Was machen Denkmale, und wer macht sie?

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Die Gedenk-Kultur hat begonnen, sich zu verändern. Das Pathos der Aufklärung ist in der Krise, die nächste Generation geht anders an die Sache heran – offener und komplexer. In Oberösterreich gibt es aktuelle Projekte zum Thema NS-Verbrechen und Erinnerung. Walter Kohl wurde beauftragt, die Projekte zu beleuchten und reflektiert in diesem Zusammenhang Gedenk-Kultur.

In einem Dorf in Oberösterreich steht mein Name auf einem Krieger­denk­mal. Es ist eine grobe Stein­platte, in den verwitternden Granit sind zwei lan­ge Reihen von Namen eingemeißelt, ne­ben jedem stehen Geburtsjahr, To­des­jahr und der Ort des Ablebens. Über den Namenslisten steht, in annähernd doppelt so großen Lettern: Sie starben für unsere Freiheit. Darüber ein Helm aus Stein, gebettet in ein Büschel welkes Laub, wahrscheinlich Ei­che. Als Kind kam ich auf dem Weg zur Schule fast jeden Tag an dem Denk­mal vorbei. Dass mein Name hier steht, hat mich irritiert. Dass man mir sag­te, dass dieser Mann ein Onkel von mir wäre, wenn er noch lebte, hat die Ir­ri­ta­tion nicht gemindert. Einmal, als zu Allerheiligen viele meiner Ver­wand­ten auf den Friedhof ge­kom­men waren, habe ich sie gefragt, warum der Mann, der meinen Namen trägt, an einem Ort für unsere Freiheit gestorben ist, der so weit weg ist, dass mir keiner auf einer Landkarte zeigen konn­te, wo dieser Ort ist. Niemand hat mir geantwortet.
Vor kurzem war ich Gast eines Symposions zum Thema Gedenk-Kultur in Pots­dam. In zwei Sit­zungs­sälen gingen die Diskussionen hin und her: Was be­deutet Gedenken? Wer macht Denkmale? Was können/sollen sie bewirken? Wie soll man der Vergangenheit gedenken? Und, in Potsdam be­son­ders wichtig: Welcher Vergangenheit soll man gedenken? Beim Symposion selbst und in den Medien war die Bandbreite der Antworten sehr breit. Ver­wirrend breit. Von Ratschlägen, Aus­maß des Forschens und Registrierens doch ein­mal zu überdenken, bis zur Forderung nach umfassender Doku­men­tierung der Vergangenheit reichte die Palette. Die Potsdamer, die in Sa­chen Gedenken nicht nur die Nazizeit und die DDR ab­zuarbeiten haben, son­dern sich auch noch herumschlagen müssen mit (meist kapitalstarken, aus dem Westen kommenden) Preussen-Nostal­gi­kern wie Günter Jauch, die am liebsten jedes weggebombte oder von der DDR gesprengte Schloss nach­bauen möchten, sind möglicherweise nicht die kompetentesten Aus­kunfts­personen zu diesen Fragen.
Aber wer ist kompetent? Wer legt fest, wie Ge­denk-Kultur auszusehen hat? Wer macht die Denk­male? Und wer verschafft sich auf diesem Weg die Deu­tungshoheit, die Kompetenz zu entscheiden, was und wie über die Ver­gan­genheit be­richtet wird? Die Granitplatte mit meinem Na­men drauf, welcher der Name meines toten On­kels ist, hat meine Vorstellung von Denkmälern nach­haltig geprägt. Irgendwie verband sich mir damit stets ein vager Bei­geschmack von Pathos und Belehrung. Herkömmliches Erinnern via Denk­mälern besteht – oder: bestand – ja zu ei­nem Gutteil daraus.
Doch die Gedenk-Kultur hat begonnen, sich zu ver­­ändern. Das Pathetische und das Päda­go­gi­sche verflüchtigen sich. Dies hängt damit zusammen, dass die Arbeit der Erinnerung an den einschneidendsten Bruch in unserer Kul­tur allmählich von den Kindern der WK-II-Generation auf die Enkel übergeht. Und es hat zu tun mit einer deprimierenden Erfahrung: Die Tatsache, dass im­mer mehr Jugendliche anlässlich schulischem Geschichts­unter­richts Holocaust-Gedenkorte zu Gesicht bekommen, hat die Verbreitung neo­nazis­tischen, rassistischen und xenophoben Gedan­ken­­guts unter jungen Menschen nicht verhindert. Ein weiterer gewichtiger Grund: Diejenigen, die Verfolgung noch am eigenen Leib erlebt ha­ben, werden immer weniger. Da­mit gelangt über kurz oder lang jene Art des Sich-Erinnerns, die mit dem Be­griff Zeitzeugenschaft verbunden ist, an ihr Ende.
Um mit dem Grazer Historiker Helmut Konrad zu sprechen: Das Pathos der Aufklärung ist in der Krise, und die Gegenwart, welche ja darüber be­stimmt, welche Vergangenheit sichtbar gemacht wird, ist eine andere ge­wor­den. Die Gedenk­kul­tur meiner Generation, jener der Töchter und Söh­ne, war bestimmt von kritischer Auseinan­der­setzung mit der Generation der Väter und Res­pekt vor der Generation der Opfer. Die nächste Gene­ra­tion geht anders an die Sache heran, offener, komplexer. In Oberösterreich gibt es aktuelle Beispiele dazu:
Den „Audioweg Gusen“ etwa, eine begehbare Skulp­tur des Künstlers christoph mayer chm. Be­sucher des Geländes, auf dem vor Jahrzehnten die Maut­hausener Außenlager Gusen I und Gu­sen II standen, bekommen Kopf­hörer und ein Ab­spielgerät. Während sie das einstige Lagerareal ab­schrei­ten, hören sie Stimmen; Stimmen von Über­lebenden und von Zeitzeugen, und auch Be­richte von Tätern und vom ehemaligen Ange­hö­ri­gen der Wach­mannschaften. Die Idee dahinter: Es ist unmöglich, mittels Sehen einen Ein­druck vom Grauen des Ortes zu bekommen. Denn an der Stelle der KZ-Ba­ra­cken stehen heute Einfa­mili­en­häuser. Was dem Sehen nicht gelingt, soll das Hö­ren schaffen. Die Berichte und Erzählungen aus den Kopfhörern ma­chen den Bruch deutlich, der zwischen der heutigen „Normalität“ der Land­schaft und ihrer historischen Bürde besteht. Der Audioweg Gusen soll am ersten Mai-Wochenende eröffnet werden. Die „unstimmige Erfahrung“, die er vermittelt, schafft meines Erachtens etwas We­sentliches: Sie vergegenwärtigt nicht nur die Un­fassbarkeit des Grauens. Sie thematisiert auch ei­n anderes Grauen: Jenes, das einen beschleicht, wenn einem klar wird, mit wel­cher Macht an Or­ten wie Gusen das Vergessen versucht wurde.

Ein weiteres Projekt mit einem neuen, anderen Zugang zum Gedenken hat in jüngster Vergan­gen­heit die Gemüter in Oberösterreich erregt: „Ge­fallene Helden“ der Linzer Kunst- und Kul­tur­initiative qujOchÖ. Die Pletten­berg’
schen Reiter­standbilder aus der Nazizeit, die Nibelungen­hel­den Siegfried, Kriemhild, Gunther, Brunhild darstellend, sollen im Kulturhauptstadtjahr wieder an den Brückenköpfen der Nibelungenbrücke stehen. Allerdings nicht aus Granit oder Marmor ge­fertigt, sondern in einer Ausführung, welche die Beispiele der NS-Ästhetik innerhalb weniger Mo­nate zerbröseln und da­mit verschwinden lässt. Vor­ab-Kritiker haben sich zu Wort gemeldet: Was, wenn die Betrachter die Nazistatuen nicht als kritische Ausei­nan­der­set­zung sehen, wie von den Ini­tiatoren gedacht, sondern als bloße Bebil­de­rung? Was, wenn Fotos davon um die Welt gehen und Linz eingeholt wird von seinem Kains-Mal, „des Führers Lieblings­stadt“ gewesen zu sein? Ich denke eher, dass Gerhart Marckhgott recht hat, der Leiter des OÖ. Lan­desarchivs, wenn er sagt: „Die Leute werden aufmerksam, dass es hier et­was zu diskutieren gibt. Das wird wohl nieman­dem erspart bleiben. Das ist vielleicht die Chan­ce, dass die His­tori­ker­statements wesentlich mehr Gewicht bekommen, wenn sie in eine aktu­elle Dis­kussion eingebettet sind.“

Die Schwierigkeit der Erinnerungsarbeit einer nach dem Holocaust aufgewachsenen Generation ist das dezidierte Thema der Ausstellung „329 km Erinnerung/Absenz“, die seit Jänner im Besucher­zentrum der KZ-Gedenkstätte Mauthausen zu se­hen ist. Das Projekt der Künstler Alexander Joechl, Hermann Lohninger und Chris Müller macht etwas eigentlich Unvorstellbares, Unfass­bares plastisch und fassbar: Eine Menschenkette von 200.000 Personen (das ist die Zahl der im KZ Mauthausen gequälten Menschen) wäre mehr als 300 Kilometer lang, wenn sich die Menschen die Hände reichen. Exakt 329 Kilometer lang ist die Entfernung zwischen dem KZ Mauthausen und dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, wo die Nazis nicht nur ihre Groß-Inszenierungen der Macht veranstalteten, sondern auch mit den Nürn­berger Rassegesetzen den Grundstein legten zur Vernichtung anderer.

Noch ein Beispiel für eine Gedenkstätte mit unpathetischem, offenen Zugang, geschaffen von einer jungen Künstler-Generation: Die hörbare Text­skulp­tur „Nachklang-Widerhall“ der Gruppe kult-ex, die am 11. Mai in Leonding eröffnet wird. Vor dem Friedhofseingang steht da eine Bank, flankiert von Stelen, aus einer dieser Stelen ertönen die Stimmen zahlloser österreichischer Autor­in­nen und Autoren, die sich in ihren Werken mit Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung durch die Nazis und dem Widerstand dagegen befasst ha­ben. Die Gewichtigkeit dieses schlichten Mahn­mals geht weit über seine offensichtliche Be­deu­tung hinaus. Denn es hebt die Bedeutung und Strahl­kraft eines anderen Denkmals auf, das sich gleich in der Nähe befindet. Dieses andere Denk­mal ist nie formell oder offiziell enthüllt oder ein­geweiht worden, es gibt keine Bilder von Geden­kenden, die mit gesenkten Köpfen davor stehen – zumindest keine veröffentlichten Bilder.
Ich spreche vom Grab der Eltern Adolf Hitlers auf dem Leondinger Friedhof. Hier sind anonyme Denk­mal-Macher am Werk, seit Jahrzehnten. Sie sorgen dafür, dass sehr regelmäßig frische Blu­men auf dem Grabmal liegen. Auf diese Art ma­chen sie aus einer Begräbnisstätte ein Denkmal. Für jene Person der Zeitgeschichte, die an obers­ter Stelle der Liste jener steht, bei denen sich ein ehrendes Andenken verbietet. Da drängt es sich geradezu auf, dem ein Zeichen entgegen zu setzen. Indem mit der Installation von kult-ex der Op­fer gedacht wird, stellt hier jemand den Blu­men auf dem Grab der Hitler-Eltern ein Nein entgegen.

Ich persönlich wünsche mir von Denkmalen, dass sie Präsenz bewirken. Die Geschehnisse, die Ta­ten, die Untaten, die Verbrechen sollen präsent blei­ben. Und vor allem diejenigen, die es betroffen hat. Die Menschen. Die Opfer. Ich halte beispielsweise die Gestaltung des Raumes vor der Gas­kammer in Schloss Hartheim für exemplarisch richtig und wichtig und notwendig. Dort stehen die Namen von zigtausenden Opfern auf Ple­xiglastafeln. Damit werden die Opfer der NS-Eu­tha­nasie, über die man so lange geschwiegen hat, präsent. Wenn man Menschen benennt, wenn man sie namhaft macht, dann bewahrt sie das vor dem Verschwinden.

NACHKLANG – WIDERHALL: Eröffnung: 11. Mai, 14.30 h, Leonding. Vie­le der beteiligten Schriftsteller­Innen werden ihre Text­beiträge zur Klangsäule lesen. Zeit­gleich mit der Er­öff­nung wird eine Doppel-CD mit den Bei­trägen der Autor­Innen erscheinen, auf der Projekt­web­site www.nachklang-widerhall.at werden die Texte hör- und lesbar sein.
AUDIOWEG GUSEN: Eröffnung: 5. Mai ab 14.00 h, Be­su­cher­zentrum/Memorial Gusen.
Informationen unter www.audioweg.gusen.org

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FotoautorInnen: 
kult-ex

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