„Die Öfen sind bald wieder voll … Fiderallallallalla“
Ein Friedhof am Rhein im Jahre 1983. Ein Totengräber stimmt im Spiel dieser seiner Totenschaufel ein Lied an und wir sind als Zuschauer Zeuge einer Gespenstersonate. Im Traumwandel der Figuren erwachen die Toten zu Leben ... Der Musiker Arnold Stern und seine Frau Lotte mit ihrer Nichte Mitzi und das Schwulenpaar Otto und Helmut. Der Schauplatz Friedhof gestaltet sich in der Auflösung von Vergangenheit und Gegenwart mehr und mehr zu einem Totentanz des Lebens. „Verbrecher kehren für gewöhnlich an den Ort ihres Verbrechens zurück. Gelegentlich auch die Opfer.“ George Taboris Leitsatz führt uns mit aller Radikalität Szene für Szene durch dieses Jubiläumsstück. Der Nazi Jürgen schändet als Helmuts Neffe die Gräber und bei George Tabori lehrt der Jude dem Nazi die Deutsche Rechtschreibung ... „Verrecke mit ‚ck‘, mein Junge.“ Und der Schwule Otto erklärt dem Nazi Jürgen die Graphologie des Hakenkreuzes. George Taboris Regie lebt von einer so ganz und gar selbstverständlich anmutenden Poesie der Bilder und diesem Taborischen Witz des Grauens. In der Körperlichkeit und Sinnlichkeit dieser Inszenierung erzählt uns der Regisseur mit seinen Schauspielern mit so viel Liebe vom Hass. Die Schauspielkünstler vollziehen in der Virtuosität ihrer Verwandlung im Laufe dieses Bühnenstückes eine „Häutung“ und offenbaren sich in einem Gefühl der Geborgenheit mehr und mehr in aller Entblößung. In diesem Sinne schält die Spastikerin Mitzi im Spiel ihrer Rollen Gesicht für Gesicht aus dem Leib und ist unser aller Antlitz ...
MITZI
Als Kind Ich heiße Wituschka. Ich bin ein Mädchen. Sonst weiß man nichts von mir. Ich war fünf Jahre alt, als sie mich hängten.
Als Dr. Duclik Ich bekam Klammern, Pinzetten, Skalpell, einige scharfe Haken und etwas Novocain. Ungefähr um neunzehn Uhr brachten die Pfleger die Kinder von Revier IV zum Revier I. Sie wurden bis zur Hüfte entkleidet und auf den Operationstisch gelegt. Die Haut unter ihrem Arm wurde mit Jod bepinselt, und sie bekamen eine Spritze mit zehn Kubikzentimetern zweiprozentiger Novocainlösung. Dann tastete ich nach den Drüsen unter dem Arm, machte einen fünf Zentimeter langen Einschnitt, nahm die Drüsen raus und legte sie in Flaschen mit Formalin. (...)
Als Kind, laut Ich heiße Sergio di Simone. Als man mich am 20. April hängte, war ich sechs Jahre alt. Mein Vater lebt in Neapel, aber bis heute weiß er nichts von meinem Schicksal.
Als Vater, brüllt SERGIO! (...)
Als Trzebinski, hysterisch, wie vor Gericht Nach einer Weile kam Frahm rein und sagte, die Kinder sollen sich ausziehen.
Als Kind Ich ziehe mich nicht aus, warum soll ich mich ausziehen?
Ja aber warum sollte sich denn das Kind Mitzi nicht ausziehen? Es ist doch bald Zeit schlafen zu gehen ... Das Prinzip Zynismus in diesem Ritual Demütigung war uns ja schon immer die allerliebste Weis. Manchmal da tut’s so weh. Und so singen in Taboris „Jubiläum“ Juden Nazilieder ... deren Strophen mit „Fiderallalla“ enden. An diesem Abend hat im Theater niemand gelacht.
Zitat: George Tabori „Jubiläum“ Ausschnitt Szene 11; Programmheft Nr. 66 des BERLINER ENSEMBLE; Theater am Schiffbauerdamm. Druckpunkt, Berlin
PHOENIX GOES SPRINGTIME
Neil LaBute’s Theaterstück Fettes Schwein bietet in einer Inszenierung von Barbara Neureiter noch bis zum 20. April eine Bestätigung allgemein bekannter Vorurteile mit viel Klamauk zum Schenkelklopfen. William Shakespeares Komödie der Irrungen in einer Bearbeitung von Henry Mason bringt das Theater Phönix in einer Koproduktion mit „His Majesty’s Players“ vom 12.-21. April auf die Bühne. Die Gruppe „Das Tribunal“ gastiert mit Wolfgang Aistleitner’s Stück Dieser verfluchte Montesquieu vom 26.-29. April.
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