Die Tetralogie des Kreises

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Ah, die Oper! Die diesjährigen Tanztage im Posthof starteten mit den internationalen Underdogs „Cesary Tomaszewski & Ulrike Hager“ und ihrer Love/Trash Beziehung zur Oper. Die beiden bildeten im März mit „Dance Tetralogy“ als Starter des „Tanztage Labor“ den experimentellen Auftakt eines hochkarätig besetzten Festivals, das heuer internationale Großartigkeiten, bzw. Gassenhauer sowie Klassiker des zeitgenössischen Tanzes in Linz versammelt. Ein Versuch über die Nichtvergleichbarkeit von Qualitäten.

Im Gegensatz zu diesen Gassenhauern und Klassikern, die – ob der hohen Dynamik und/oder einer Intensität an Poesie der Bilder – dem geneigten Pu­bli­kum fast unter Garantievergabe den Mund bereits offen stehen gelassen haben oder noch offen stehen lassen werden (und das zu Recht!), zeigt sich bei der Auftaktveranstaltung „Dance Tetralogy“ von Cesary Tomas­zew­ski und Ulrike Hager einmal mehr schlechte Stimmung, nimmt man zumindest „die Kritik“ ernst. Eine Destruktivität, die sich im oberösterreichischen Haupt- und Landesblattmedium einmal mehr in unbeherrschter Ahnungs­losigkeit äußert. Demnach konnte man „Dance Tetralogy“ wieder einmal schnell erledigen mit: „hilflos abgesoffen im Blabla“ und: „Ermüdend“.

Spürbar wurde jedenfalls tatsächlich eine gewisse Ratlosigkeit im Publi­kum, die ihren Grund vielleicht noch immer im Umstand findet, dass bei der Auftaktveranstaltung der Tanztage kaum getanzt wurde, was an sich ja schon lange nichts Neues mehr wäre, aber anscheinend dennoch schwer akzeptiert werden kann. Dass Kunstsparten ihre ureigensten Kernkom­pe­tenzen verlassen, geschieht einerseits als künstlerisches Statement und/
oder andererseits zugunsten einer weiterführenden Auseinandersetzung mit der ureigensten, jedoch immer neu zu definierenden Materie. So eine „Grundlagenforschung“ allein vermag es, als ungewöhnliches und zunächst nicht einordenbares Ergebnis den Horizont zu erweitern und nicht dasjenige Bühnenprodukt, das erprobterweise „mitreißt“, „umhaut“ oder sonstige schau­rigschöne Wohlgefühle bereitet (während man selbst schön zurückgelehnt sitzen bleibt, quasi vorne auf der Bühne jemand für das eigene, hochdämmernde Gefühl von Großartigkeit abhackeln lässt) – obwohl das natürlich wunderschön ist und auch gar nicht dumm sein muss.
Es bedeutet lediglich, dass es Qualitäten gibt, die nicht direkt vergleichbar sind und ein solcher Vergleich immer in einer Demontage „des anderen“ en­den, während „das eine“ immer nur super ist. Cezary Tomaszewski kommt jedenfalls aus dieser „anderen“ Ecke eines etwas progressiver ausgerichteten Tanz- und Performanceverständnisses, unter anderem aus dem Umfeld des Wiener Tanzquartiers, wo laut Tomaszewski gerade „niemand mehr tanzt und auch die Performance üblicherweise nur mehr in Zitaten endet“.
Sieht man „Dance Tetralogy“ nun als Performance, dann erkennt man eindeutig die diversen Elemente, das Zitieren und Zusammenwerfen unterschiedlichster Kunstsparten und deren in diesen Kunstsparten ausdifferenzierten Codes (Tanz, Musik, Sprache, Stand Up Comedy, Schauspiel, Video, di­verse Utensilien, usw.) zu einem eigenen Universum, das sich in diesem Fall zwischen Oper und Pop aufgesponnen hat. Sieht man „Dance Tetralogy“ weiters als Tanzperformance, dann kommt ein ganz zentrales Element dazu – die Thematisierung der Biographie des Tänzers als stilbildendes und identitätsbildendes Element: Tomaszewski nimmt die Identitäten, bzw. die möglichen Identitäten von vier Opernheldinnen an und bricht deren Themen, die diese Figuren in der Oper abzuhandeln haben („Ewigkeit“ oder „ewige Liebe“ etwa bei der Walküre oder: Floria Tosca versucht sich das Leben zu nehmen und: „Wie viele Stürze braucht sie, bis sie wirklich tot ist?“), auf eine eigene, tatsächliche Biographie, auf seinen eigenen tatsächlichen (Tänzer-) Alltag brutal und banal herunter, vermischt also „biographische und my­thologische Ebene“. Der eigene Alltag und die eigene Geschichte we­ben auf dieser biografischen Ebene, wie im zeitgenössischen Tanz und der Tanz­per­formance durchaus sehr üblich, die (tänzerisch körperlichen) Gege­ben­heiten zusätzlich in die Performance ein, wodurch speziell etwas, das vielleicht wie „Blabla“ wirkt, zu dem stilbildenden Element wird, mit dem an der experimentellen Front gehandelt wird. Da kann der Blick in den Spiegel vor 20 Jahren („I looked in the mirror, communism faded at that time away and suddenly I saw a pimple“) genauso wichtig werden wie die Identitäts­kri­se von Floria Tosca (die zur wunderschönen Musik von Tosca auf der Büh­ne lediglich eine raucht und sonst nichts tut), was wiederum in plattem Positivdenken gelöst wird („You will find the answer in yourself!“, „Yes, I found the answer in myself“), kurz bevor eine abgehalfterte Wunsch­fee auf die Bühne torkelt (in verschiedenen, gut platzierten Nebenrollen: Ulrike Ha­ger) – die Fee etwa wirkt vom Leben selbst schon etwas mitgenommen und bietet aus ihrem Packerl doch nur enttäuschende Lösungen für Selbstwert und (tänzerische) Selbstvermarktung an („You have to be light, you have to be right, you have to be gay“), bevor sich dann Floria Tosca alias Tomaszew­ski letztendlich als Rettung wieder in einen Popsong verzieht („See that girl – whatch that scene – dancing Queen!“).

Das große Opernexperiment
Um was geht’s insgesamt in „Dance Tetralogy“? Tomaszewski verwob das Schicksal von vier Opernheldinnen aus Walküre, Zauberflöte, Tosca, Medea zu einer performativen, biografisch durchbrochenen Variante der Oper, die in einer unkommentierten Videoeinspielung von Kriegsschauplätzen endet (siehe auch Interview). Und, nachdem jetzt einige Male von „Ex­periment“ ge­sprochen wurde – was war jetzt eigentlich das Experiment, bzw. das ex­pe­ri­mentelle Setting in „Dance Tetralogy“, das über „Tanz“ oder „Tanz­per­for­mance“ hinausging? Wenn man nämlich den nahe liegenden Ver­gleich mit dem brillanten Tänzer und Tanzperformer Nigel Charnock her­­nimmt (auch schon zwei Mal im Posthof zu Gast), dann entstehen folgen­de Ein­drü­cke: Dass „Dance Tetralogy“ im Vergleich dazu wirklich abgesoffen ist und dass „Dance Tetralogy“ aber auch grundsätzlich etwas anderes wollte, wo­für ganz eindeutig die Thematisierung der Oper an sich und die damit einherge­hen­den Formwahl spricht. Im Vergleich zu Charnock war dem­ent­spre­chend zu viel Versuch von Erzählung, bzw. von einer anderen Narration in der Dra­ma­­turgie spürbar. Außerdem stellte die Darbietung darüber hinaus spürbar ein Experiment dar, in die Performance, die „nur mehr zitiert“, wieder eine Nar­ra­tion einzubringen, die als experimentellen Faktor „das Gro­ße“ (die gro­ßen Gefühle und Themen der Oper) nicht fürchtet. Ent­sprechend dieser Be­haup­tung wurde in der Performance neben dem All­täg­lichen mit einem „übergroßen Realen“ hantiert, wobei uns al­len dieses „Über­große“ als „thematisch Rea­les“ gleichzeitig sehr bekannt sein müsste: der Verlust von Si­cher­heit auf allen Ebenen. Am Ende von „Dance Tet­ra­logy“ findet dies nach einigen doch sehr individuellen bis slapstickhaften Einlagen auch seine sehr klare Ent­spre­chung im plötzlichen, in­haltlichen „Aufreißen“ zum Ter­ror­anschlag, wo­für auch der Stilbruch zum plötz­lich vorhandenen Me­di­um Video spricht.

Vom Scheitern am Übergroßen
Das Hantieren mit dem Thema Oper kann in diesem Zusammenhang ein extrem fruchtbares Experiment werden: Wenn man bedenkt, dass die Oper im 16. Jahrhundert als Versuch entstanden ist, eine neue Form zu kreieren, die ganz weit zurückgreift (in die Antike), um „in die Höhe“ zu kommen (als Ergebnis der Renaissance hin zur Aufklärung), dann kann die Einführung des antiken Chors, der dann um 1600 in der Folge zur Form „Oper“ führte, ein Experiment in eine ähnlich Richtung darstellen: „Dance Te­tralogy“ kann als eine sehr performative Form des „Chores“ von vielschichtig fragmentier­ten Alltagsstimmen, Bildern und Codes gewertet werden – denn dieser Chor des großen, unzusammmenhängenden Ganzen ist trotz­dem ganz real und in­­dividuell zu bewältigen, obwohl man in diesem Spek­trum von individu­el­ler Biographie bis zum globalem Wahnsinn nur scheitern kann. Dass so ein Versuch von künstlerischer Bewältigung nicht immer nach den Spielregeln der konventionellen Bühne gemessen fürs Pu­bli­kum „funktioniert“, liegt sicher auch an einem zentral zu wertenden Be­kenntnis von Künstlern, sich überhaupt auf „Übergroßes“ einlassen zu wollen, sich in gewisser Weise nicht davor zu drücken, was per se nicht mehr integrierbar ist. Die „große Kunst“ und gleichzeitig der Trash bei Dance Tetralogy bestand möglicherweise darin, diesem „realen gegenseitigen Scheitern“ von Größe an Ba­na­li­tät (und umgekehrt) in Bildern, Text, Musikauswahl, Vermischung von Bio­graphie, Mythologie und verschiedenen Genres eine präzise Form zu setzen. Wertung: Sehr gelungen, sehr viel mehr als Trash! Setzt ein Publikum voraus, das Auseinandersetzung sucht, an Zeitgenössischem interessiert ist, einen Sinn für Trash hat, bzw. „die Tetralogie des Kreises“ zu fühlen vermag. Schon zu viel verlangt jenseits der Unterhaltungskultur?

Nach Cezary Tomaszewski & Ulrike Hager, Galili Dance und Editta Braun & Rebecca Murgi jagt der Rest der Tanztage von einem Highlight zum nächsten, geboten werden noch:
Balé da Cicade de Sao Paulo (Bra) – Constanze/Divineia/Zona Mina-Da: So, 1. April 20.00 h
Ballet Preljocaj (Fr) – The 4 Seasons: Di, 17. April, 20.00 h
Wim Vandekeybus & Ultima Vez (Be) – Spielgel: Fr, 20. April, 20.00 h
Daniel Léveillé Danse (Cdn) – The Modesty Of Icebergs: Fr, 27. April, 20.00 h
www.posthof.at

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04/07
FotoautorInnen: 
Hannelore Mollnhuber

„I clash myself into a strong presence“. Der aus Polen stammende Cezary Tomaszewski mit der in Linz lebenden Ulrike Hager im Stück „Dance Tetralogy“, das 2005 in Zürich und Lausanne vielbejubelt aufgeführt wurde.

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