Filme mit Ecken und kanten

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Vom 24.-29. April wird wieder das Filmfestival „Crossing Europe“ stattfinden und „für einige Tage im Jahr Gastgeberin für Europa im Filmbereich sein“. Gezeigt werden 120 Filme in verschiedenen Schwerpunktschienen, außerdem befinden sich 12 Filme im Wettbewerb – ein Interview mit Festivalintendantin Christine Dollhofer.

Die Eröffnungsfilme: Stehen sie beispielhaft für eine Linie des Festivals und für welche?
Natürlich können drei von insgesamt 120 Filmen – so umfangreich ist die Pa­lette von Crossing Europe – nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Ge­samt­programm bieten. Trotzdem steht eine programmatische Überlegung hinter der Wahl der Eröffnungsfilme: Lokale, regionale Besonderheiten, die international funktionieren. Das ist mit Attwenger ebenso wie mit Marcus J. Carney’s schonungsloser Aufarbeitung der nationalsozialistischen Fami­liengeschichte gegeben. Mit den Filmen von Marc Recha bringen wir im Ge­genzug eine Entdeckung aus Katalanien nach Linz. Allen Filmen liegt eine eigenständige künstlerische und politische Haltung zugrunde, die wir allen Filmen in unserem Programm abverlangen. Das führt dazu, dass die Filme, die wir zeigen, oftmals auch verstören können und nicht immer auf ungeteilten Zuspruch stoßen. Aber diese Reibung macht ja gerade den Mehrwert eines Festivals mit Anspruch aus.

Wie positioniert sich das Festival, bzw. wie positioniert es sich zunehmend, verändert sich da was in der Linie oder in den Schwerpunkten?
In Österreich würde ich Crossing Europe inhaltlich zwischen Viennale und Diagonale ansiedeln und als das missing link zwischen internationalem und nationalem Kino sehen. Im europäischen Kontext sind wir natürlich ob unserer Größe ein zwar feines, aber kleines Festival, das sich eher durch eine spezifische Programmzusammensetzung auszeichnet. Es gibt ja über 600 Filmfestivals in Europa und an die 800 Kinofilme aus Europa, die jährlich produziert werden. Schon allein aus diesem Grund kann Crossing Europe nur einen Ausschnitt bieten – aber auf die Mischung kommt es an. Und wie schon vorher angedeutet, geht es mir darum, ein handverlesenes und natürlich auch von persönlichen Vorlieben geprägtes Programm mit ak­­tuellen Arbeiten aus ganz Europa zusammenzustellen. Wichtig sind mir je­ne Filme, die häufig zu eigenwillig oder zu exzentrisch sind, um im regulären Kinobetrieb noch Platz zu finden, die aber auf internationalen Festivals und im Kreis der FestivalmacherInnen für Aufmerksamkeit gesorgt haben – Filme, die eine eigene Handschrift und Haltung aufweisen, Filme, die et­was wagen, Filme mit Ecken und Kanten eben.
Kurz gesagt, Perlen des jungen europäischen Autorenkinos und auch formal herausragende Dokumentarfilme, die sich mit gesellschaftspolitischen The­men beschäftigen.
Auf der veranstalterischen Ebene verstehe ich Crossing Europe als einmali­ge Gelegenheit, in wenigen Tagen einen Ort der intensiven Auseinan­der­set­zung und Begegnung von europäischen Filmschaffenden und dem heimi­schen Publikum zu schaffen. Crossing Europe bietet die Möglichkeit, einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen der Filmkunst in Europa zu erhalten. Klarerweise muss das Programm auch für internationale Gäste wie Jour­nalistInnen und FestivalkuratorInnen, die wir ja nach Linz bringen wollen, attraktiv sein. Wir müssen also programmatisch und atmosphärisch gu­te Angebote haben: Statt roter Teppiche und großer Stars – das würde we­der zum Festival passen, noch könnten wir uns das leisten – sind weltoffene GastgeberInnenschaft und familiäre Atmosphäre gefragt.

Obwohl man das hinsichtlich des Gesamtprogramms wahrscheinlich nicht fragt – aber:  Was sind die Highlights des diesjährigen CE, was darf man nicht verpassen?
Bei 120 Filmen ist das tatsächlich eine schwierige Frage, aber die Local Ar­tists-Schiene ist heuer sehr spannend ausgefallen, Marc Recha sollte man nicht versäumen, die neue Installation von Sejla Kameric im O.K, die Dokus in der Arbeitswelten-Reihe, die 12 Filme im Wettbewerb, das Double Fea­ture Buñuel/Oliveira – „Belle de jour“/„Belle toujours“, und im Panorama fin­den sich noch jede Menge weitere Highlights wie die Musikfilme in der Kapu. Womit wir wieder beim Gesamtprogramm gelandet sind, zu dem aus unserer Sicht auch die Nightlines im O.K Mediendeck gehören ...

Wir werden einen Artikel in spotsZ haben, der das Buch „Crossing New Europe“ rezensiert (im letzten Jahr vorgestellt). Die These von postmodernen Erzählstrukturen zwischen MigrantInnentum, Feminismus, etc. wird an Hand des „Reisens“ und von „Road Movies“ erläutert. Wie sehen Sie das diesbezügliche Spektrum im europäischen Film? Es scheint eine geeignete Klam­mer zu sein, innerhalb derer sich vieles definieren lässt, als Beispiel auch der definitorische Gegensatz „Episches Home Movie“ beim Eröffnungsfilm „The End of the Neubacher Project“.
Im Programm von Crossing Europe findet man viele Filme, die diese These zum Teil bestätigen wie zum Beispiel der Film „Transe“ der portugiesischen Regisseurin Theresa Villaverde. Das ist ein Road-Movie im negativen Sinn, denn darin wird die traumatische „Reise“ einer jungen Russin durch Euro­pa beschrieben, die im Westen ihr Glück sucht, statt dessen aber bei international agierenden Zuhälterbanden landet. Die Regisseurin verhandelt die Trafficking-Thematik aber nicht in Form eines klassischen Problemfilms, son­dern bricht mit ihrem unkonventionellen Stil gängige Narrationsmuster. Marc Recha verarbeitet in seiner jüngsten Arbeit „August Days“ den Verlust eines Freundes, indem er sich auf eine Reise begibt und immer wieder auf Orte stößt, die Spuren des Spanischen Bürgerkriegs tragen. Auch in „Friss Levegö“ nimmt ein Ausbruchsversuch die Gestalt einer Reise per Anhalter an.
So ließen sich noch viele weitere Beispiele aufzählen. Und zum Gegen­satz­paar „episches Home Movie“: Über diese Definition bin ich nicht sehr glücklich, weil der Film für mich viel mehr darstellt, er ist grenzgängerisch, ja ge­ra­dezu selbstzerfleischend, eine radikale Auseinandersetzung mit der Nazi­vergangenheit der eigenen Familie und den Folgen einer jahrzehntelangen Verdrängung. Eine unbequeme Reise, nämlich in die Vergangenheit. Das Epi­sche hat sich durch die achtjährige Drehzeit ergeben und dementsprechend viele Ereignisse brechen unvorhergesehen in die Erzählung ein.

CE 2007 ist eine der ersten Kooperationen mit Linz 09. Es wird im Zusam­menhang mit der Kulturhauptstadt immer sehr viel über „Chancen“ gesprochen, die damit einherkommen sollen (Anm: bei einer Eröffnungsrede von Erich Haider sogar „eine Chance für Linz und Europa“). Worin besteht Ihrer Meinung nach die „Chance“ oder der „Überbau dieser Chance“, wie äußert sich das für CE konkret? Ist es nicht einfach auch so, dass plötzlich viel mehr Geld für einige Dinge da ist?
Ohne Geld keine Entwicklungschancen. Im Fall von Crossing Europe geht es hier um eine dringliche Notwendigkeit, klar. Aber natürlich ist nicht al­les nur ans Geld geknüpft. Ich verstehe die Chance darin, neue Blickwinkel zu eröffnen, und zwar für das Publikum in Linz und Umgebung genauso wie in den Köpfen der politischen Entscheidungsträger. Es wäre schön, wenn nicht nur Festgefahrenes und Etabliertes weitergetrieben würde, sondern wenn auch neue Ideen zugelassen würden und die Chance zu Wachstum und Entwicklung bekommen würden. Ich fände es ehrlicher zu sagen: „Nein, diesen Luxus eines Filmfestivals wollen wir uns nicht leisten“, statt den Ver­anstalter permanent einem finanziellen Spießrutenlauf auszusetzen. Leider ist es bereits gängige Praxis der öffentlichen Hand, nur mehr eine relativ be­scheidene Sockelfinanzierung zu gewährleisten, der Rest muss dann von Sponsoren und aus anderen Quellen kommen. Bei Crossing Europe ist ge­nau das der Fall. Stadt, Land und Bund finanzieren nur knapp über 50% des Gesamtbudgets von Crossing Europe, und wenn die öffentlichen Mittel nicht aufgestockt werden, wird auch kein Sponsor tiefer in die Tasche greifen. Wer sich angesichts dieser Lage Hals über Kopf ins Fundraising stürzt, braucht ent­weder zusätzliches qualifiziertes Personal dafür oder muss die program­matische Arbeit vernachlässigen. Das ist das Drama aller Kultur­be­triebe.
Für Crossing Europe hoffe ich natürlich, dass uns diese Entwicklungs­chan­ce – auch durch ein zwischenzeitliches Backing durch 2009 – gegeben wird. Denn wenn es langfristig keine Budgetaufstockungen gibt, wird es für uns schwierig, attraktiv zu bleiben.

Ich bin zur Zeit in Graz bei der Diagonale, die gerade ihr zehnjähriges Jubi­läum feiert. Hier ist es trotz turbulenter Festivalgeschichte gelungen, ein kontinuierliches Wachstum zu schaffen. Wenn ich das Potenzial hier sehe, kommt schon Wehmut auf!
Ich bin davon überzeugt, dass auch Linz mit Crossing Europe eine derartige Entwicklung machen kann, aber im internationalen und auch im österreichischen Vergleich sind wir nach wie vor ein LowBudget-Festival. Nur zum Vergleich: Die Diagonale erhält vom Land Steiermark allein an Preis­gel­dern in etwa jenen Betrag, den das Land Oberösterreich Crossing Europe insgesamt zur Verfügung stellt. Ähnlich verhält es sich mit dem En­ga­ge­ment der Stadt Graz bei der Diagonale verglichen mit dem, was der Stadt Linz ein europäisches Festival wert ist.
Generell ist 2009 natürlich eine Chance zum Experimentieren und zum Aus­probieren von Neuem. Es ist die Gelegenheit, frischen Wind in die Stadt zu bringen und ein Oszillieren von Ideen und Menschen anzuregen. Wir von Crossing Europe wollen jedenfalls vor und nach 2009 für einige Tage im Jahr Gastgeberin Europas im Filmbereich sein.

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