Animal Farm

AutorIn: 
Die Galerie Wels wirft einen Blick auf die Tierwelt und bedient sich damit des ältesten Motives der Menschheits- bzw. Kunstgeschichte. Vier Positionen von Ivo Kocherscheidt, Rudolf Sagmeister, Haruko Maeda und Gernot Wieland schaffen zeitgenössische Zugänge zur modernen Fauna-Reflexion. Die Ausstellung „animal farm“ ist noch bis 22. Juni in Wels zu sehen.

Wenngleich im Einleitungstext zur Ausstellung Tie­re als das „älteste Motiv der Menschheits- und Kunstgeschichte“ mit einem Stichwort auf die Höh­­len­malerei der Steinzeit erwähnt werden, so geht es bei „animal farm“ sicher nicht um einen kunst­his­torischen Abriss der Tiersymbolik oder um eine Thematisierung einer wie auch immer gearteten Kulturgeschichte des Tier-Mensch Verhält­nis­ses. Vielmehr geht es den Aus­stellungs­be­trei­bern darum, durch zeitgenössische bildnerische Positi­o­nen verschiedenen Relevanzen eines Themas nachzuspüren und durch die Präsentation diverser künstlerischer Haltungen „den Raum zum Schwin­gen zu bringen“. Das Besondere da­bei ist, dass in der Auswahl und Präsentation der Werke eine Art dramaturgischer Bogen gespannt zu sein scheint, der laut Galeriechef Günther May­er zu­erst die konkret vorhandene Arbeit von Künst­lern zum Anlass nimmt („Der Kontakt zu Künstlern ist immer ein langfristiger“), diese in ei­nem spielerisch-konzeptuellen Prozess in kleinem Rahmen zu­sammenstellt, um danach der Wirkung dieser Aus­wahl nachspüren zu können („Das ist ein sehr sub­jektiver Zugang, sowohl für die Macher als auch für die Künst­ler. Das geht, wenn es sich um authentische Kunst jenseits von Zeitgeist handelt“). Dieser Zugang eröffnet vielerlei mögliche neugierige Blicke, es geht für alle Beteiligten um Irri­ta­ti­on, Korrespondenz und Reibung zwischen Ar­bei­ten, die im Raum substanziell Bereicherndes entstehen lassen. Und die den Faktor einer gelungenen Ausstellung, die den Überraschungseffekt am Ende nicht ausschließt, offen hält (Günther May­er zitiert Otto Mauer: „Man­che Galeristen machen hin und wieder auch gute Ausstellungen“). Auf­fal­lend ist das deshalb, weil damit für den Be­trach­ter/die Betrachterin ein un­ge­wohnter Aspekt ei­ner transparenten Sichtbarmachung von künstlerischen Positionen ins Spiel kommt, die mit einer Dramaturgie des eigenen, sehenden Fühlens ar­bei­tet: Es tritt anstelle von theoretischer Schwere ein dramaturgisches Geflecht von thematischen As­pekten in den Raum, das sich, miteinander in Be­ziehung gesetzt, in aller Fülle und Leichtigkeit un­spek­takulär ineinander verwebt.

Betritt man den Ausstellungsraum, eröffnet sich zuerst die Komposition des Raumes. Um eine zentral platzierte Installation von Gernot Wieland sind einander schräg gegenüber Fotoarbeiten von Ru­dolf Sagmeister und Ivo Kocherscheidt ge­hängt. Quer über den Raum verteilt verbinden die alt­meis­­­terlich gearbeiteten Ölbilder von Haruko Mae­da und bilden den Außen­ra­di­us zur zentrierenden Installation.

Mit Maeda zu beginnen, bietet sich an, weil sie das Thema Tiere in­sofern in einen Super­la­tiv ge­bracht zu haben scheint, als dass sie mit altmeisterlicher Technik dekorative wie unheimliche Fabelwesen er­schaffen hat, die sich im Stil des phantastischen Realismus dem Betrachter reich­hal­tig offenbaren: Auf hübsch verzierten, or­namental bemalten Kis­sen und Tep­pichen sitzen Tiergebilde, die sich aus Zebra, Hund, Gazelle und dem Schweif eines Eich­hörnchens zusam­men­set­zen, oder aus Elch­ge­weih, Ein­horn, Lama und den zarten Flügeln eines In­sekts. In düster musealer Bildstimmung se­hen die Tiere gleichsam niedlich wie tot aus und werden meist von Schmet­ter­lin­gen und Käfern um­schwirrt. Es kann aber auch sein, dass ein unschuldig-bö­ses Äffchen, das selbst Schmetterlingsflügel hat, die Schmetterlinge mit seinen Fingerchen und Ze­hen zerquetscht. The­ma­tisch schweben die Bil­der zwischen der spielerischen Freude der Natur­nach­ahmung und der ge­fähr­lichen Lust der Übersteigerung. Assozia­tio­nen zu einem urbayrischen The­­ma wie dem Wolper­tin­ger, der als Hase/Hirsch­ge­weihmutation aus der Lust des Präparators an der skurrilen Komik entstand, sowie zu einer völlig übersteigerten, quasi japanischen Spielzeug­phan­tasiewelt werden wach. Eine andere Asso­zi­a­tion drängt sich auf, die sich aus dem Themen­zu­­sam­men­hang der Neuschaf­fung von Leben ergibt. Wie aus Genlabors entstiegen sitzen die Tiere da wie Mahnmale ihrer eigenen misslungenen Geburt. Und erzählen gleichzeitig eine phantastische Ge­schichte des Formen­reich­tums der Natur, ein dunk­ler Zoo in einem Bild. Es entsteht der Eindruck, dass hier die Evolution getoppt werden soll und dieses Bedürfnis gleichzeitig museal ist, denn durch die Art der Dar­stel­lung, der gewählten Form scheint ein weiterer Rück­griff auf die Kunst­ge­schichte möglich zu sein. Wie in der Vanitas­ma­le­rei der wunderschön komponierten Blumenge­stec­ke wird die Schön­heit von der Vergänglichkeit be­gleitet, in dem kleine Kä­ferchen, Schmet­ter­linge ins Bild gesetzt wurden, die schon beizeiten am Zerset­zungs­prozess arbeiten. Der Hang nach Skur­rilem, der Wunsch nach einer eierlegenden Woll­milchsau der Phan­tasie funktioniert jedenfalls auch vom Inte­resse der Kunstsammler, Maeda wird von der Linzer Galerie Simone Feicht­ner vertreten.

Als Kontrapunkt zur Düsternis besticht die schwe­relose Leichtigkeit des Meeres in Form von Ivo Kocherscheidts Fotoarbeiten, die sich auf 12 mit­telformatige schwarz/weiß-Bilder von Quallen und Oktopussen, sowie auf ein großformatiges Farb­bild eines Humboldtkalmars, eines „roten Teu­fels“ aufteilen. Es handelt sich um Unterwasserbilder, die im Auftrag des Magazins „mare“ entstanden sind und die die faszinierende Schönheit des Ele­ments Wasser (auch) im Zusammenhang der Bild­illustration einfangen. Als einer dem Text beigestellte Dokumentation von Natur sind die Arbei­ten per se nicht inszeniert und insofern schwierig herzustellen, als dass man sich ne­ben dem künstlerischem Fachwissen umfangreiche Kenntnisse über das Tau­chen und über Tiere in ihrem natürlichem Lebensraum aneignen muss, um die Tiere, wie Kocherscheidt nachgesagt wird, „von ihrer bes­ten Seite“ zeigen zu können. Kunst ist durch die Position des Fotografen an einer Schnittstelle zum Wissenschaftsjournalismus (wieder) in die Richtung einer Expedition gerückt – in zwar be­reits reichlich beschriebene, dennoch unbe­kann­te Tiefen ausgerichtet. Fremde Wesen wie Riesen­kalmare bestechen For­scher gleichermaßen durch ihre Intelligenz wie ihre kannibalistische Ader, ark­tische Narwale, Kocherscheidts nächster Foto­auftrag, leisteten et­wa der mittelalterlichen Le­gen­de des Einhorns phantastischen Vorschub.

Als inhaltliche Antipode des gleichen Mediums hängt eine Serie von Foto­arbeiten Rudolf Sag­meis­ters schräg gegenüber, der sich im Gegensatz zu Kocherscheidts lebendigen, schwer einzufangenden Objekte auf tote Objek­te fokussiert hat, auf Bilder der Erde und der Verwesung im Mikro­kos­mos. Gleichermaßen Kunsthistoriker und Kurator hat sich Sagmeister unter an­de­rem auf die Dar­stel­lung der ästhetischen Schönheit dieser Pro­zes­se verschrieben. Er sei „ein bequemer Mensch, der keinen Sport betreibe“ und wäh­­le sich deshalb Ob­jekte und Dinge, die er im Garten findet und die „nicht mehr davonlaufen“, sagt Sagmeister bei der Ausstellungseröffnung. Eine Serie von mittelformatigen Bildern thematisieren dementsprechend Elemente und Struk­tu­ren der Zersetzung und das neue Wachsen aus dem Fleisch. Zu sehen sind un­ter anderem ein im Teich ertrunkener Vogel, ein Igel mit kleinen Blü­ten im Nasenloch, Stacheln, Maden, Pflanzen und Sporen, ein zerquetschtes Katzengesicht, Wun­den, grüne Blätter, kleine Blü­ten. Das Grausliche und Poetische liegen jedenfalls ganz nah zusammen – so wie die beständigen Uraltthemen der Menschheit Tod und Eros die Geburt des Neuen aus dem Alten feiern. Man ist versucht zu sagen, dass das, was bei Haruko Mae­da die Phantasie zustande bringt, bei Sag­meis­ter die Verwesung schafft, es entstehen Fauna-Flo­ra-Hy­bride aus Tod und Leben, die Mons­trösi­tät des natürlichen und unnatürlichen Todes inbegriffen.

Als die Ausstellung zentrierende, offene Einheit be­findet sich in der Mitte des Raumes eine Instal­la­tion von Gernot Wieland, der im Grenzgebiet von Kunst und Wissenschaft arbeitet. Die in der Ga­le­rie der Stadt Wels ausgestellte Installation be­zieht sich auf das Leben des Autors Truman Capote und dessen Leiden an der autoritären Ge­sellschaft. Wie­land hat auf den Ausstellungstitel „Animal Farm“ insofern reagiert, als dass er den literarischen Be­zug des titelgebenden Or­well’­schen Epos „Animal Farm“ weitergeführt hat, aber dessen politische Projektion in Richtung einer soziologisch/individuellen Position verrückt hat, die das Verhältnis der Psychiatrie zur Gesellschaft zur Schau stellen. Capote, ein exzentrischer Mensch zwi­schen Ruhm, Dro­gen und Psychiatrie, der maßlos, offen schwul und offensiv lebte, halluzinierte in seinem literarischen Werk „Other Rooms, Other Voices“ die im­mer selben Gegenstände: Eine mit einem wei­ßen Tuch verhängte Vogel­vo­li­ere und ein auf ein helles, maßlos nahes Licht fo­kus­sier­tes Fern­rohr. Auf der Linse des Fernrohrs ist eine Vogelsilhou­et­te aufgebracht, die im Blick durch das Fernrohr nur verschwommen erkennbar ist. Das extrem ver­stärkte Perspektivenspiel zwischen Nah und Fern zieht den Gegenstand der Betrachtung derartig in die Nähe, dass der ei­gent­lich in der Ferne fliegen­de Vogel zum Teil des Be­o­bach­tungs­gerätes selbst geworden ist. Ein übermächtiges Licht, eine relativ aus der Auf­merk­sam­keit ge­rutschte, verhängte Voliere begleiten die ir­reale Si­tuation der psychischen Verrückung und des er­kenntnistheore­ti­schen Paradoxons um das Beo­bach­ten selbst. In ge­wisser Weise bildet diese Ar­beit den schillernden-kranken Gegenpart zur Phan­­tasie, den inneren Ge­genpart zu einer „na­tür­li­chen“ Gesellschaft, die Ani­mus, Anima und Ani­mal bereits längst inhaftiert hat. Eine der vor­an­gehenden Arbeiten stellt übrigens die fiktive Arbeit eines Mannes in der Psy­­chiatrie dar, der als Vogelforscher wissenschaft­liche Wer­ke an­­fertigte, die allesamt als Fiktion von Wie­land si­mu­­liert wurden. Wieland wird durch die Wiener Galerie Andreas Huber vertreten.

Ausstellung „animal farm“: 09. Mai-22. Juni 2008
www.galeriederstadtwels.at

18
Zurück zur Ausgabe: 
06/08
FotoautorInnen: 
Christian Mair

& Drupal

spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014