Globalisierung, Fussball, Kunst
Mario Sinnhofer bezeichnet sich selbst als „lästigen Verteidiger“. Einer, der den Stürmern keine Zeit lässt, sich den Ball „herzurichten“. In seiner Jugendzeit wurde Sinnhofer mehrfach in Salzburger Landesauswahlen berufen. Heute kickt der 1973 Geborene in der Hobbytruppe der Linzer Kunstuni, die den schönen Namen trägt: „Vorwärts Uschi Dampfhammer Linz“.
1999 war Sinnhofer von seiner Heimatstadt Salzburg nach Linz übersiedelt, um dort Bildhauerei zu studieren. Etwa 2001 begann Sinnhofers unschuldiges Interesse für das Objekt Fußball. Absehbar war damals noch gar nicht, dass ihn dieses Interesse Jahre später in den Dschungel des freien Marktes führen würde. Am Anfang also zerschnitt Sinnhofer Fußbälle, um herauszufinden: Was macht diesen Ball rund, wie funktioniert das? „Dieser wichtige Akt, das zentrale Objekt Ball zu dekonstruieren“, sagt er heute, „war mir damals so noch gar nicht bewusst“.
Die komplizierte Nähart, die das ballestrische Objekt der Begierde zusammenhält, erschloss sich auch bei näherer Betrachtung nicht. Die Experten vom Fachhandel konnten ebenfalls nicht weiterhelfen. Sinnhofer: „Da gehst du zum Sport Eybl und die Verkäufer wissen alles, das Material etc., aber nichts darüber, wie’s genäht wird.“ Zwei Quellen hätten ihn auf die Spur geführt und eine bisher ungekannte Welt tat sich auf. Ein alter Schuster aus Hall in Tirol habe ihm weitergeholfen und auch die legendäre „Sendung mit der Maus“. In zwei Beiträgen über die Produktion von Fußbällen erfuhren kleine und größere Kinder, wie das Ausgangsmaterial von Deutschland nach Marokko wanderte, dann vielleicht nach Indien und wieder zurück nach Deutschland. Warum aber diese Transportwege? „Das blieb ein Geheimnis“, erzählt Sinnhofer, „da lag offensichtlich der Hund begraben“.
Im Jahr 2002 arbeitete Sinnhofer als Zivildiener bei der NGO „Südwind Entwicklungspolitik“. Gelegenheit, der Sache mit den Fußbällen auf den Grund zu gehen. Und er wurde fündig: Rund 80 Prozent der weltweit verkauften Fußbälle werden in Pakistan produziert. Die besten ArbeiterInnen schaffen einen Ball in drei Stunden (Sinnhofer, noch immer im Anfängerstadium, benötigte mit derselben Arbeitsmethode drei Tage), pro gefertigtem Ball werden nur umgerechnet 30 bis 50 Cent bezahlt. Hier kommt der Faire Handel ins Spiel, der je nach Modell neben Sozialleistungen (kostenlose medizinische Versorgung oder Kinderbetreuung) auch bis zu sechzig Prozent höhere Löhne sicherstellt: Bereits wenn zwei Erwachsene je etwa zwei Drittel ihrer Bälle zu fairen Bedingungen herstellen könnten, wäre der Grundbedarf ihrer Familie gedeckt. Den Kindern wird dadurch der Schulbesuch ermöglicht, und für die erwachsenen BallnäherInnen (ab 15) werden die Arbeitsbedingungen verbessert, etwa Räumlichkeiten besser belüftet und beleuchtet.
Sinnhofer lernte also, die fünf- und sechseckigen Teile der zerschnittenen Markenfußbälle wieder zusammenzusetzen. („Weißt du, wie oft ich mir da in die Finger gestochen habe!“, erzählt er von seinen anfänglichen Nähversuchen). Dieses Zusammensetzen geschah nicht irgendwie, sondern geometrisch korrekt, etwa zu einem Tetraeder mit abgerundeten Ecken. Es entstandenen Objekte, die nicht mehr als Bälle zu bezeichnen waren, aber durch das bekannte Oberflächendesign immer noch stark daran erinnerten. Die Objektserie bekam den Titel „Global Player Matchballs“ und markierte die Geburtsstunde von Sinnhofers „Verein für Ballstörungen“ (VFB). Er begann, sich unter diesem Label künstlerisch für den Fairen Handel einzusetzen. Der VFB initiierte seit 2002 in Kooperation mit unterschiedlichen Partnern Workshops für Jugendliche, Aussendungen an Fußballvereine, Kapitel eines Unterrichtsbuchs, öffentliche Interventionen und einiges mehr.
2003 gastierte Sinnhofer mit seinen Objekten im Rahmen des KünstlerInnenaustausches „Re:location“ (von Linzer Seite beteiligt: das OK) in der Slowakei. Geplant waren Fotos, vielleicht auch ein Video, das Kicker beim Training mit den widerspenstigen Dingern zeigen sollte. Sinnhofer traf den Manager des slowakischen Erstligaklubs Spartak Trnava, und der war hellauf begeistert: „Aha, brasilianische Fußballschule – mit der schwierigen Form trainieren, um dann besser mit dem runden Ball umgehen zu können!“ Das intelligente Fußball-Magazin „Ballesterer“ bekam Wind von der Sache und berichtete.
Jetzt wird die Geschichte ein wenig skurril: Ein „witziger Redakteur des ORF“ (nach Aussage Sinnhofers im Nebenberuf Kabarettist) las im Wartezimmer seines Physiotherapeuten den „Ballesterer“. Er kontaktierte Sinnhofer: Er wolle einen Beitrag in der Sendung „Sport am Sonntag“ bringen. Bloß, in welcher Form? Sinnhofer wiederum kontaktierte den österreichischen Erstligaverein Austria Salzburg (mittlerweile geschluckt vom Konzern Red Bull) und überredete ihn zu einem Probetraining. Resultat: Sinnhofer war 2004 mit seinen Kunstobjekten im Hauptabendprogramm des ORF zu sehen.
Trainer, Spieler und Händler bestärkten ihn, dass seine Objekte durch das unvorhersehbare Verhalten ein ideales Trainingsgerät für Koordination, Konzentration und Reaktion seien. Sinnhofer beschloss, eine Firma zu gründen, um diese inzwischen patentrechtlich geschützte Erfindung auf künstlerische Weise einzusetzen: „Hier kann ich das Konzept des Fairen Handels durch die Hintertür transportieren.“ 2006/07 schrieb er „alle möglichen Leute“ an, trat in Kontakt mit möglichen Fair-Trade-Partnern. Als kompletter Business-Grünschnabel musste er sich jedoch erst mit den Spielregeln vertraut machen: „Eine verdammt schwierige Zeit für mich. Alles dauert viel, viel länger als man glaubt.“ Vor allem die Abwicklung der Musterproduktion in Pakistan sei extrem aufreibend.
Die freie künstlerische Arbeit kam für ihn dadurch viel zu kurz. Es sei nicht immer leicht gewesen, sein künstlerisches Selbstverständnis aufrecht zu erhalten: „Hardcore wirtschaftlich zu denken und zu handeln, hungert dich als Künstler mit der Zeit innerlich aus.“ Die Muster der Trainingsgeräte sind noch nicht ganz perfekt, aber sobald dies der Fall ist, will er sich damit in den glorreichen freien Markt wagen.
Intervention im öffentlichen Raum im slowakischen Trnava
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