Globalisierung, Fussball, Kunst

Das Linzer Künstlerkollektiv qujOchÖ bespielt mit „Ein Leben im Strafraum“ vom 13. Juni bis 17. August das Kunstmuseum Lentos. Einer der ausstellenden Künstler ist Mario Sinnhofer. Er erzählte spotsZ eine ziemlich skurrile Geschichte über einen mehrjährigen künstlerischen Prozess.

Mario Sinnhofer bezeichnet sich selbst als „lästigen Verteidiger“. Einer, der den Stürmern keine Zeit lässt, sich den Ball „herzurichten“. In seiner Ju­gend­zeit wurde Sinnhofer mehrfach in Salz­bur­ger Landesauswahlen berufen. Heute kickt der 1973 Geborene in der Hobbytruppe der Linzer Kunst­uni, die den schönen Namen trägt: „Vor­wärts Uschi Dampfhammer Linz“.

1999 war Sinnhofer von seiner Heimatstadt Salz­burg nach Linz übersiedelt, um dort Bildhauerei zu studieren. Etwa 2001 begann Sinnhofers un­schul­diges Interesse für das Objekt Fußball. Ab­sehbar war damals noch gar nicht, dass ihn dieses Interesse Jahre später in den Dschungel des freien Marktes führen würde. Am Anfang also zerschnitt Sinnhofer Fußbälle, um herauszu­fin­den: Was macht diesen Ball rund, wie funktioniert das? „Dieser wichtige Akt, das zentrale Ob­jekt Ball zu dekonstruieren“, sagt er heute, „war mir da­mals so noch gar nicht bewusst“.
Die komplizierte Nähart, die das ballestrische Ob­jekt der Begierde zu­sam­men­hält, erschloss sich auch bei näherer Betrachtung nicht. Die Exper­ten vom Fachhandel konnten ebenfalls nicht weiterhelfen. Sinnhofer: „Da gehst du zum Sport Eybl und die Verkäufer wissen alles, das Material etc., aber nichts darüber, wie’s genäht wird.“ Zwei Quel­len hät­ten ihn auf die Spur ge­führt und eine bisher un­gekannte Welt tat sich auf. Ein alter Schus­ter aus Hall in Tirol habe ihm weitergeholfen und auch die legendäre „Sendung mit der Maus“. In zwei Beiträgen über die Produktion von Fuß­bäl­len erfuhren kleine und größere Kinder, wie das Aus­gangsmaterial von Deutschland nach Marok­ko wan­­derte, dann vielleicht nach Indien und wie­der zu­rück nach Deutschland. Warum aber diese Trans­portwege? „Das blieb ein Ge­heimnis“, er­zählt Sinn­­hofer, „da lag offensichtlich der Hund begraben“.

Im Jahr 2002 arbeitete Sinnhofer als Zivildiener bei der NGO „Südwind Ent­wicklungspolitik“. Ge­le­genheit, der Sache mit den Fußbällen auf den Grund zu gehen. Und er wurde fündig: Rund 80 Prozent der weltweit verkauften Fußbälle werden in Pakistan produziert. Die besten ArbeiterInnen schaffen einen Ball in drei Stunden (Sinnhofer, noch immer im Anfängerstadium, be­nötigte mit der­­selben Arbeitsmethode drei Tage), pro gefertigtem Ball werden nur umgerechnet 30 bis 50 Cent bezahlt. Hier kommt der Faire Handel ins Spiel, der je nach Modell neben Sozialleistungen (kostenlose medizinische Versorgung oder Kinder­betreuung) auch bis zu sechzig Prozent höhere Löh­ne sicherstellt: Bereits wenn zwei Erwa­ch­se­ne je etwa zwei Drittel ihrer Bälle zu fairen Be­dingungen herstellen könnten, wäre der Grund­be­darf ih­rer Fa­milie gedeckt. Den Kindern wird dadurch der Schulbesuch er­mög­licht, und für die erwachsenen BallnäherInnen (ab 15) werden die Arbeits­bedin­gun­gen verbessert, etwa Räumlich­kei­ten besser belüftet und beleuchtet.
Sinnhofer lernte also, die fünf- und sechseckigen Teile der zerschnittenen Markenfußbälle wieder zusammenzusetzen. („Weißt du, wie oft ich mir da in die Finger gestochen habe!“, erzählt er von seinen anfänglichen Näh­ver­su­chen). Dieses Zusam­men­setzen geschah nicht irgendwie, sondern geometrisch korrekt, etwa zu einem Tetraeder mit ab­gerundeten Ecken. Es entstandenen Objekte, die nicht mehr als Bälle zu bezeichnen waren, aber durch das bekannte Oberflächendesign im­mer noch stark daran erinnerten. Die Objektserie bekam den Titel „Global Player Matchballs“ und markierte die Geburtsstunde von Sinnhofers „Ver­ein für Ballstörungen“ (VFB). Er be­gann, sich un­ter diesem Label künstlerisch für den Fairen Han­del einzusetzen. Der VFB initiierte seit 2002 in Ko­o­peration mit unterschiedlichen Par­tnern Work­shops für Jugendliche, Aussendungen an Fußball­vereine, Ka­pi­tel eines Unterrichtsbuchs, öffentliche Interventionen und einiges mehr.

2003 gastierte Sinnhofer mit seinen Objekten im Rahmen des Künstler­In­nen­austausches „Re:location“ (von Linzer Seite beteiligt: das OK) in der Slo­­wa­kei. Geplant waren Fotos, vielleicht auch ein Video, das Kicker beim Trai­ning mit den widerspenstigen Dingern zeigen sollte. Sinnhofer traf den Ma­nager des slowakischen Erstligaklubs Spar­tak Trnava, und der war hellauf be­geistert: „Aha, brasilianische Fußballschule – mit der schwierigen Form trainieren, um dann besser mit dem run­den Ball umgehen zu können!“ Das in­telligente Fuß­ball-Magazin „Ballesterer“ bekam Wind von der Sache und berichtete.
Jetzt wird die Geschichte ein wenig skurril: Ein „witziger Redakteur des ORF“ (nach Aussage Sinn­hofers im Nebenberuf Kabarettist) las im Warte­zim­­mer seines Physiotherapeuten den „Balles­te­rer“. Er kontaktierte Sinnhofer: Er wolle einen Bei­trag in der Sendung „Sport am Sonntag“ bringen. Bloß, in welcher Form? Sinnhofer wiederum kontaktierte den österreichischen Erst­ligaverein Aus­tria Salz­burg (mittlerweile geschluckt vom Kon­­zern Red Bull) und überredete ihn zu einem Pro­be­training. Resultat: Sinnhofer war 2004 mit seinen Kunst­ob­jekten im Hauptabendprogramm des ORF zu se­hen.

Trainer, Spieler und Händler bestärkten ihn, dass seine Objekte durch das unvorhersehbare Ver­hal­ten ein ideales Trainingsgerät für Koordi­na­ti­on, Kon­zentration und Reaktion seien. Sinn­ho­fer beschloss, eine Firma zu gründen, um diese in­zwi­schen patentrechtlich geschützte Erfindung auf künstle­ri­sche Weise einzusetzen: „Hier kann ich das Konzept des Fairen Handels durch die Hinter­tür transportieren.“ 2006/07 schrieb er „alle möglichen Leu­te“ an, trat in Kontakt mit möglichen Fair-Trade-Partnern. Als kompletter Bu­siness-Grün­schnabel musste er sich jedoch erst mit den Spiel­regeln vertraut machen: „Eine verdammt schwierige Zeit für mich. Alles dauert viel, viel länger als man glaubt.“ Vor allem die Abwicklung der Mus­ter­pro­duk­ti­on in Pakistan sei extrem aufreibend.
Die freie künstlerische Arbeit kam für ihn da­durch viel zu kurz. Es sei nicht immer leicht ge­we­sen, sein künstlerisches Selbstverständnis aufrecht zu er­halten: „Hardcore wirtschaftlich zu den­ken und zu handeln, hungert dich als Künstler mit der Zeit innerlich aus.“ Die Muster der Trainings­ge­räte sind noch nicht ganz perfekt, aber sobald dies der Fall ist, will er sich damit in den glorreichen freien Markt wagen.

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06/08

Intervention im öffentlichen Raum im slowakischen Trnava

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