Reden im Regen

Beim heurigen Festival 4020 wurde Christoph Herndlers „vom Festen, das Weiche“ durch das griechische dissonART ensemble interpretiert. Anlass, dem oberösterreichischen Komponisten, näher auf die Klangspur kommen zu wollen, und ihm in seinem Hausruckviertler Vierkanter einen Besuch abzustatten.

Die „Eismänner“ bescheren abgekühlte Maitage. Wir sitzen in der Stube ei­nes Vierkanters. Der Ka­chelofen spendet wohlige Wärme, draußen regnet es. „Re­den im Regen“, bringt es Christoph Hernd­­ler auf den Punkt. Da­zwi­schen schlägt die alte Pendeluhr die Viertelstunden an und das un­ab­läs­sige Krä­hen des Hahnes dringt vom Hof ins In­nere. „Und abermals krähte der Hahn“, kommt mir Bachs Matthäuspassion in den Sinn. Bach liegt auch auf No­ten­pult des betagten Flügels, und nicht irgendein Bach, die Goldberg­vari­atio­nen. Das an­ge­graute Instrument korrigiert die Szene, in der man sich zu finden glauben könnte. Der Vier­kan­ter liegt auf einem Hügelrücken, genau ge­sagt in Unterhöftberg 3, gehörig zu und nahe von Gas­polts­hofen, mitten im Landl, wo Herndler auch das Licht erblickte. Seit 1994 lebt er wieder – ge­­mein­sam mit seiner Frau Mary Fernety und Toch­ter Elsa – in seiner Hei­mat.
Herndler war Florianer Sängerknabe, durchlief im Linzer Musikgymnasium Balduin Sulzers Mu­sik­werkstatt und studierte Orgel, Elektroakustik und Kom­position an der Wiener Musikhoch­schu­le. Dort begegnete er Roman Hau­benstock-Rama­ti, der ihm zur zentralen Lehrerfigur wurde. Spä­ter führten ihn mehrjährige Studienaufenthalte in die USA.
Bemerkenswert ist, dass es immer wieder Orga­nis­ten sind (in seiner Ge­ne­ra­tion sei an Klaus Lang, Wolfgang Mitterer oder Josef Novotny er­in­nert), die mit ihrer Arbeit neue, wenn auch sehr unterschiedliche, Klang­blick­win­kel zu eröffnen ver­­mögen.

Unser Gespräch im Hausruckviertler Vierkanter dreht sich nicht um agrari­sche Fruchtfolgen und doch irgendwie. Christoph Herndler ist Kompo­nist, wenn auch die Begrifflichkeit nicht stimmt, wie wir sie heute verwenden. Mit Leonardo da Vincis Zitat „Musik beschreibt die Dinge, die man nicht se­hen kann“ konfrontiert, reagiert Herndler klar: „Um die Dinge, die man nicht sehen kann, zu sehen, muss man mitunter die Mittel ändern.“, und fragt sich gleich weiter, warum jemand so einen Satz sagt. „Entweder geht aus dem Satz ein Bedürfnis hervor oder es ist eine Gegenposition zu einer Hal­tung, die zu dieser Zeit herrscht oder es ist eine Sichtweise, die keine Ge­gen­po­si­ti­on ist, aber etwas sichtbar macht, was man in dieser Zeit scheinbar nicht so sichtbar vor sich hatte.“ Bei sei­ner präzisen Analyse verlangsamt er sich eine Spur, scheint das Echo seiner Worte noch einmal auf deren Richtigkeit zu überprüfen und fokussiert mit seinen Augen einen Punkt, auf de­nen er seine Aussagen wohl bringen will. Eine selbstverständliche und lebensnotwendige Gründ­­lichkeit scheint ihm eigen: Er geht den Dingen auf den Grund.

Also ist er doch irgendwie Landwirt, in dem er Fel­der bestellt, Spielfelder formt, auch wenn sie so ganz anders aussehen, wie man es gewohnt ist. Wenn man als Musiker das erste Mal auf Hernd­lers Partituren trifft, macht sich oft, neben einer Faszination über die abstrakt-geometrischen Kunst­­wer­ke, eine Ratlosigkeit breit, die durch Nicht­auf­­finden konventioneller Noten­köpfe aus­gelöst wird. Was menschlicher Natur gemäß Zweifel breit wer­­den lässt, da man sich des vertrauten Nota­tions­bodens entzogen sieht. Meist kommt man dabei gar nicht auf die Idee, dass es zum Einen andere Fixie­run­gen gäbe oder zum Andern, dass konven­tionelle Notation nicht nur die klanglich-mu­si­ka­li­schen Intentionen eines Komponisten transportiert, die wir unangefoch­ten für absolut fixiert und absolut lesbar halten, ohne dass wir die Schrift an sich in Zweifel ziehen. „Es ist entscheidend, Kom­positionen auch im Licht ihrer Notation zu be­­trachten.“, schreibt Herndler in seinen ge­misch­­ten Be­mer­kungen. Ein fundamentaler Hin­weis, dem klassisch ausgebildete Musi­ker sich in den seltensten Fällen stellen.

Die gesellschaftliche Relevanz von Herndlers Ar­beit wird bei näherer Be­trachtung schnell spürbar: „Das Tückische ist, dass der, der das System bedient, und sich darin selbst verwirklicht sieht, das System selbst nicht mehr hinterfrägt, und damit garantiert, dass es funktioniert.“ So wie eben der Musiker Eigenverantwortung an die ihm mit blinden Vertrauen gewürdigte Notation ab­gibt, und dabei nicht merkt, wie sehr er sich in einer konditionierten Rolle befindet, in der er frei zu sein glaubt.
 
Es ist nicht einerlei wie man eine Idee notiert, denn die Art der Notation wirkt ihrerseits auf die Idee selbst.
„Die Zeichen, derer er sich in seinen Notationen bedient, sind aber kein Re­sultat des Bestrebens, Klangvorstellungen möglichst präzise zu notieren, sie wollen vielmehr neue Offenheiten schaffen. Hernd­­ler erfindet keine neuen Zeichen, weil ihm die konventionelle Notenschrift zu unpräzise er­schiene, weil er neue Chiffren für das benötigen würde, was er in seinen Partituren fixieren möchte. Er will in seinen Notationen Raum schaffen für Unbe­stimm­bares. Herndler erweitert den in­di­­viduellen Handlungsspielraum enorm, ver­sucht aber mit seinen dialektisch zwischen Frei­heit und Determination agie­renden Versuchs­anord­nun­­gen auch die Clichés zu umschiffen, die freies Im­pro­vi­­sieren anscheinend zwangsläufig erntet.“, schreibt Florian Neuner in „Beiträge über neue Mu­­sik“.
„Als Komponist versuche ich Formen zu finden, die sich direkt in der Zei­chenhaftigkeit der No­ta­tion grafisch abbilden.“ so beschreibt Herndler sei­ne Tätigkeit, die für ihn noch nicht Kom­po­nie­ren an sich ist, sondern eben Erfinden von Form. „Um zu einem klanglichen Resultat zu gelangen, liest der Interpret die Form selbst und nicht wie üblich eine Mittelsschrift hinter der sich die Form verbirgt. Durch diese Art der Notation bleibt die Form auch für andere Medien sicht- und somit di­rekt interpretierbar.“

„Jenseits von der sogenannten ‚Improvisation‘ fixieren meine Notationen je­nen Freiraum, der ansonsten nur in der Improvisation selbst zu finden ist. Der so genannte ‚kompositorische‘ Vorgang des Notierens reduziert sich meist auf das Herausschälen einer grafischen Form, die sich auf Grund we­niger Anfangsbedingungen (meist durch Kombinatorik) letzten Endes wie von selbst entwirft. ‚Kompositorische‘ Tätigkeit ist demnach für mich kein Im­pro­visieren am Papier.“

„Auch wenn meine kompositorische Arbeit über die Jahre immer um dieselben Ideen kreist, so passiert es auch manchmal, dass sich da und dort ein neuer, unbekannter Aspekt in sie einschleicht. Für kurze Zeit mag dieser dann die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen, aber früher oder später tritt auch das Neue in jene Umlaufbahn ein, die vom Gravitationsfeld ein paar weniger Ideen angezogen wird.“

„Am Ende möchte ich mich aus meinen Kompositionen soweit als möglich zurückgezogen haben. Die Idee finden, aber sich aus ihr heraushalten. Je zwingender die Idee, umso eher gestaltet sich die Zeit und nicht ich sie. Die Komposition macht die Idee sichtbar, so wie jedes Zeichen zum Auge dringt. Wird sie gespielt, verkörpert sich zwar die Idee aber verschwindet gleichsam in den Körpern durch die sie hindurch muss, um zu klingen. Bleibt die Lust am Klang: Ein Zeitvertreib.“ (Zitate aus: Gemischte Bemerkungen)

Christoph Herndler, *1964
Studium der Orgel und Elektroakustik an der Musik-Universität Wien, Kompositionsstudium bei Roman Haubenstock-Ramati.
Studienaufenthalte am CCRMA, Stanford University, Kalifornien; University of California, San Diego, Department of visual art; CGS Art Department, Claremont, LA; 1997 Gründung des Ensemble EIS. 2003 Landeskulturpreis Musik, (Oö); 2007 Anton Bruckner Stipendium; 2008 Publicity Preis der SKE.
Arbeitsschwerpunkte sind grafische und intermediale Partituren, die sich auch in außermusikalischen Darstellungsformen realisieren lassen; Notationsobjekte, Musikinstalla­tio­nen und Videoarbeiten sowie Kunst im öffentlichen Raum.
www.herndler.net

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06/08
FotoautorInnen: 
Christoph Herndler

MAX, 2008, Kompositionsauftrag von Max Luger

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