Wurzelpflege der Kreativität
Erwin Dorn ist Lehrer am Bundesrealgymnasium Traun für Deutsch, Geschichte und Darstellendes Spiel. Nach seinem Studium an der Universität in Graz unterrichtete er an einer Comprehensive School in Südengland. Ihm ist es als einer der Hauptinitiatoren zu verdanken, dass das BRG Traun seit 1999 einen musisch-kreativen Zweig mit Architekturschwerpunkt anbietet. Das Interesse und Engagement Schule durch vor allem künstlerische Mittel zu verbessern und auszubauen, legt er auch danach nicht ab und er übernimmt die pädagogische Leitung gemeinsam mit seiner Kollegin Ingrid Rathner in dem Schulprojekt von Linz09 „I like to move it move it“.
Warum ist Ihrer Meinung nach die Einbindung von anderen Kunstformen, wie etwa der darstellenden Kunst, in den Schulalltag so wichtig?
Erwin Dorn: Schule wird – trotz heftiger Bemühungen – immer starrer. In den 70er Jahren war mehr Bewegung in den Schulen als heute. Um den Haltungsschäden der SchülerInnen vorzubeugen, kaufte und kauft man noch immer Schultische, die eine schräge Arbeitsfläche haben. Damit eben besser sitzend studiert werden kann. Diese Tische, eine eigene Geschichte wäre davon zu erzählen, sind so unflexibel, dass sie nur mit großem Aufwand aus der Klasse geschoben werden können. Das heißt: Das Sitzen wird optimiert, damit aber auch gleichzeitig die Bewegung eingeschränkt. Die „alten“ Tische unserer Schule zum Beispiel waren leichte „Provisorien“ im Vergleich zu den neuen. Sie hatten aber einen großen Vorteil: Es dauerte keine drei Minuten, um sie „weg“ zu räumen. Man hatte also in wenigen Minuten einen freien Raum und konnte sich bewegen. Dieses Weg- und Herräumen, dieses Umstellen und Verstellen passierte auch ständig. Bewegung quasi pur. Aber neben dieser zweckgebundenen Bewegung gab es auch mehr Bewegung im Schulalltag.
Bewegung selbst hat ja auch eine metaphorische Bedeutung. Bewegung heißt nicht nur sich selbst bewegen, sondern auch andere und anderes bewegen. Für mich ist Bewegung ein Schlüsselbegriff für die Zukunft, da kreative Prozesse nur dann entstehen können, wenn sie sich von dem wegbewegen, was üblich ist. Der neueste Stand in der Gehirnforschung malt ein ähnliches Bild. Bewegung ist ein Schlüsselbegriff für Kreativität. Und die darstellende Kunst bewegt eben im doppelten Wortsinn und darstellende Kunst kommt ohne Bewegung nicht aus. Darum ist die darstellende Kunst so wichtig.
Resümierend zu „I like to move it move it“ – Hat das Schulprojekt Mängel am regulären Schulsystem in Österreich offen gelegt? Wenn ja, welche?
E.D.: Statt Mängel würde ich eher von kritischen Punkten sprechen. Ja, einige davon wurden durch das Projekt deutlich sichtbar. Allgemein ist festzustellen, dass das Konstrukt Schule eben unflexibel ist. Offene Prozesse werden in der Schule oft sehr skeptisch beäugt, doch die daraus resultierenden Ergebnisse beweisen, dass die Skepsis unbegründet ist. Schule zeigt auch eine ganz geringe Bereitschaft, sich der Irritation hinzugeben. Wir wissen aber, wie wichtig Irritationen sind, um neue Lösungen zu finden. Der Schulbetrieb ist nur schwer aus der eingefahrenen Spur zu bringen. Bei dem Schulprojekt „I like to move it move it“ taten sich beispielsweise auch die SchülerInnen schwer, antrainiertes Autoritätsgehabe und -verhalten abzuschütteln.
Die gute Nachricht: Bei dem Projekt „I like to move it move it“ aber wurde durch die Arbeit der KünstlerInnen die Schule auch als veränderbar wahrgenommen. Jeder, der große Projekte in Schulen initiiert und sie auch verwirklichen will, weiß, welche Kraftanstrengung notwendig ist, um den Dampfer Schule nur ein wenig vom eingeschlagenen Kurs abzubringen, um ein spannenderes und für die Zukunft vielleicht auch notwendigeres Ziel zu erreichen. Es war auch interessant zu erkennen, dass nicht nur die klassischen Oberflächenprobleme, also die vermeintlichen schulorganisatorischen Gegebenheiten zu Tage traten, sondern dass auch ungeklärte Konflikte – ob nun in der Klasse oder im Lehrkörper – durch die Arbeitsweise der KünstlerInnen in den Vordergrund rückten. Und wir wissen alle, wie wichtig Krisen in einem kreativen Prozess sind.
Sie waren selbst einer der Hauptinitiatoren, dass es an Ihrem Gymnasium in Traun seit 1999 einen musisch-kreativen Zweig gibt. Wie würden Sie den Weg der Umsetzung beschreiben?
E.D.: Der Weg war schwierig und doch habe ich ihn auch lustvoll in Erinnerung. Die Konflikte, die wir auf dem Weg zu bewältigen hatten, wirkten im Nachhinein betrachtet stärkend und wohltuend. Eines ist dabei vor allem wichtig, nämlich: Man muss davon überzeugt sein, etwas verändern zu können und darf während des Prozesses zweifeln, aber letzten Endes muss das Vertrauen in sich selbst und der Optimismus die Oberhand behalten. Und ja, ich liebe die Schule, und deshalb ist es das alles wert. Mich fasziniert die Arbeit mit jungen Menschen, und mich fasziniert die Suche nach Neuem. Alleine kann man das alles nicht schaffen. Nur im Team ist es möglich, die Schule an einem konkreten Schulstandort ein wenig zu bewegen. Es ist schlicht und einfach unvernünftig, sich als Einzelkämpfer durchzuschlagen. Und letzten Endes braucht jeder Mensch nicht nur gute LehrerInnen – nein er braucht MitstreiterInnen und auch MentorInnen im klassischen Sinn. Und einen Mitstreiter und Mentor hatte ich in Gestalt meines Kollegen Konrad Thamm. Das, was ich heute bin, wie ich mich als Lehrer fühle, was ich bisher gewagt habe, verdanke ich ihm.
Wie schwierig ist es eine geeignete Form für derlei Schulprojekte zu finden und dabei die Vielseitigkeit und Qualität für längere Zeit zu bewahren?
E.D.: Jedes Projekt muss immer wieder neu entwickelt und neu gedacht werden. Das gilt auch für „I like to move it move it“. Guido Reimitz hat das Projekt so konzipiert, dass das Wissen in den Köpfen der Beteiligten, also in der jeweiligen Schule und in der Region erhalten bleibt. Wir werden sehen, ob unser Konzept tatsächlich aufgeht. Die größte Gefahr für Schulprojekte sehe ich darin, dass sie gut „eingespeichelt“ werden – also für die Schule verdaubar hergerichtet werden und nicht mehr das bewirken, was sie eigentlich intendieren. Vielleicht muss man ständig an Irritation und damit auch an Sperrigkeit denken, wenn man Projekte für Schulen erfindet. Und Projekte brauchen eine gewisse Größe, sonst bewegen sie kaum etwas.
„I like to move it move it“ ist vorbei. Was bleibt? Hat es nachhaltig etwas bewirkt?
E.D.: Von jedem Schulstandort können Geschichten erzählt werden, Geschichten von einzelnen SchülerInnen aber auch von LehrerInnen und von DirektorInnen. Es sind Geschichten, die Mut machen und die einen Weg weisen, den es zu gehen gilt. Ja, es sind Geschichten, die in die Zukunft weisen, obwohl sie von Vergangenem erzählen. Kinder, die das Reden und Bewegen vor anderen erst richtig entdeckt haben, DirektorInnen, die ihre Schule nicht mehr als Restschule sehen, und LehrerInnen, die eine völlig neue Arbeitsweise kennen und schätzen gelernt haben. Diese Geschichten erzählen mehr von Nachhaltigkeit als jeder einzelne Buchstabe des besagten Wortes. Das Projekt „I like to move it move it“, bei dem Airan Berg im Rahmen von Linz09 Hauptverantwortlicher war, hat das Bewusstsein gestärkt, dass KünstlerInnen wichtige Impulsgeber für kreative Prozesse im Schulalltag sind. Weiters hat das Projekt dazu beigetragen, dass das generelle Kulturbewusstsein in den Schulen und für die Schulen gestärkt wurde. Außerdem haben die Beteiligten in Anlehnung an Lars von Triers Filmdogmen zehn Dogmen formuliert, Dogmen, die Eckpfeiler für zukünftige Projekte an Schulen sein sollen. Ich bin Optimist und ich bin zuversichtlich, dass „I like to move it move it“ Impulsgeber für Größeres sein wird.
Das Potenzial zur Erlangung der Fähigkeit Kreativität besitzen wir alle von Geburt an. Das menschliche Gehirn wird bereits im Babyalter geformt und die Ausbildung und Vernetzung der Nervenzellen beginnt. Durch ausreichend Anregung und Beschäftigung mit dem Neuling kann dieser Vorgang deutlich gesteigert und verbessert werden, was dazu führt, dass die Gedanken und Fantasien besser fließen, so der Pädagoge Paul Suer. Kinder verfügen außerdem über eine positive Neugierde und eine enorme Begeisterung, alles zu entdecken und auszuprobieren. Diese Veranlagungen stellen Voraussetzungen dar, die eine intensive Beschäftigung mit dem Kind und Förderung in jeglicher Hinsicht beinahe notwendig machen. Soviel beispielhaft zum Grundlegendsten.
Das Kindertheater ist ein Ort, wo Fantasiewesen zum Leben erweckt werden und ferne Wunder- und Zauberwelten plötzlich Eintritt gewähren. Kindertheater steht im Allgemeinen dem klassischen Erwachsenentheater um nicht viel nach, doch in einem Punkt unterscheiden sich die beiden gewaltig. Das Kindertheater bringt ein Element des frühen, ursprünglichen Theaters zu Tage – die Interaktion. Spontaner Applaus, Abneigungsbekundungen oder lautstarkes Zurufen waren nichts Außergewöhnliches an den Theaterabenden der Vergangenheit. Die Funktion des heutigen Publikums als passiver, stiller Beobachter entwickelte sich erst im Laufe der Zeit durch das Aufkommen neuer zivilisatorischer Umgangs- und Verhaltensformen. Das junge Publikum jedoch lässt sich nicht so einfach zur „vierten Wand“ deklarieren, sondern beteiligt sich eifrig und aktiv an dem Bühnengeschehen. Ihre Blicke auf die Schauspieler geheftet, gebannt und ohne Verhaltensformen und Vorschriften auferlegt zu bekommen, können sie frei und unbefangen das Theatergeschehen verfolgen.
Doch die Rolle der Kinder und Jugendlichen muss im Theater nicht nur auf die des Zuschauers beschränkt bleiben. Denn Kinder und vor allem Jugendliche können selbst als Schaffende und Initiatoren eines Theaterstücks fungieren. Speziell das Jugendtheater ermöglicht jungen, heranwachsenden Menschen eigene Ideen zu verwirklichen und Freiräume für selbständiges Arbeiten zu erschaffen. Wie wichtig und erfolgreich eine Interaktion beispielsweise von Bildung und Kunst sein kann, zeigte das Schulprojekt „I like to move it move it“ im Rahmen von Linz09. Internationale Tanz-, Theater- und Performance-KünstlerInnen wurden eingeladen, um mit Kindern und Lehrkörpern aus 100 oberösterreichischen Schulen zusammen zu arbeiten. In dem Projekt wurden verschiedene Konzepte der darstellenden Kunst ausprobiert, wie etwa das Sprech-, Tanz-, Figuren-, Musik- oder Schattentheater. Als eine Vorstellung von zukunftsweisender Bildung sollte ein neuer Modus der Praxis abseits von Leistungsdruck, Bürokratie und Standardisierungen erprobt werden. Die Kinder und Jugendlichen konnten durch die Arbeit im Team, das freie Sprechen und Vortragen von Texten vor anderen, die körperzentrierten Erfahrungen und die praktische, kreative Umsetzung von eigenen Ideen wichtige Qualifikationen erwerben oder ausbauen – Wissen durch Körperlichkeit. Am Ende des Projekts erarbeiteten die Beteiligten 10 Dogmen für zeitgenössische Theater-Projekte an Schulen. Ob diese Ideen und Vorschläge für einen modernen, zukunftsorientierten Schulunterricht weiter nur auf dem Papier und in manchen Köpfen bestehen oder in geraumer Zeit umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.
Eine positive Entwicklung im Bereich Kinder- und Jugendtheater stellt der Darstellende.Kunst. Preis für junges Publikum STELLA dar. Dieser Preis wurde von der ASSITEJ Austria – Junges Theater Österreich dieses Jahr bereits zum dritten Mal verliehen. Die Verleihung wird jedes Jahr in einer anderen Stadt ausgetragen und 2010 eben in Linz. In sechs verschiedenen Kategorien wurden die Arbeiten im Bereich Kinder- und Jugendtheater in Österreich geehrt und ausgezeichnet. Vor der Preisverleihung und dem Theaterfest am Freitag den 16. April 2010 wurden die nominierten Produktionen von 14.–16. April an den Linzer Theatern aufgeführt und präsentiert. Es sei erwähnt, dass dem Schulprojekt „I like to move it move it“ in der Kategorie „herausragendes Konzept/Idee“ eine Stella-Auszeichnung verliehen wurde.
Doch nicht nur die Auszeichnung des STELLA-Preises trug eine frische Brise nach Linz, sondern auch eine weitere Veranstaltungsreihe bringt die Kinder- und Jugendtheaterszene diesen Frühling wahrlich zum Blühen. Auch dieses Jahr finden wieder die Schultheatertage in Oberösterreich ZÜNDSTOFF von 26.–28.Mai 2010 statt.
Die Stella-Preisverleihung: Der auf diesem Bild kaum sichtbare Erwin Dorn ist einer der oberösterreichischen Hauptaktiven im Triangel von Jugend-Schule-Kreativität.
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