Rare Momente und realer Dreck
Im Gegensatz zur Ausstellung „just do it“, die im Lentos vor einiger Zeit Kunst versammelte, die durch aktivistische, bzw. journalistische Methoden verschiedene symbolisch/soziale Bedeutungsebenen und (künstlerische) Strategien von Wiederaneignung thematisierte, zeigt die Ausstellung „futuresystems : rare momente“ derzeit sechs exemplarische Installationen in zwei Räumen des Museums. Als „Interventionen des Visionären“ verlassen sie weitgehend direkte soziale und politische Kontextualitäten und begeben sich in eine Art poetisch-traumhafte Parallelwelt, wo die Uhren irgendwie anders ticken (als in einer indirekt mitpostulierten Welt von expansiver, Sinn und Sinnlichkeit aushöhlenden Effizienz). So positioniert versteht sich Kunst als eine Vermittlerin einer anderen Art von Erleben, nämlich als „Moment von sinnlicher Intensität und als Medium poetischer Erfahrung“. Sie soll es dergestalt möglich machen, „eine alternative Welt zu denken und Utopien zu entwickeln“. Dabei werden die Begriffe „futuresystems“ und „rare momente“ gegenübergestellt. Das Begriffspaar soll einerseits zukünftige Perspektive, Planung und Handlungsoptionen erkunden, andererseits poetische Intensitäten im Hier und Jetzt eröffnen. Es hilft, für eine Interpretation der Ausstellung den Doppelpunkt im Titel „futuresystems : rare momente“ als kämpferisches „versus“ („vs.“) zwischen den beiden Begrifflichkeiten aufzufassen, um der Verstrickung von Zukunftsvisionen und einer Poesie der Gegenwart auf die Spur zu kommen.
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Betritt man die Halle mit den Ausstellungsobjekten, widerspiegelt sich Realität sinnlich und unmittelbar, die Ausstellung erschließt sich sofort in ihrer Gesamtheit durch Sehen, Riechen und Hören. Fünf Installationen springen einen sinnlich an: Ein auf Stühlen in gleicher Höhe stabil ausbalancierter, begehbarer Raum (Michael Kienzer, A/Carolina Caycedo, GB); eine am Boden liegende Hausfassade, deren Begehung durch einen schräg angebrachten Spiegel zum Fassadenklettern wird (Leandr Erlich, ARG); eine rülpsende, tönende und blubbernde Bildprojektion von futuristisch anmutenden Flüssigkeiten (Martin Walde, A); eine monumental freistehende geschwungene Wand aus duftendem Babypuder (Job Koelewijn, NL, Bild oben) und ein hängendes Licht-Design-Objekt, das verschiedenfarbige, wandernde Licht- und Reflexionseffekte erzeugt (Olafur Eliasson, DK). Nach dem Passieren eines rot gestrichenen Durchgangs wird klar, wo und wie der E-Gitarrensound generiert wird, der im gesamten Ausstellungsbereich in der Luft liegt (wie das tönende Geblubber und der Duft des Babypuders): Die letzte Installation besteht in einem separaten Raum aus einer „komplexen Welt“ für etwa 30 Zebrafinken, der drei E-Gitarren und Verstärker beigefügt wurden, die den Vögeln als Sitzgelegenheit dienen. Um kurz bei diesem Beispiel zu verweilen: Zebrafinken sind zweifelsohne sympathisch-bunte Gesellen, die von der Natur aber sicher nicht mit gesanglichen Qualitäten ausgestattet wurden. Wenn nun diese untalentierten Vögelchen in ihrer geschwätzigen Unbeschwertheit nicht nur nebenbei, sondern völlig unbeabsichtigt durch Sitzen, Fressen und Fliegen Klänge erzeugen, die an dekonstruktivistische Klangexperimente einer Kunstavantgarde der 80er/90er Jahre erinnern, dann beschreibt dies die poetische Qualität von „futuresystems : rare momente“ sehr gut. In ihrer Konstruiertheit offensichtlich einfach und gedanklich gut durchschaubar weisen alle Ausstellungsbeiträge ein genaues Setting diverser Komponenten auf, deren offenes Erstaunen sich an irritierenden, irrealen oder anderweitig das reale System „unerwartet durchkreuzenden“ Momenten reibt. Sie beschreiben in diesem Sinne weniger „Zukünftiges“ als vielmehr „Utopisches“, weil in unserer Welt in seiner Besonderheit selten Vorkommendes – also „rare Momente im Hier und Jetzt“.
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Die poetische Dimension wird in einem zweiten Schritt der Betrachtung geradezu erst glaubhaft durch die hingeworfene Leichtigkeit, den Dreck und die Umwertung von Elementen, die aus der realen Welt kommen. Bei genauerem Hinsehen integrieren nämlich alle Beiträge angedeutete Unheimlichkeiten (die Lichtreflexionen etwa wirken im Gesamtzusammenhang der Ausstellung wie eine psychedelisch designte Gehirnwäsche) bis hin zu real existierenden Bedrohungen (der Raum, der in Umkehrung von Außen und Innen auf Sesseln ruht, beschreibt präzise ausgeklügelte, „prekäre Balancen“) oder ihren immanent innewohnenden Gegenpart von dreckiger, entzauberter, unsinnlicher oder geschlossener Welt. Eine Interpretation, der die Kuratorin Maia Damianovic möglicherweise zustimmt, wenn man den Begriff „erstaunliche Doppelgänger“ in einer Gegenwart ansiedelt, die ihre Wunschliste lediglich an eine bessere Zukunft adressiert: „Die Intensitäten von ‚erstaunliche Doppelgänger‘ basieren auf spekulativen Visionen und experimentellen Situationen, die unkonventionell und überraschend genug sind, um den Wahrnehmenden oder Teilnehmenden zu verführen und zu fesseln, ihn aufzufordern, seine normativen Standpunkte zu verlassen und andeutungsweise einen Raum des Träumens zu eröffnen.“ Maia Damianovic spricht in diesem Zusammenhang auch von „einem Prozess der Realisierbarkeit von Aura“. Gegenwart und Zukunft erweisen sich in diesem Punkt zumindest als einander durchdringend, wenn es darum gehen soll, innerhalb der bestehenden Systeme Momente wahrhaftiger Poesie zu erkunden. Das impliziert möglicherweise aber auch, dass durch die befreiende Kraft poetischer Erfahrung das Andere eingeleitet werden soll, weil es an dem Einen, das wir kennen, an der Oberfläche nicht mehr genug zu modifizieren geben scheint, als dass es in der Tiefe nicht grundlegend verändert werden müsste.
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Neben der kraftvollen Positionierung der Ausstellung zu einer utopischen, grundsätzlichen Freiheit und Befreiung des Menschen, schwingt allerdings auch das Gefühl eines beunruhigenden Prozess von zunehmender Illusionierung nach. Die poetische Dimension vermag zwar auf unerwarteten Wegen in die Welt des Realen durchdringen (und natürlich umgekehrt), kann aber niemals per se zum „Funktionieren“ gebracht werden. Dass überhaupt die Möglichkeit der Ausbalancierung von sozialen und politischen Systemen in der realen Welt angenommen wird, die noch dazu für das Individuum poetische Momente eröffnet, ist außerdem das eigentlich irritierende „Zukunftsmoment“, das mit Maia Damianovic gesprochen in „unerwiderter, einzigartiger Poetik in einen Dialog von Erwartung und Sehnsucht“ treten kann. Möglicherweise ist das die perfekte Traum-Manipulation, möglicherweise beschreibt das wirklich eine andere Welt, die aus einer anderen conditio humana hervorgeht – möglicherweise beschreibt es doch, wie wir das mittlerweile schon gewohnt sind, viele verschiedene Welten und Identitätsbilder, die sich verschiedenartig ausgestattet, ineinander verschränkten. Es bleibt offenes Erstaunen und Unbehagen gleichermaßen, die sich bereits aus der heutigen Realität in den Museumsraum hineinzieht.
Hinweis: Die Ausstellung wurde im Rahmen von „Translate“ (Kultur 2000 Programm der EU) unterstützt. Translate befasst sich unter anderem mit „Kritik an Kulturalisierung“. www.translate.eipcp.net
Eine monumentale freistehende geschwungene Wand, bedeckt von vielen Schichten Puder, dem als flüchtiges Element „durch langwierige, händische Bearbeitung die Schwerkraft entzogen wurde“ – ein großes Ronde zwischen Depression und erinnerter Geborgenheit: Job Koelewijn und seine duftende „Infinite Baby Powder Wall“.
Ein Ökosystem, eine „komplexe Welt“ für etwa 30 „musizierende Zebrafinken“: Mit „from here to ear“ erzeugt Céleste Boursier-Mougenot einen „musikalisch, schwirrenden und visuell verführerischen Ort und vor allem ein lebendes Kunstwerk“ – und schließt den Käfig für seine kunstmitstreitenden Vögelchen nach außen mit „wissenschaftlich belegter, ästhetischer Gestaltung“ ab.
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