1968 in Linz
Daniel Cohn-Bendit, Sprecher der StudentInnenbewegung in Berlin, heute grüner EU-Parlamentarier, konstatierte jüngst im Standard der 68er Bewegung bestenfalls noch, dass diese Anlass war für einen Umschwung in der Gesellschaft. Von seiner politischen Aktivität distanziert er sich, ebenso wie Joschka Fischer. Wie beurteilen Sie als Aktivistin dieser Zeit in OÖ diesen Wandel? Muss man sich heute davon distanzieren?
Ich glaube, da muss man den Unterschied zwischen Österreich und Deutschland herausarbeiten. In Deutschland war die gesamte Szene um einiges revolutionärer, es ist zu Vorfällen gekommen, wie es sie in Österreich nicht gegeben hat. Zumindest was die Umgebung in Linz betrifft. 68 hat bei uns sicher auch sehr deutliche Wirkungen gehabt. Aber es hat keine wirklich radikale Entwicklung gegeben und daher auch keinen Grund, sich davon zu distanzieren. Ich stelle eher, in Österreich und auch in Oberösterreich, fest, dass einige Leute behaupten, sie seien da mitten drin und echte 68er gewesen, die ich jedenfalls in dieser Phase nicht wirklich wahrgenommen habe. Jedenfalls nicht mit einem Background, der in Richtung Aufbruchstimmung geht. Das waren unter anderem Studierende, die seinerzeit CV Mitglieder gewesen sind und von denen nur ganz wenige mit der 68er Bewegung sympathisiert haben, viele aber eher sehr konservative Argumente dagegengehalten haben.
Wie war die Stimmung an der Linzer Uni? Man hat die Dinge, die in Deutschland passiert sind, sicherlich wahrgenommen, hat man sich daran beteiligt, gab es Solidarität?
Es hat eigene Ereignisse gegeben, die Initialzündungen für Protestversammlungen, für Sit-Ins usw. waren. Ein Thema, wo 1968 tatsächlich nahezu alle Studierenden dahinter standen, war, dass eine wissenschaftliche Hilfskraft, Manfred Eder, von Professorenseite nicht aufgenommen werden sollte. Damals gab es eine sehr heiße Veranstaltung im HS 1. Die Studierenden haben sich durchgesetzt. Es hat Lehrveranstaltungsboykott gegeben, es sind Institute besetzt worden, nicht nur in dieser einen Situation, auch in Situationen, wo es Probleme mit Klausurbeispielen gegeben hat, unlösbare Klausurbeispiele in der Mathematik beispielsweise, das hätte um ein Haar einem Assistenten den Kopf gekostet. Da mussten wir Studierende dann wieder zurückrudern, denn dass er seinen Job verliert, das wollten wir nicht.
Bei dieser Geschichte mit Manfred Eder gab es ja eine Vorgeschichte, da ging es um Sonderzahlungen für Professoren, die er aufgedeckt hat.
Diese Sonderzahlungen, wie man sie auch nennen kann, das waren die so genannten Aufbauzulagen für Professoren. Die Universität Linz war zwei Jahre alt zu diesem Zeitpunkt und es war in den Anfängen nicht leicht, Professoren zu berufen, die zum einen die Fächer abdeckten, die für Österreicher teilweise ganz neu gewesen sind und zum anderen doch auch einen gewissen Ruf hatten. Um qualifizierte Leute zu bekommen, wurden Aufbauzulagen gezahlt. Das Problem war, dass diese Aufbauzulagen bis weit in die 70er Jahre gegangen sind und sie dann von attraktiven Bewerbern auch als Druckmittel genutzt wurden. Dadurch wurde jedenfalls offensichtlich, dass es ziemliche Unterschiede in der Bezahlung gegeben hat, was von Seiten der Studierenden sicher nicht nachvollziehbar war.
Welches Selbstbild hatten die Studierenden der Linzer Uni damals?
Allgemeine Aufbruchstimmung war da. Es ist meiner Meinung nach interessant, dass es keine wirkliche Dichotomie zwischen rechts und links gegeben hat, es war ein Kontinuum mit sehr fließenden Grenzen. Ich selber komme aus der katholischen Hochschulgemeinde, diese war damals außerordentlich progressiv, auch für heutige Verhältnisse. Ich war die erste Prima der katholischen Hochschulgemeinde und ich bin so etwa vierteljährlich zum Bischof zitiert worden, weil es wieder Probleme gegeben hat, die der Amtskirche sauer aufgestoßen sind.
Gerade im Rahmen dieser katholischen Hochschulgemeinde, die im Übrigen ganz eng mit der sehr kleinen evangelischen Hochschulgemeinde zusammengearbeitet hat, haben sich Proponenten der ganz linken Szene gefunden, aber auch welche aus dem rechten Eck.
Was waren die gemeinsamen zentralen Forderungen oder Ideale?
Die zentralen Forderungen waren bescheiden und auch nicht. Dazu gehörten Dinge, wie sie auch heute den studentischen Alltag bestimmen, etwa die Frage der Mensapreise, des Lehrveranstaltungsangebots, der Beurteilung von Lehrveranstaltungen, wie heute die Frage, wann LV abgehalten werden dürfen. Es gab damals einen sehr hohen Anteil an berufstätigen Studierenden, für die die Tatsache, dass der Unterricht zwischen 08.00 und 18.00 h abgehalten wird, ein Problem war. Das Problem ist bis heute nicht gelöst. Es gab auch kleine Randthemen, z.B. die Besuchserlaubnis in den Studentenheimen. Es war ja durchaus nicht so, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt, damals 22.00 h, sich Männlein und Weiblein in einem Studentenheimzimmer treffen durften. Wir haben 1969 in der KHG ein Sleep-In veranstaltet, die BewohnerInnen des Mädchen- und des Knabentrakts haben ihre Matratzen gepackt und die Wohnung des Heimleiters blockiert. Leider hat es uns aber nichts geholfen.
Abseits der konkrete Dinge, die damals bewegt haben: Weltpolitik, Kuba, Vietnam, war das auch Thema?
Ja. Aber da sind die Gruppen auseinander gedriftet, Ich kann diese Frage am besten anhand der Mitglieder der KHG beantworten, da gab es zwei Gruppierungen. Die „Intellektuellen“ und die „Würstlbrater“. Ich gebe zu, bei den Letzteren dabei gewesen zu sein, bei denen, die stärker im studentischen Alltag verhaftet waren und auch mit Festen und Feiern zu tun hatten, daher der Name. Die Grenzen waren fließend. Wir haben sehr viel Mühe darauf verwendet, prominente Referenten einzuladen, das ist uns ganz gut gelungen, weil wir einen sehr offenen Hochschulseelsorger hatten. Die große intellektuelle Revolution ist es an der Linzer Uni wohl nicht gewesen.
Damals war ja Helmut Kukacka ÖH-Vorsitzender. Er sagt heute, dass es zum guten Ton gehört hat, nach Berlin zu den Demonstrationen zu fahren. Waren Sie auch mit dabei?
Ich habe zu denen gehört, die Ende 68 sehr viel mit den aus der Tschechoslowakei kommenden Studierenden zu tun hatte. In dem Rahmen war ich aktiv. Da hat es eher Ost-Kontakte gegeben, wo versucht wurde, mit diesen Problemen umzugehen. Dass das dann eine eher antikommunistische Ausrichtung war, ist klar. Links und antikommunistisch hat sich damals aber nicht unbedingt ausgeschlossen.
Gab’s nicht vor allem auch in der katholischen Bewegung einen unpolitischen Zugang über Äußerlichkeiten: Musik, lange Haare, etc. Wie brav war Linz? Wie war die Stimmung in der Stadt?
Von der Optik her haben viele ihren Protest damit artikuliert, mit ganz langen oder in meinem Fall mit ganz kurzen Haaren und langen Röcken herumzulaufen. Es hat eine Rolle gespielt, aber keine so große. Ein Ausstrahlen in die Innenstadt war aber nicht wirklich bemerkbar. Es gab ein einziges Lokal, die Berger-Mama, das war ein Lokal, in dem es im Untergeschoss ein bestimmtes „anderes Gewerbe“ gab und im oberen Geschoss einen Treffpunkt von linken intellektuellen Künstlern, wie Franz Kain und anderen. Ein weiterer Punkt, wo Studierende damals sehr aktiv gewesen sind, war die Heimerziehung. Man hat über das schon seit 1965 offen geführte Heim Spattstraße versucht, Jugendresozialisierung anders zu konzipieren.
Stichwort Frauenbewegung: Was waren die Anfänge der Linzer Frauengruppen?
Die KHG war für mich damals so attraktiv, weil es gleichberechtigte Leitungen zwischen Primus und Prima gegeben hat, was damals ja nicht selbstverständlich war, dass Frauen in Leitungspositionen sein können. Es hat an der Uni auch viele Proteste im Kleinen gegeben, die Symbolcharakter hatten. Der Unipark war damals schon ein Eldorado für Spaziergänger aus der Umgebung, unter anderem für Mütter mit Kindern. Es gab Professoren, die sich von zwischen Uni-Teich und HS-Gebäude 1 flanierenden Müttern mit Kindern gestört gefühlt haben. Daher hat man Drehkreuze am früher offenen Zugang zur Uni montiert, durch die man zumindest mit Kinderwägen nicht durch konnte. Das hat dazu geführt, dass immer wenn eine Straßenbahn kam, die Studenten gewartet haben, bis Mütter mit Kinderwägen da waren, die Kinderwägen über die Drehkreuze gehoben haben. Ich kann es nicht zählen, wie oft diese Drehkreuze im Uni-Teich versenkt worden sind. Irgendwann 69 haben wir uns den Spaß gemacht, die Drehkreuze rosa zu lackieren und mit Schleifchen zu versehen. Das war eine Frauenaktion. Dann sind die Drehkreuze auch wieder verschwunden. Diese Kleinigkeiten haben bedeutet, dass wir der Meinung gewesen sind, dass die Universität geöffnet werden soll.
Wie war die mediale Berichterstattung?
Die Berichterstattung war damals eher überkritisch. Allein die Studienrichtung Soziologie wurde gleichgesetzt mit den drei Anfangsbuchstaben SOZ für Sozialismus.
RAF, Ulrike Meinhof, wie weit konnte/wollte man deren Botschaften in OÖ überhaupt lesen?
Die Ablehnung war ziemlich eindeutig. Diese Stimmung war einhellig und ich denke auch seitens der linken Szene damals in OÖ.
Aus der jetzigen Sicht, was ist übrig geblieben? Wie würden Proteste heute aussehen, gibt es diese überhaupt noch?
Es gibt keine Proteste. Ich sage es meinen Studierenden, dass ich diesen Protest vermisse. Es passieren Dinge, wo ich sage, ich glaube nicht, dass wir als Studierende das damals akzeptiert hätten. Wir haben bei geringeren Problemen gezeigt, dass wir da sind, und das ganz lautstark.
Vielleicht liegt das am Leistungsdruck in den Schulen. Ich glaube nicht, dass es heute den Schulen gelingt, so was wie eine Autonomisierung bei den Schülern zu wecken. Sie kommen schon so brav zu uns und werden nicht ermuntert, eigene Meinungen zu äußern.
Freie Liebe, antiautoritäre Erziehung, etc, was ist davon übrig geblieben, geht es nicht schon seit längeren wieder in eine konservative Richtung?
Es ist ein Backlash da. Die Befreiung der Frau, die Pille, alles ist da und hat uns das Leben sicher leichter gemacht. Was nicht da war, ist z.B. Aids, das hat die freie Liebe sicher ganz schnell eingebremst.
Was geblieben ist, kann man sehr schlecht evaluieren, auf Linz bezogen. Das, was man als den Marsch durch die Institutionen bezeichnet hat, hat bei uns wunderbar funktioniert, von da her haben viele von ganz links bis ganz rechts diesen Weg weiter getragen, dass man nicht mehr abgrenzen kann, was war links, was war 68, was waren andere Protestbewegungen, wie die Frauenbewegung und ähnliches. Dass bestimmte verkrustete Strukturen aufgebrochen wurden, das kann man relativ leicht sehen. In der katholischen Kirche gibt es einen klaren Backlash, es gibt ihn auch an den Universitäten.
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