„Die Öfen sind bald wieder voll … Fiderallallallalla“

Es war eine Geisterbeschwörung des Theaters ... Schauspieler­innen und Schauspieler des Berliner Ensemble vom Schiffbauer­damm gaben mit George Taboris Theaterstück „Jubiläum“ in der Regie des Altmeisters im Posthof in Linz ein Gastspiel und verstörten das Publikum mit so viel Menschlichkeit in einem Reigen der Grausamkeit. Eine Betrachtung von Martin K. Menzinger.

Ein Friedhof am Rhein im Jahre 1983. Ein To­ten­gräber stimmt im Spiel dieser seiner Toten­schau­fel ein Lied an und wir sind als Zuschauer Zeuge einer Gespenstersonate. Im Traumwandel der Fi­gu­ren  erwachen die Toten zu Leben ... Der Musi­ker Arnold Stern und seine Frau Lotte mit ihrer Nichte Mitzi und das Schwulenpaar Otto und Hel­mut. Der Schauplatz Friedhof gestaltet sich in der Auflösung von Vergangenheit und Gegenwart mehr und mehr zu einem Totentanz des Lebens. „Verbrecher kehren für gewöhnlich an den Ort ihres Verbrechens zurück. Gelegentlich auch die Op­fer.“ George Taboris Leitsatz führt uns mit aller Ra­dikalität Szene für Szene durch dieses Jubi­lä­ums­stück. Der Nazi Jürgen schändet als Helmuts Neffe die Gräber und bei George Tabori lehrt der Jude dem Nazi die Deutsche Rechtschreibung ... „Verrecke mit ‚ck‘, mein Junge.“ Und der Schwule Otto erklärt dem Nazi Jürgen die Graphologie des Hakenkreuzes. George Taboris Regie lebt von einer so ganz und gar selbstverständlich anmutenden Poesie der Bilder und diesem Taborischen Witz des Grauens. In der Körperlichkeit und Sinn­lichkeit dieser Inszenierung erzählt uns der Re­gis­seur mit seinen Schauspielern mit so viel Lie­be vom Hass. Die Schauspielkünstler vollziehen in der Virtuosität ihrer Verwandlung im Laufe dieses Bühnenstückes eine „Häutung“ und offenbaren sich in einem Gefühl der Geborgenheit mehr und mehr in aller Entblößung. In diesem Sinne schält die Spastikerin Mitzi im Spiel ihrer Rollen Gesicht für Gesicht aus dem Leib und ist unser aller Antlitz ...

MITZI
Als Kind Ich heiße Wituschka. Ich bin ein Mäd­chen. Sonst weiß man nichts von mir. Ich war fünf Jahre alt, als sie mich hängten.
Als Dr. Duclik Ich bekam Klammern, Pinzetten, Skal­pell, einige scharfe Ha­ken und etwas Novo­ca­in. Ungefähr um neunzehn Uhr brachten die Pfle­ger die Kinder von Revier IV zum Revier I. Sie wur­den bis zur Hüfte entkleidet und auf den Opera­ti­onstisch gelegt. Die Haut unter ihrem Arm wurde mit Jod bepinselt, und sie bekamen eine Spritze mit zehn Kubikzentimetern zweiprozentiger Novo­ca­inlösung. Dann tastete ich nach den Drüsen un­ter dem Arm, machte einen fünf Zentimeter langen Einschnitt, nahm die Drüsen raus und legte sie in Flaschen mit Formalin. (...)
Als Kind, laut Ich heiße Sergio di Simone. Als man mich am 20. April hängte, war ich sechs Jahre alt. Mein Vater lebt in Neapel, aber bis heute weiß er nichts von meinem Schicksal.
Als Vater, brüllt SERGIO! (...)
Als Trzebinski, hysterisch, wie vor Gericht Nach einer Weile kam Frahm rein und sagte, die Kinder sollen sich ausziehen.
Als Kind Ich ziehe mich nicht aus, warum soll ich mich ausziehen?

Ja aber warum sollte sich denn das Kind Mitzi nicht ausziehen? Es ist doch bald Zeit schlafen zu gehen ... Das Prinzip Zynismus in diesem Ritual De­­mütigung war uns ja schon immer die allerliebste Weis. Manchmal da tut’s so weh. Und so singen in Taboris „Jubiläum“ Juden Nazi­lieder ... de­ren Strophen mit „Fiderallalla“ enden. An diesem Abend hat im Theater niemand ge­lacht.

Zitat: George Tabori „Jubiläum“ Ausschnitt Szene 11; Programm­heft Nr. 66 des BERLINER ENSEMBLE; Theater am Schiffbauer­damm.  Druckpunkt, Berlin

PHOENIX GOES SPRINGTIME
Neil LaBute’s Theaterstück Fettes Schwein bietet in einer Inszenierung von Barbara Neureiter noch bis zum 20. April eine Bestätigung allgemein bekannter Vorurteile mit viel Klamauk zum Schenkelklopfen. William Shakes­peares Ko­mödie der Irrungen in einer Bearbeitung von Henry Ma­son bringt das Theater Phönix in einer Ko­pro­duktion mit „His Majesty’s Players“ vom 12.-21. April auf die Bühne. Die Grup­pe „Das Tribunal“ gastiert mit Wolf­gang Aist­leit­ner’s Stück Dieser verfluchte Montesquieu vom 26.-29. April.
www.theater-phoenix.at

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04/07
FotoautorInnen: 
Berliner Ensemble

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