Aus der Ferne – Eine Wellness-Oase rächt sich
Weil ich ein grundsätzlich konservativer Mensch bin und noch dazu abhängig von Schulferien, fahre ich in den Semesterferien fort. Kollege K., der lange Zeit hauptberufliche Lehrer, hat kürzlich für die Zeit zwischen Schulnachricht und Zeugnis den völlig zu Unrecht vergessenen, wunderhübschen Begriff „Energiewoche“ verwendet, und hat mich daran erinnert, das auch heuer wieder zu tun. Während ich und meine Schwestern als Kinder noch in die Berge geschleppt wurden, nur um von ihnen hinuntergeschubst zu werden und mit den Wedelversuchen, die wir zwischen Berg- und Talstation vorführten, unseren Vater stolz zu machen, habe ich – schon lange vor der Schneeknappheit – beschlossen, meinem eigenen Kind die Annehmlichkeiten des flachen, maximal hügeligen Landes urlaubstauglich schmackhaft zu machen. Ich schlage also das großartige Angebot einer Freundin aus, diese Tage bei ihr in den Bergen zu verbringen, sondern überrede auch noch meine völlig unschuldige Schwester samt fünfmonatealtem Sohn, mit mir und meinem eigenen Sohn ein paar Tage in einem Wellnesshotel zu verbringen. Dort wollten wir Gifte ausschwitzen, um sie uns an der Bar des Abends wieder reinzutrinken. Nur wir zwei, denn da unsere Freunde zum Glück ja grundsätzlich etwas gegen Familienurlaube haben, blieben die zu Hause, taten so, als hätten sie sowieso wahnsinnig viel zu tun und winkten zum Abschied. Wir taten so, als würden wir ihnen glauben und winkten zurück.
Weil aber Wellness-Oasen offenbar einen Geheimbund gegründet haben, Kolumnen lesen und sich darüber austauschen, beschloss die Wellness-Oase am Urlaubsort, sich an mir für meine Kolumne von vor zwei Ausgaben zu rächen. Im Wellnesshotel angekommen, gab es dort vieles und noch mehr nicht. Ein Gitterbett zum Beispiel und Schwimmwindeln. Also kauften wir Schwimmwindeln, wollten Schwimmwindeln kaufen, in einer Seengegend. Wer nun meint, es reiche aus, eine Seengegend zu sein, um Schwimmwindeln im Sortiment zu führen, der irrt. Auf die einzelnen Saison-Tage exakt abgestimmt, führen Drogerien und Drogeriemärkte nur an bestimmten Tagen und in bestimmtem Umfang Schwimmwindeln. Erstens muss Sommer sein, zweitens muss es heiß sein, drittens muss der See Badetemperatur haben. Dass es mittlerweile rund um diesen See auch Hotels gibt, die im Winter geöffnet haben und mit Hallenbädern unschuldige Kunden locken, zählt nicht. Wäre ja blöd, zuviel Schwimmwindeln im Lager zu haben, wo die doch sofort schlecht werden und weggeworfen werden müssen.
Also gingen wir zu einem Viertel Nacktbaden, wollten gehen, das betreffende Viertel durfte nicht, könnte ja das Wellness-Wasser verunreinigen. Ein anderes Viertel, das durfte weil bekleidet, baden, begann nach mehrmaligem Springen und anschließendem Tauchen damit, wie ein Wilder aus der Nase zu bluten. Eine Verunreinigung konnten wir in letzter Sekunde nur dadurch verhindern, dass dem armen Jungen der Kopf nach hinten gedrückt und er so aus dem Wasser und unter die Dusche gezogen wurde. Die anwesenden Gäste – die echten, nicht die mit den Kindern – fühlten sich gestört und wurden ungehalten, zumal der Zwölfjährige hoch erfreut über den Blutungsstopp seinem kleinen Cousin anschließend im Ruheraum das Wort Hydraulik beibringen wollte – was uns unseren Kindern ja völlig ergebene Mütter amüsierte – die echten Wellnessgäste allerdings nicht. Interessanterweise fühlten sie sich durch die laut und durchs ganze Haus tönende Musik-CD nicht gestört. Ich möchte bei der Gelegenheit erwähnen, dass ich mich nun entschlossen habe, durch die Produktion von Wellness-Oasen-Musik-Cds Geld zu verdienen. Das ist ein unfassbar großer Markt, mit einer Zielgruppe, die leicht zu befriedigen ist, damit kann man Geld machen. Als ich während einer Wasser- und brauner-Brei Entschlackungskur im dunklen Raum lag, und gerade dabei war, mich zu entspannen und auch ein wenig zu entschlacken, sprach ein Mann mit mir. Immer dann, wenn meine Schlacken sich gerade auf den Weg aus meinem Körper machten, begann er unverständliches Zeug in einer tiefen, eindringlichen Stimme zu sprechen oder zu singen. Darauf angesprochen, erklärte die Kosmetikerin, dies sei ein Tantra-Musical und eigentlich recht beliebt. Eigentlich recht beliebt ist auch das Gefühl, wenn man auf dem Weg der Besserung nach einer Blasenentzündung ist. In Verbindung mit Esoterik Gequatsche sind Musicals aber offenbar noch viel beliebter als das gute Gefühl nach einer überstandenen Blasenentzündung. Kaum dass ich erfahren habe, dass es Tantra-Musicals überhaupt gibt, kam ich zu der sehr festen Überzeugung, dass die nach Turkmenbashi-Art ganz schnell wieder abgeschafft werden sollten. Turkmenbashi aber ist mittlerweile tot und ein anderer Turkmene treibt Oppositionelle aus dem Land und benennt Straßen und Sterne nach seiner Mutter. Bei uns entstehen währenddessen Tantra-Musicals. Und sie sind – darauf hat man sich im Geheimbund der Wellness-Oasen, zu dessen Sprachrohr sich Kosmetikerinnen machten, geeinigt – auch noch recht beliebt.
Vielleicht gibt es für dieses Land tatsächlich nur noch ganz wenig Hoffnung.
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