Der Blutzoll im Brückenkopf

Die jüngste Produktion des Musentempels ist ein Theaterparcours der düsteren Art. Im Linzer Stadtkeller spielt man sich durch eine ungarische Vampirlegende, blendet die NS-Geschichte des Hauses dazu und prügelt gegen das Zuschauen und die Mitwisserschaft an. Die Klammer dafür: Blut und Blutzoll, Schuld und Schuldfrage.

Sie ging als „Blutgräfin“ in die Geschichte ein: Erz­sébet Báthory (1560–1614), adelige Ungarin und Spross einer reichen Familie, bei der die Habs­bur­ger hoch verschuldet waren, wurde 1611 un­ter Hausarrest gestellt. Man legte ihr zur Last, jun­ge Mädchen, zuerst Dienstmädchen, dann solche aus dem Bauernstand und schließlich auch junge Adelige gequält, gefoltert und ermordet zu haben. Bis heute schwanken die Opferzahlen zwischen 36 und 650, wobei Aussagen aus dem zeitgenössi­schen Prozess zu ersterer tendieren, das Guiness­buch der Rekorde zu zweiterer. Es führt Báthory als jene Frau, die die meisten Morde begangen hat.

Die Anklage zu Beginn des 17. Jahrhunderts lautete auf mehrfachen Mord, Báthory selbst wurde allerdings nicht vernommen. Gegenstand des Pro­zesses waren Zeugeneinvernahmen der beschul­dig­ten Mitttäter aus Báthorys Gefolge und die Be­fragung der Bevölkerung. Und ab hier machen wah­re oder auch unwahre Schauergeschichten die Runde. Die Gräfin habe in jungfräulichem Blut ge­badet, um ihre jugendliche Schönheit zu konservieren. Sie habe junge Mädchen zu Tode ge­quält, die Opfer den Wölfen zum Fraß vorgeworfen usw.

Was anfangen mit dieser Legende? Ist der Mythos von historisch Verbürgtem trennbar? Peter Per­tu­si­ni hat sich als Stückautor dieser Frage aus nach­­vollziehbaren Gründen entzogen und geht in seiner Version der „Blutgräfin“ lieber gesell­schaft­li­chen Phänomenen auf den Grund. Zunächst aber lullt das Ensemble gekonnt mit Grusel und Schock die BesucherIn ein. Böser Industrial empfängt einen im Stadtkeller. Unter der gestrengen Führung Andreas Wipplingers (ein Stadt­wa­chen­der?) wird man in das Kellergeschoss des Brü­cken­kopfgebäudes Ost geführt. Dort wird der adap­tierte Golfparcours der Transareale zum Schau­platz des Stationentheaters. In Halbsätzen, mal ge­­raunt mal drohend gesprochen, wird die Le­bens­geschichte der Gräfin (Judith Richter in der Titel­rolle) skizziert, der Mythos in Gothic-Kostümen be­schworen, die irgendwo zwischen Installations­ma­terial und den Borg angesiedelt sind.

Jungfrauenblut heißt der Stoff, aus dem die Träu­me der Gräfin sind. Zum Thema ewige Ju­gend ge­lingt ein wunderbar salopper Zugang, via Kosme­tik-Werbesprache wird die ausgezeichnete Wir­kung des blutigen Pflegeprodukts angepriesen. Eine Zo­fe muss dafür ihr Leben lassen (Ralf Weg­ner als Henriette), eine andere (Birga Ipsen als Sy­bille) as­­sistiert bereitwillig. Zum Ausheben von Hen­riet­tes Grab wird schließlich das Publikum ani­miert, das, wenn auch zögerlich, zur Schaufel greift.

Dann stehen plötzlich körperliche Züchtigungen im Raum. Die ProtagonistInnen prügeln sich mit Schaumstoffstangen, dass es nur so knallt. Die In­tensität steigt. Der Gitarrist Jürgen Peer, der bis zu diesem Zeitpunkt den Soundtrack zu den Sze­nen beisteuert, wird in einer Blutbadewanne er­tränkt. Aus dem Publikum wird ein vermeintli­cher Besucher heraus gefasst und kurzerhand stran­guliert. Es wird totenstill im Stadtkeller. Zeit, die Geschichte des Hauses zu thematisieren.

Der Führer Andreas Wipplinger ergreift das Wort, erhebt die Stimme zum verballhornten Horst-Wes­sel-Lied. Gauleiter August Eigruber wird herbeizitiert, mit seinen Worten die besondere „Auszei­ch­nung“ Hitlers gegenüber seinem Heimatgau angepriesen. Gemeint ist die Ehre, ein eigenes großes Konzentrationslager für die „Volksverräter“ zu be­kommen – Mauthausen. Aus dem Granit, der dort neben Menschenleben gebrochen wurde, ist das Fundament des Brückenkopfgebäudes errichtet wor­den.

Die BesucherInnen stecken fortan in leichter Läh­mung fest, zwischen der NS-Geschichte und der Ge­walt, die rund um sie inszeniert wird. Die Zu­schauerIn ist zum Zuschauen verdammt. Das gilt auch für den Scheinprozess der im Anschluss veranstaltet wird. Das zu Beginn fein säuberlich re­gistrierte Publikum wird zur Aussage gegen die Gräfin aufgerufen, wobei die Wortmeldungen ei­nem in den Mund gelegt werden. Von der NS-Zeit geht’s zurück in das 16. Jahrhundert und zugleich entfaltet sich eine Thematik, die zeitlos ist: Der Umgang mit Schuld und Verantwortung. In der ZuschauerIn regt sich Widerstand gegen die Ge­walt, das Wissen um die Inszeniertheit lässt ein Eingreifen jedoch ausbleiben. Zudem begleitet die BesucherInnengruppe ein Fernsehmacher namens Wayne Gale (Stephan Waak, vergl. dazu den gleich­namigen Protagonisten in Oliver Stones „Natural Born Killers“). Er agiert als Agent Provocateur, sorgt sich darum, ob die Gräfin empathisch ge­nug „rüberkommt“, federt aber auch die Ereig­nis­se ab.

Was aber wenn ein System an die Stelle der Ins­ze­nierung tritt? Wenn Hierarchien das Handeln beeinflussen? Die Gräfin Báthory wurde zur Stra­fe in ihrem Schlafgemach eingemauert, ihre Mit­hel­fer am Scheiterhaufen verbrannt. Was wenn man sich im Spannungsfeld zwischen Verant­wor­tungsabgabe und Mitwisserschaft bewegt, wie zur Zeit der Errichtung der Brückenkopfgebäude?

Auf die Spitze treibt man dies am Schluss des Rundgangs. Die letzte Station ist ein Raum vor den man eine Türe schiebt. Man wird alleine ge­lassen mit Wayne Gale, der in Tränen ausbricht. Das Ende bestimmen nun die ZuschauerInnen selbst. Man muss nur die Türe öffnen. Raus ist man da­mit aber noch nicht, die abschließende Pu­bli­kums­beschimpfung hält der BesucherIn noch ihr Zuschauen vor. Ein Spiegel, den man eigentlich nicht mehr gebraucht hätte, aber als Ab­schluss durchaus gut zum ruppig-intensiven Par­cours passt.

P.S.: Wer „Die Blutgräfin“ versäumt hat, kann immerhin noch den zu­gehörigen Parcours ergolfen, den Stephan Pirker (Bühne und Aus­stat­tung) adaptiert hat. Hans Kropshofer und seine Transareale Stadt­keller machen’s möglich.

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05/10
FotoautorInnen: 
Musentempel

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