Kaskaden am Trommelfell
Das Finale der Tage der Poesie „Für die Beweglichkeit 2“ fand mit einem Konzert in der Montagehalle der HMH-Engineering-Trading-Consulting-GmbH im Linzer Südpark statt. Der Schauplatz – viel mehr der Hörplatz ist eine Fertigungshalle für tonnenschwere Teer-Recyclingmaschinen. Ein Arbeitsraum, der mit gelb-grauen Riesenameisen gefüllt ist, die Bau- und Straßenschutt verdauen, in unterschiedliche Sand-Korn-Größen zerkleinern und diese in determinierter Kleinteiligkeit wieder auszuspucken vermögen. An den Wänden nehmen Regale Maschinenteile und Fertigungswerkzeuge auf. Durch das Dach fällt die strahlende Nachmittagssonne in den modernen Industriebau. Ein scheinbar fremdartiges, gerade deswegen so einnehmendes Ambiente, in dem zu Werkzeiten Geräusche des Maschinenbaus aufsteigen und das an diesem Samstagnachmittag mit zeitgenössischem Klang erfüllt sein will. Der in Graz geborenen Komponistin Katharina Klement wurde vom Festival ein Kompositionsauftrag erteilt. Der Arbeitsschwerpunkt Klements liegt seit vielen Jahren im Bereich der elektronischen Musik; so entstanden Tonband-Kompositionen, wechselweise in Kombination mit Instrument(en) und/oder Stimme(n). Sie fungiert oft wie auch bei dieser Uraufführung als „composer-performer“. Klement ist auf vielen internationalen Festivals vertreten. Die Komponistin hat ihr eigenes Label „KalK“.
Entsprechend dem Arbeitsvorgang der in dieser Halle gefertigten Maschinen folgt ihre Komposition „granular“ der Idee des Granulierens: grobteilige Klänge, Geräusche, Rhythmen werden in kleinteilige Sequenzen unterschiedlicher Körnung zerlegt. Perkussives Instrumentarium, ein präpariertes Klavier, elektronisches Instrumentarium und mehrere Lautsprecher sind im Raum verteilt. Der Schlagwerker und Perkussionist Wolfgang Reisinger bewegt sich zwischen seinen vier idiophonen Instrumentariumsplätzen – zwei finden sich zu ebener Erde, die anderen beiden auf dem erhöhten Niveau am Rücken der Industrieameisen. Inmitten dieser der Flügel, an dem die Komponistin nicht nur sitzend spielt. Davor lauscht das Publikum, das die Tontechnik im Rücken hat. An den Reglern sitzt Alfred Reiter, für die live-Elektronik bzw. die Programmierung sorgt Thomas Grill.
Klement entwickelt eine Art klingende Evolutionsschau, die sich in der Form als vierteilig erblicken und erhören lässt. Der Perkussionist beginnt seine Trommeln zu schlagen, heranschleichend, wenn auch ganz klar in einer tiefenscharfen Diktion. Der asketische Schlag setzt den Anfang. Ein Schlagen der Felle der Trommeln schlägt in seiner Ur-Archaik auf die Trommelfelle ein. Ein rhythmisches, sanft groovendes Tropfen, wie etwa der beginnende Regen auf dem Dach eines Zeltes. Das Klavier zeigt sich auch von seiner perkussiven Seite. Klebebänder auf den Seiten verhindern die Wahrnehmung bestimmter Tonhöhen. Ein Changieren zwischen unterschiedlichen Anschlagsfrequenzen und Anschlagsintensitäten schreitet voran. Ein pures Klopfen, trockenes Stampfen das sich bei erhöhter Geschwindigkeit als Vibrieren ausnimmt: ein Schnürlregen, das Rollieren von Schotter auf Förderbändern – ganz und gar secco. Die Elektronik prozessiert den Klang der Instrumente oder speist auch Klangmaterial aus dem Archiv zu. Der urmusikalische Vorgang lässt in seiner gerafften wie auch beschleunigten Zeitlupe die Partikel in seiner Grundbeschaffenheit greifen oder eben auch durch die Finger rieseln. Der Schlagwerker wechselt zu den Pauken, die Klebebänder werden herausgerissen: der Klang wird fetter, bekommt Bäuche, vermag nicht mehr nur zu „Knacken“, sondern kann jetzt auch rutschen, in und zwischen Frequenzbereichen. Liegend entschlägt Klement dem Klavierresonanzboden mit Hall aufgeladene Klangereignisse, die auf dem Weg sind, konkrete Tonhöhen anzunehmen. Das Glockenspiel ergreift erstmals eine „kultivierte“ Frequenz, in einer immanenten Glasklarheit, der fragil durchsichtige Klavierakkorde folgen. Der Zerlegungsgrad, das akustische Sieb wird in atmender Zärtlichkeit durchlässig. Die für mich intensivste Phase zeigt sich durch die Intimität nackter Klänge. Die Zeit geht verlustig, wie die Klänge sich still fortspinnen. Sie werden von wattigen Gongschlägen abgelöst, die alles Konkrete, Feinkörnige zu leugnen beginnen. Burzelbaumschlagende Kaskaden bäumen sich zum Finale hin auf, es wird laut. Die Evolution bekommt ein Finale verpasst, das ganz und gar nicht zu der wohltuenden Nüchternheit passt, die den Blick von aufoktroyierter Emotion frei gehalten hat. Eine Stretta, ein furioses Opernfinale, als ob es jetzt doch der klischeehaften Konvention des Schlussmachens folgen müsste. Ein vielleicht zu deutlicher Fingerzeig des Endenwollens, des Ende Zeigens. Der Vorgang des Granulierens erstickt in der Grobkörnigkeit brachialer Haptik. Und doch bleiben erlauschte Granulatderivate am Trommelfell haften. Der kreative Prozess des Herstellens, Machens und Vermittelns war über weite Strecken ein unmittelbar erlebbarer.
Komponistin Katharina Klement und Perkussionist Wolfgang Reisinger zwischen präpariertem Klavier und Industrieameisen.
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