In der Ferne – Superwelcomecenterbahnhoflinz oder Wie verlasse ich diese Stadt?
Aus Linz wegzukommen ist ganz schön schwierig und enervierend. Der Linzmarathon zum Beispiel erschwert es mir seit Jahren, die Stadt zu verlassen. Wenn ich nicht – so wie in diesem Jahr, man lernt ja dazu – bereits im Morgengrauen die schimmernde Silhouette hinter mir lasse, dann sind ich, mein Auto und meine mir Anvertrauten gefangen bis mindestens drei Uhr nachmittags. Gefangen zwischen verständnislosen Polizeibeamten, schwitzenden Läufern, betrunkenen Claqueuren und einfachen, aber schwer bewachten Absperrungen. Verzweifelte Sätze wie: „Ich will nur die Stadt verlassen, ich will hier nur raus!“ werden mit Schulterzucken und manchmal – ich könnte schwören – hämischem Grinsen quittiert. Ein Durchbrechen der Sperre gehört sich nicht und scheint völlig übertrieben, also wartet man, bis auch der letzte der sich mit angeblich gesunder sportlicher Betätigung Quälenden an der Absperrung vorbeihechelt und dann – gaaaaaaaanz langsam – die Sperre aufgehoben wird. Einmal nur möchte ich auch derart vor mir geschützt werden, einmal nur. Der Maiaufmarsch ist dagegen ja ein offenes gemütliches Beisammensein. Das Pflasterspektakel wird ebenso zur Existenzfrage: Die Landstraße meiden, umfahren und umgehen, oder gleich sich das ganze Wochenende lang einsperren oder doch rechtzeitig flüchten. Im Winter sind Altstadt, Hauptplatz und Volksgarten Tabuzonen, sowohl was Akustik als auch Olfaktorik betrifft – die Mischung aus Glühwein und Langos ist unübertroffen. Und vom Kronehitradiofest wusste ich zum Glück lange nicht, dass es existiert. Aber selbst diese regelmäßigen Fluchttermine, auf die man sich einstellen kann – gepaart mit jenen spontanen Fluchtmomenten wie jener, als ich ahnungslos in ein Lokal in der Landstraße gelotst wurde und die lotsenden Freunde vergaßen zu erwähnen, dass gerade ein ganzer französischer Landstrich namens Elsass in Linz zu Gast ist – scheinen dieser Stadt noch nicht genug. Wer wie ich gerne Rad fährt und sich allabendlich darüber freut, von keiner Straßenbahn getötet, von keiner Taxitür erschlagen und von keinem rechts abbiegenden Auto überfahren worden zu sein, der freut sich über neue, aufregende Hindernisse, die einen davor bewahren wollen, diese Stadt zu verlassen oder auch nur zu durchqueren. Baustellen nennen sie sich und „Baustellenführung“ nennt sich jene Managementposition, die dafür sorgt, dass Fußgänger und Radfahrer nur ja recht oft aufeinander treffen und ausreichend Gründe finden, über die jeweils andere Gruppe zu schimpfen. Sonst wird einem ja fad, und man hat nichts, worüber man sich abends unterhalten kann. Ein wenig fad ist offenbar auch der Werbeabteilung des Linzer Bahnhofes – übrigens auch noch Monate und Jahre nach seiner Eröffnung ein so genanntes Highlight, ein Höhepunkt, ein Vorbild dafür, wie man Gäste – und ja, das sind sie alle – willkommen heißt. Hauptbahnhof heißt der Bahnhof Linz wahrscheinlich deshalb, weil es da ja noch Stationen wie „Linz-Oedt“ gibt oder den Bergbahnhof Urfahr, und die Verwechslung da natürlich schon sehr groß ist.
Endlich hat man erkannt, wie wichtig Symbole für die Identität einer ganzen Stadt und vor allem eines Hauptbahnhofes sind, und weil jahrzehntlang tausende Schüler und Schülerinnen, Pendler und Pendlerinnen sich „bei den Löwen“ (angeblich) verabredet haben, liegt es im Sinne einer international angelegten Corporate Identity Finding Mission auf der Hand – wer würde da widersprechen wollen – diese jene Löwen nun auch auf Flaggen zu drucken oder in Kunststoff zu gießen und sie zum Treffpunkt auch für internationale Gäste zu machen, also zum „Welcome Center“.
Abgesehen davon, dass niemand – N-I-E-M-A-N-D also – außer jenen mittlerweile von der Schulpflicht entbundenen oder vom Pendlerdasein in den Ruhestand übergetretenen Menschen weiß oder wissen kann, dass die Löwen jemals Treffpunkt waren, ist es ein schwer verständlicher aber offenbar in der Werbebranche völlig selbstverständlicher, nachvollziehbarer Schritt, zwei aus der Zeit des Nationalsozialismus stammende Skulpturen zum Symbol für ein „Welcome Center“ im Jahr 2008 für den Bahnhof von Hitlers einstiger Lieblingsstadt zu machen. Warum auch sollte man sich die Mühe machen, neue, unbelastete Symbole zu finden oder gar zu kreieren – oder aber bitteschön einfach mal nur nachzudenken. Jene Menschen, die ankommen, sehen nur zwei – kunsthistorisch und hinsichtlich ihrer künstlerischen Qualität betrachtet übrigens völlig unbedeutende – Löwenskulpturen, und jene Linzer und Linzerinnen, die wegfahren, ärgern sich kurz über diese Ignoranz, aber nicht lange, weil sie ja – genau – wegfahren.
Mit dem gleichen Selbstverständnis könnte ja auch die Kunstuniversität jenes Brückenkopfgebäude, das ebenfalls aus der Zeit Speers und Hitlers stammt, zum städtebaulich gar nicht so uninteressanten Symbol machen. Der Linz-Tourismus könnte die Nibelungenbrücke neben dem Lentos wieder stärker betonen, oder die Voest ins Blickfeld rücken. Seien wir doch stolz darauf.
Der Bahnhof Linz hat ja auch überhaupt keine anderen Sorgen. Wer mit dem Fahrrad zum Bahnhof kommt, findet die Einfahrt in jene ominöse Rad-Garage auch nach einer halben Stunde Suchens nicht (das einzig Tröstliche an dieser Garage ist, man weiß, sie ist da, man sieht sie ganz genau, hinter den Gitterstäben und Drehkreuzen, man bildet sie sich nicht einfach nur ein) und wer mit voller Blase am Bahnhof ankommt und keine 50 Cent Münze eingesteckt hat, verzweifelt auch. Außerdem rutscht die Schräge von der Tiefgarage in Richtung Schalterhalle derart, dass man mit Rollstuhl oder Kinderwagen bewaffnet endlich mal wieder richtig Spaß haben kann, auch wenn man gar keinen Rutschspaß erleben wollte. Und es werden ältere oder müde Menschen, die nicht erster Klasse reisen oder einfach nichts konsumieren wollen, gebeten, doch einfach auf den vielen Stufen Platz zu nehmen anstatt auf Bänken, aber was soll’s. Jene fahren ja WEG, dem Bahnhof Linz aber geht es um die Ankommenden. Wer wegfährt, der dreht sich nicht um, wer ankommt hat den Blick nach vorne oder nach oben gerichtet, und wer die Treppen hinaufgeht, der erblickt gleich jene Flaggen mit den Löwen und der Aufschrift: Welcome Center. Das Welcome Center selbst gibt es allerdings nicht, es gibt nur die Flaggen und auch die Kunststofflöwen sind wieder verschwunden. Wo also, um der Logik des Löwen-Treffpunkt-Ansatzes zu folgen, soll man sich denn nun treffen, und wo ist jenes ominöse Welcome Center? Sind die Löwen draußen das Welcome Center? Was erfahre ich im Welcome Center, was mir ein Stadtplan nicht mitteilen kann? Warum erzählen die Welcome-Center-Löwen nichts von ihrer Entstehungsgeschichte? Und wo bitteschön, ist jetzt die Einfahrt in die große schöne Fahrradgarage? Fragen über Fragen, die ich auch in diesem Sommer nicht beantworten werde oder beantwortet bekommen werde. Ich verlasse nämlich die Stadt. Des nächtens, wenn mich keiner sieht, die Baustellen schlafen und am Bahnhof die Lichter erlöschen und sich die Fahrräder, die dort in der Fahrradgarage ohne Eingang geboren wurden, aneinanderkuscheln. Dann, wenn der Hauptplatz im Getümmel und Gespeibe erstickt und das Kronehitradiofest mit dem Urfahraner Jahrmarkt einen heben geht und sie sich auf die Schultern klopfen, weil sie so super sind. Dann bin ich lange schon weg und komm frühestens zum Ars Electronica Festival wieder. Wer mich in diesem Sommer dennoch in der Stadt auf dem Fahrrad über die Landstraße holpern sieht und schimpfen hört, der irrt sich und bildet sich das nur ein.
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