und freilich nicht um reich zu werden“, wie er meint, sondern um zwischen Büchern, Autoren, Lesern und ihm selbst, dem Buchhändler, stille, symbiotische Abende zu feiern.
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