Vertigo im Parkhaus
Freitagnachmittag nach dem Kaffee: Ein Anruf in Linz, Rainer G. sitzt gerade bei der Bildbearbeitung. Er hat die Panoramaprojektion seiner Installation „Cluster“ – gezeigt am Abend des 21. April als Rahmenprogramm des Filmfestivals „Crossing Europe“ – penibel fotografisch dokumentiert.
Wir unterhalten uns ausführlich über diesen Abend und seine Arbeiten: Es herrschte ein Kommen und Gehen, er musste viele Fragen (zum Herstellungsprozess der Bilder) beantworten. Die nahe Wolke vom fernen Island spielte an diesem Abend jedenfalls eine wichtige Rolle ...
Ebenso die eher kühle Witterung und das pragmatisch-coole Ambiente des Parkhauses mit Raumhöhen von 2 Meter 20. Sehr plastisch wirkende Rauch-Wolkenformationen und ihre gedehnten, untypischen Bewegungsabläufe – ein aufwendiges 12 Meter-Panorama auf drei screens als Endlos-Loop.
Er selbst sei, so meint er, immer wieder überrascht vom Endprodukt seiner Arbeit – in diesem Falle hat er (als „Artist in Residence“ des OK Linz) zwei Monate daran gearbeitet. Die Aufmerksamkeit der Rezipienten wird sehr herausgefordert, viele werden ungeduldig, andere sind beeindruckt von den Bildern.
Zwiespältige Reaktionen (in der relativen Sicherheit des Parkhauses) auf eine Inszenierung des Erhabenen – Benutzeroberfläche Natur, dahinter von bits und bytes „verschobene“ Pixel. Eine Inszenierung, die sowohl Irritation als auch Kontemplation bietet.
Unter Cluster versteht man eine Ballung von Teilchen oder Atomen, der Begriff wird auch in der zeitgenössischen Musik für Tonstrukturen verwendet.
Gamsjäger interessieren dynamisch-chaotische Systeme der Natur: Wasser (wave #1–3) oder eben Rauchwolken.
Jedesmal dreht er sehr viel Rohmaterial: Für „Cluster“ inszenierte er pyrotechnisch eine riesige Rauchwolke, die gefilmt und digital nachbearbeitet wurde: mithilfe eines Computerprogramms, das die einzelnen Pixel bearbeitet, entsteht ein digitaler Parallelraum.
Nachforschend stieß ich auf folgende technische Erklärung: Das Video würde nicht als Abfolge von Einzelbildern interpretiert, sondern als (kristalline) Würfelstruktur. Mithilfe des Pixelschlitzes könne man durch diesen Raum navigieren und die Zeit auf unterschiedliche Arten scannen. Vom Künstler adaptierte Software „assistiert“ dabei.*
Die Arbeit wird in Linz noch bei der „Triennale“ und dann in weiteren europäischen Städten zu sehen sein – im Rahmen eines Europäischen Kulturaustauschprogramms, wie er erklärt.
Recherchen im Internet weisen ihn als umtriebigen, gut vernetzten „bricoleur“ und Tüftler aus. O-Ton dazu: „Experimentieren ist mir wichtig, wenn etwas perfekt und endgütig ist, wird’s uninteressant.“ Seine Homepage zeigt elektronische Apparaturen, Bildschirmdisplays, Videostills, Links zu youtube. Seltsamer Gegensatz zu den Großbildprojektionen, Ambivalenz der bildnerischen „teaser“-Miniaturen ...
Die (den Dimensionen nach) bisher größte Arbeit: „State of Flux“ ein „one-night-stand“ in der OÖ Landesgalerie: 16 x 4 Meter.
Früheren Arbeiten setzten sich meist mit (vom Menschen) genutzter Natur auseinander: Gewerbegebiete, Schottergruben, Wasserkraftwerke. Nutzbar gemachte Landschaften? Im Laufe des Telefonats kommen wir überein, dass es (zumindest in Europa) einen Gegensatz von Kultur und Natur kaum mehr gibt ...
Selbst ein langsamer Schwank über Wald- bzw. Stadtlandschaft (trifter, fixkraft) irritiert mit digital errechneten Effekten. Vorder- und Hintergrund sabotieren die Seherwartungen. Seltsames geschieht hier, schwer beschreibbar: Die Objekte weiter hinten huschen durchs Bild wie Partisanen, scheinen sich verbergen zu wollen; Versuchen als Schlieren getarnt, unkenntlich zu bleiben. Mehrere Bildebenen arbeiten gegeneinander; Hervorgerufen durch (vereinfacht gesagt) computergenerierte Veränderungen der logischen Abfolgen im Frame. Die narrative Reihung der Pixel des Ausgangsmaterials wird außer Kraft gesetzt. Stattdessen irritierende Verbindungen von Naturphänomenen mit Bild-Manipulationen ...
* Artikel von Franz Thalmair in Der Standard vom 01.02. 2010
www.rainer.gamsjager.at
Videoarbeiten bei youtube: trifter (2007), fixkraft, split (2008)
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