Die Neuinszenierung der Welt
Zwei wesentliche Faktoren für die „Globalkunst“ sind sicherlich zunehmende Internationalisierung und Professionalisierung. Zu ersterem: Die großen Institutionen und internationalisierten Zusammenhänge beeinflussen zweifelsohne immer machtvoller die lokale Kunst. Welche Aussagen, meinen Sie, gewinnen innerhalb des „Lokalen“ an Relevanz?
Sabine B. Vogel: Die grundlegende Voraussetzung für die Globalkunst ist die Globalisierung, und zwar im positiven wie negativen. Ohne die Herrschaft der Wirtschaft in und über alle Bereiche hätte die zeitgenössische Kunst nicht solch einen gesellschaftlichen Stellenwert erhalten, solche Aufmerksamkeit; ohne die wirtschaftliche Liberalisierung vieler Länder in Asien, Afrika, Lateinamerika wären nicht so viele neue Kunstszenen entstanden. Die Einflussnahme zwischen den westlichen und nicht-westlichen Kulturen ist dabei wechselseitig – das ist ja eine der positiven Entwicklungen! Und ebenso erstarkt erstaunlicherweise die lokale bzw. regionale Kunst – man vergleiche nur den Druck der einen, überall geforderten Formensprache der Moderne, der Zwang zu Abstraktion/ Reduktion, mit der Vielfalt heute! Welche Aussagen dabei an Relevanz gewinnen? Zum Bespiel werden Recherchen in lokalen Kontexten, historische, politische Geschehnisse, kulturelle Traditionen, Ungerechtigkeiten und Besonderheiten von KünstlerInnen mehr und mehr thematisiert.
Als zweiten Faktor: Mit einem Zuwachs an sogenannter „Professionalisierung“ ist ein Abwicklungsmodus in Kunst- und Kulturdingen entstanden, der an sich schon übermächtig scheint. Ich meine damit die umfassenden Definitionen von relevanter Finanzierung bis dahin, wer welche Positionen innerhalb des Kunstbetriebes einnimmt, wie diese Positionen mit bestimmtem Verhalten zu befüllen sind, etc. Sehen Sie das im Zusammenhang mit der „Globalkunst“ als mittlerweile recht enges Korsett … oder als das eigentlich immer gleiche Spiel der Regelbefolgung und des Regelbruchs?
SBV: Was Sie Professionalisierung nennen, scheint mir die übermächtige Praxis des Westen, also Westeuropa und USA, zu sein, die hier etablierten und geforderten Weisen der Präsentation etc. als global einzig gültige Praxis zu etablieren. Das ist tatsächlich eine fragwürdige Entwicklung. Der algerische Autor Mourad Yelles schrieb irgendwo: „Einige BeobachterInnen fragen sich zu Recht, ob es sich bei der ‚Weltkultur‘ nicht um ein ‚trojanisches Pferd‘ handelt, vom Westen erfunden, um seine Hegemonie über die ‚Schwellenländer‘ zur Vollendung zu bringen.“ Ich fand das Zitat in der Kunstzeitschrift Springerin, Winter, 2010. Sicherlich, die Gefahr besteht – aber es kann auch anders kommen, wenn die Singapur Biennale sich etwa nicht um unsere Vorstellungen vom White Cube schert, wenn die Mitarbeiter der Shanghai Biennale voller Unverständnis auf unseren Wunsch nach weißen Handschuhen reagieren. Wer weiß, welche Wege das noch nimmt – die Entwicklung einer Globalkunst ist ja noch sehr am Anfang.
Zu den Kulturwissenschaften und Kulturtheorie, die ja den eigentlichen Handhabungsmodus auch der Entwicklung der Globalisierung der Künste darstellen: Was sind sie zu leisten imstande, wo sind auch hier diese Diskrepanzen zwischen global und lokal zu sehen?
SBV: Global ohne lokal ist zumindest in der zeitgenössischen bildenden Kunst nicht zu denken. Mehr und mehr entwickeln sich auch regionale Szenen, die das längst überkommene Denken in Nationalstaaten ablösen: Die MENASA-Region (Middle East, North Africa, South Asia), Südostasien mit dem kulturellen Zentrum Singapur, Zentralasien. Wo endet das lokal, wo fängt global an? Eine universale Kunst, das ist heute deutlich zu sehen, die gibt es nicht! Und gottseidank steht auch die Überwindung der Welteinteilung in westlich/nicht-westlich an. Ob daraus dann eine „Globalkunst“ folgt, ist eine andere Frage – noch eher eine Hoffnung.
Globalkunst in meiner Verwendung bezeichnet Werke, die nicht rund um die Welt gezeigt und verkauft werden, sondern eine Kunst, die bewusst die Prämissen des Kolonialismus, des Kalten Krieges oder solcher Slogans wie „Kampf der Kulturen“ hinter sich lässt. Globalkunst vermag das zu leisten, was die indische Kritikerin und Kuratorin Nancy Adajania in ihrem Text „Zeit für eine Neuinszenierung der Welt“ (Springerin Winter 2010) vorschlägt: Die Entdeckung von Gemeinsamkeiten, möglicherweise auch prämoderne und präkoloniale Verbindungen und die Erstellung von entterritoralisierten Kartografien.
Billigjoghurt, erschwingliche Fernreisen, 2/3 Gesellschaft … das sind so Dinge, die einem ganz spontan zur Globalisierung einfallen könnten – auf der Konsumentenseite verortet oder als ganz schnelle Gesellschaftsanalyse … Wer sind die Modernisierungsgewinner, wer die Modernisierungsverlierer der Kunst, wird es die geben, gibt es sie? Liegt hier ein verborgenes Widerstandspotential?
SBV: Das Widerständige der Kunst liegt darin, dass hier nicht einzig wirtschaftliche Aspekte dominieren, sondern Vernetzungen, Austausch, Kommunikation und Handel weit mehr können: neue Verbindungen schaffen, die vielleicht wirklich eine „Neuinszenierung der Welt“ mit aufbauen können. Wer die Verlierer, wer die Gewinner sind? Ich bin kein Prophet, das kann sich alles so schnell ändern, eine kleine Wolke und schon regnet es Katastrophenzahlen ...
Was erwartet die BesucherInnen des Vortrages konkret, oder auch: was erwarten Sie sich davon?
SBV: Die BesucherInnen werden einen kurzen Einblick in eine sehr weit gewordene Welt erhalten, ich werde einige wenige Biennalen vorstellen und über die ungeheuren Veränderungen in der Kunstwelt am Ende der Moderne – oder wie immer wir unsere Zeit nennen möchten – sprechen. Was ich mir erwarte? Viele Fragen und offene Neugierde.
Vortrag: Sabine B. Vogel „Globalkunst – Wunsch oder Bedrohung?“ Mo 03. Mai, 19.30 h, Kepler Salon
Möglicherweise sehr bald Sujet der Globalkunst: Die Aschewolke, die die Verletzlichkeit unserer vernetzten Welt thematisiert.
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