Das Murmeln der Skandale

Literatur in den Schlagzeilen? Abseits von Nobelpreisvergabe, Harry Potter oder Sexskandalen alternder Großschriftsteller eine Rarität. Gelungen ist das dennoch Helene Hegemann mit ihrem Debüt „Axolotl Roadkill“. Überlegungen im Gefolge des Skandals - Protestlied einer prekär be­schäftigten Blogflöte.

Medientauglich war der Skandal, denn Helene Hegemann war zu diesem Zeit­punkt erst 17 Jahre alt. Natürlich fiel reflexartig das Wort „Wunder­kind“. Wer selbst in diesem Alter höchstens Pickel, nicht aber Gedanken li­te­rarisch wertvoll ausdrücken konnte, der oder die staunte.
Und dann folgte er doch noch, der Skandal. Als unmittelbar nach Er­schei­nen des Texts aufkam, dass sich Hegemann sehr großzügig aus dem Roman „Strobo“ des Bloggers Airen be­dient hatte, gab’s einen Bahö sondergleichen. Das Feuilleton stürzte sich jauchzend auf den Plagiatsvorwurf. Hegemann ent­­­schuldigte sich kleinlaut, jedoch nicht ohne die Ausrede, dass es Origi­na­­lität ohnehin nicht gäbe. Der Ullstein Verlag setz­te eins drauf: „Über die Verantwortung einer jungen, be­gab­ten Au­torin, die mit der ‚Sharing‘-Kultur des Internets aufgewachsen ist, mag man streiten.“ Oh ja, hier muss fürwahr gestritten werden.
Es geht hier nicht mehr um den verkaufsfördernden Sturm im Wasserglas der Literatur. Es geht nicht um die nassforsche Ver­haltensweise einer jungen Schriftstellerin. Nicht darum, dass der Ullstein-Verlag Schaden für das Renommee seiner Autorin hätte verhindern können, wenn er seine Arbeit (Lekto­rat, Be­treuung, Klärung der Rechte) getan hätte. Das alles ist im Grun­­de schon abgefrühstückt. Ganz nebenbei bemerkt ist es per se nicht illegitim, verschiedene Zitate zusammenzu­mon­tieren. It’s postmodernism, stupid.
Die Sharing-Kultur – das lässt an den poststrukturalistischen „Tod des Au­tors“ denken. Ob sich im Internet Roland Barthes gleichnamiger Aufsatz oder Michel Foucaults1 Traum vom Ver­schwinden des Autors im „anonymen Gemurmel der Diskurse“ verwirklicht haben? Ein spannender Gedanke: Weg vom überkommenen Geniekult, weg von der öden Rezeption eines Tex­tes anhand der Intentionen und der Biographie der AutorIn. Mehr Rechte für die LeserIn, mehr Freiheit für den Text selbst. All das mag das Internet befördert haben.
Doch hier kommt das dicke Aber: Foucault und Barthes hätten es nicht bloß als Fehlinterpretation ihrer Kritik am Subjek­tivitätsbegriff der Moderne emp­funden, wenn die LeserInnen ihre Texte mit Verweis auf den Tod der AutorInnen aus den Buch­läden und Bibliotheken gestohlen hätten. Wohl noch we­niger, wenn KollegInnen mit ihren Gedanken wissenschaftlich hausieren gegangen wären.
Hegemanns allzu großzügige Auslegung des postmodernen Diktums der AutorIn als bloße „VermengerIn von Zitaten“ wirft ein bezeichnendes Licht auf Eigentumsrechte im Internet. Wer hier veröffentlicht, scheint die Rechte daran verwirkt zu ha­ben. Was nichts kostet, ist nichts wert und kann ohne Quel­lenangabe kopiert werden. Was als Präsentation der ei­genen Kreati­vi­tät fungieren sollte, wird zur Spende für den virtuellen Selbstbe­die­nungs­la­den, in dem es die KonsumentInnen we­nig kümmert, wer den ganzen Segen hineingestellt hat.
Freilich ist der Fall Hegemann nirgendwo dümmer kommentiert worden als im Internet. Was dazu unter dem muffigen Schutzmantel der Anonymität ab­gesondert worden ist, das ver­dient keine Sekunde länger Aufmerk­sam­keit. Und: Wer sich selbst für seinen Privatgebrauch nicht um die Rechte von Bil­dern, Songs oder Videos schert, möge bitte schweigen.
Aber es muss darüber gesprochen werden, welche Rechte Blog­­gerInnen und andere Content-ProduzentInnen haben. Es ist näm­lich nicht so, dass sie nicht mehr sein wollen als ein Murmeln in den Diskursen. Vielen geht’s am Ende immer noch darum, originell zu sein – oder zumindest um den Ver­such, der ist anstrengend genug.
Ich schreibe selbst ein Blog. Ich erwarte dafür keine Be­zah­lung. Sehr wohl aber Respekt, meinetwegen auch Schelte. Fände ich jedoch meine Postings ohne Quellenangabe in Me­dien wie­der, die davon finanziell profitieren, wä­re ich stinkend sauer. Die Gefahr ist aufgrund mangelnder Literarizität freilich ge­ring.
Das Anliegen als solches ist jedoch nicht bloß ein theoretisches. Mit ein paar Jahren Verspätung haben auch österrei­chi­sche Medien Blogs als den heißen Scheiß entdeckt. Kurz vor Beginn des Kulturhauptstadtjahres fragte der Kurier an, ob ich nicht ein Blog über die laufenden Ereignisse schreiben wolle. Ich fühlte mich geschmeichelt. Das schlug aber nach der Fra­ge nach dem Honorar in Ärger um. Zahlen wollte man mir da­für nicht einmal einen symbolischen Betrag. Ich sagte flugs ab.
Ich könnte an dieser Stelle noch viel über den Wert geschriebener Worte lamentieren und über das Prekariat, das uns al­len seit einiger Zeit für nicht mehr als ein Gehaltsimitat die Zeitungen vollschreibt. Hier müsste man aber von Ausbeu­tung, nicht von Plagiat sprechen. Exkurs Ende.

Die sogenannte „Sharing-Kultur“ ist mit ein Grund, warum es alternative Kunstschaffende immer schwerer haben, mit ihren Produkten auch Geld zu verdienen. Die öffentliche Aufmerk­sam­­­­keit im Internet, die vielleicht uns un­bedarften Blogger­In­nen genug ist, reicht Ihnen nicht. Irgendwoher muss auch das Geld kommen, und das klappt nicht, wenn man sich nur noch al­les gratis aus dem Internet saugt. Das gilt für mich als CD-Bren­nerin, und noch zehnmal mehr für den großen Ullstein-Ver­lag.
Wer mit meinen Ideen Geschäfte macht, der muss zahlen. Das gilt auch im Internet. Selbst wenn dort wirklich eine „Sharing-Kultur“ herrschte. Ich für meinen Teil werde gerne vorher ge­fragt, bevor ich teile. Ich flauche ja auch nicht der Bäckerin ih­re Topfengolatschen, nur weil sie die ihren Freunden privat schenkt.

1    Die deutsche Übersetzung seines Aufsatzes „Was ist ein Autor?“ ist übrigens auch just im Ullstein-Verlag erschienen.

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