Die Neuinszenierung der Welt

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Anfang Mai wird im Kepler Salon zum Thema „Globalkunst – Wunsch oder Bedrohung?“ vorge­tragen – was bedeutet die wirtschaftliche Entwicklung der Globalisierung für die Kultur? Verein­heit­­li­chung, lokale Eigenheiten, neue Kunstmärkte von China bis Iran, neue Museumsbauten und Samm­ler­schichten: Die Kunstwissenschaftlerin und Vortragende Sabine B. Vogel im Interview.

Zwei wesentliche Faktoren für die „Globalkunst“ sind sicherlich zunehmende Internationalisierung und Professionalisierung. Zu ersterem: Die großen Ins­ti­tutionen und internationalisierten Zusam­men­hänge beeinflussen zwei­fels­oh­ne immer machtvoller die lokale Kunst. Welche Aussagen, meinen Sie, ge­winnen innerhalb des „Lokalen“ an Relevanz?
Sabine B. Vogel: Die grundlegende Voraus­set­zung für die Globalkunst ist die Globalisierung, und zwar im positiven wie negativen. Ohne die Herr­schaft der Wirtschaft in und über alle Be­rei­che hätte die zeitgenössische Kunst nicht solch ei­nen gesellschaftlichen Stellenwert erhalten, solche Auf­­merksamkeit; ohne die wirtschaftliche Libe­ra­li­sie­rung vieler Länder in Asi­en, Afrika, Latein­ame­ri­ka wären nicht so viele neue Kunstszenen entstan­den. Die Einflussnahme zwischen den west­lichen und nicht-westlichen Kul­tu­ren ist dabei wech­sel­sei­tig – das ist ja eine der positiven Entwick­lun­gen! Und ebenso erstarkt erstaunlicherweise die lokale bzw. regionale Kunst – man vergleiche nur den Druck der einen, überall geforderten Formen­spra­che der Moderne, der Zwang zu Abstrak­tion/ Reduktion, mit der Vielfalt heu­te! Welche Aussa­gen dabei an Relevanz gewinnen? Zum Bespiel wer­­den Re­cherchen in lokalen Kontexten, histori­sche, politische Geschehnisse, kulturelle Traditi­o­nen, Ungerechtigkeiten und Besonderheiten von Künstler­In­nen mehr und mehr thematisiert.

Als zweiten Faktor: Mit einem Zuwachs an sogenannter „Profes­siona­lisie­rung“ ist ein Abwick­lungs­modus in Kunst- und Kulturdingen entstanden, der an sich schon übermächtig scheint. Ich meine da­mit die umfassenden De­fi­ni­tionen von relevanter Fi­nanzierung bis dahin, wer welche Positionen in­nerhalb des Kunstbetriebes einnimmt, wie diese Po­sitionen mit bestimmtem Ver­halten zu befüllen sind, etc. Sehen Sie das im Zusammenhang mit der „Glo­­bal­kunst“ als mittlerweile recht enges Korsett … oder als das eigentlich im­mer gleiche Spiel der Re­gel­befolgung und des Regelbruchs?
SBV: Was Sie Professionalisierung nennen, scheint mir die übermächtige Pra­xis des Westen, also West­europa und USA, zu sein, die hier etablierten und geforderten Weisen der Präsentation etc. als global einzig gültige Pra­xis zu etablieren. Das ist tatsächlich eine fragwürdige Entwicklung. Der al­ge­­rische Autor Mourad Yelles schrieb irgendwo: „Ei­nige BeobachterInnen fra­gen sich zu Recht, ob es sich bei der ‚Weltkultur‘ nicht um ein ‚trojanisches Pferd‘ handelt, vom Westen erfunden, um sei­ne He­gemonie über die ‚Schwel­lenländer‘ zur Voll­en­dung zu bringen.“ Ich fand das Zitat in der Kunst­zeitschrift Springerin, Winter, 2010. Sicherlich, die Gefahr besteht – aber es kann auch anders kommen, wenn die Singapur Biennale sich etwa nicht um unsere Vorstellungen vom White Cube schert, wenn die Mit­ar­beiter der Shanghai Biennale voller Unverständnis auf unseren Wunsch nach weißen Handschuhen reagieren. Wer weiß, welche We­ge das noch nimmt – die Ent­wicklung einer Glo­balkunst ist ja noch sehr am Anfang.

Zu den Kulturwissenschaften und Kulturtheorie, die ja den eigentlichen Hand­habungsmodus auch der Entwicklung der Globalisierung der Künste dar­stel­­len: Was sind sie zu leisten imstande, wo sind auch hier diese Diskre­pan­zen zwischen global und lo­kal zu sehen?
SBV: Global ohne lokal ist zumindest in der zeitgenössischen bildenden Kunst nicht zu denken. Mehr und mehr entwickeln sich auch regionale Sze­nen, die das längst überkommene Denken in Na­tionalstaaten ablösen: Die MENASA-Region (Mid­dle East, North Africa, South Asia), Süd­ost­asi­en mit dem kulturellen Zentrum Singapur, Zen­tralasien. Wo endet das lokal, wo fängt global an? Eine universale Kunst, das ist heute deutlich zu sehen, die gibt es nicht! Und gottseidank steht auch die Überwindung der Welt­ein­tei­lung in west­lich/nicht-westlich an. Ob daraus dann eine „Glo­balkunst“ folgt, ist eine andere Frage – noch eher eine Hoffnung.
Globalkunst in meiner Verwendung bezeichnet Wer­ke, die nicht rund um die Welt gezeigt und ver­kauft werden, sondern eine Kunst, die be­wusst die Prämissen des Kolonialismus, des Kalten Krie­ges oder solcher Slogans wie „Kampf der Kul­tu­ren“ hinter sich lässt. Globalkunst vermag das zu leisten, was die indische Kritikerin und Kuratorin Nancy Adajania in ihrem Text „Zeit für eine Neu­inszenierung der Welt“ (Springerin Winter 2010) vorschlägt: Die Entdeckung von Gemeinsam­kei­ten, möglicherweise auch prämoderne und präkoloniale Verbindungen und die Erstellung von entterritoralisierten Kartografien.

Billigjoghurt, erschwingliche Fernreisen, 2/3 Ge­sell­schaft … das sind so Din­ge, die einem ganz spontan zur Globalisierung einfallen könnten – auf der Kon­sumentenseite verortet oder als ganz schnelle Gesellschaftsanalyse … Wer sind die Moder­nisie­rungs­gewinner, wer die Modernisierungsverlierer der Kunst, wird es die geben, gibt es sie? Liegt hier ein verborgenes Wider­stands­potential?
SBV: Das Widerständige der Kunst liegt darin, dass hier nicht einzig wirtschaftliche Aspekte domi­nie­ren, sondern Vernetzungen, Austausch, Kom­mu­­ni­kation und Handel weit mehr können: neue Ver­bindungen schaffen, die vielleicht wirklich eine „Neuinszenierung der Welt“ mit aufbauen können. Wer die Verlierer, wer die Gewinner sind? Ich bin kein Prophet, das kann sich alles so schnell än­dern, eine kleine Wolke und schon regnet es Ka­tas­trophenzahlen ...

Was erwartet die BesucherInnen des Vortrages kon­­kret, oder auch: was er­war­ten Sie sich davon?
SBV:
Die BesucherInnen werden einen kurzen Ein­blick in eine sehr weit gewordene Welt erhalten, ich werde einige wenige Biennalen vorstellen und über die ungeheuren Veränderungen in der Kunst­welt am Ende der Mo­der­ne – oder wie im­mer wir unsere Zeit nennen möchten – sprechen. Was ich mir erwarte? Viele Fragen und offene Neu­­gierde.

Vortrag: Sabine B. Vogel „Globalkunst – Wunsch oder Bedrohung?“ Mo 03. Mai, 19.30 h, Kepler Salon

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05/10
FotoautorInnen: 
Courtesy of the U.S. Geological Survey, Bildauswahl red

Möglicherweise sehr bald Sujet der Globalkunst: Die Aschewolke, die die Verletzlichkeit unserer vernetzten Welt thematisiert.

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