Das Murmeln der Skandale
Medientauglich war der Skandal, denn Helene Hegemann war zu diesem Zeitpunkt erst 17 Jahre alt. Natürlich fiel reflexartig das Wort „Wunderkind“. Wer selbst in diesem Alter höchstens Pickel, nicht aber Gedanken literarisch wertvoll ausdrücken konnte, der oder die staunte.
Und dann folgte er doch noch, der Skandal. Als unmittelbar nach Erscheinen des Texts aufkam, dass sich Hegemann sehr großzügig aus dem Roman „Strobo“ des Bloggers Airen bedient hatte, gab’s einen Bahö sondergleichen. Das Feuilleton stürzte sich jauchzend auf den Plagiatsvorwurf. Hegemann entschuldigte sich kleinlaut, jedoch nicht ohne die Ausrede, dass es Originalität ohnehin nicht gäbe. Der Ullstein Verlag setzte eins drauf: „Über die Verantwortung einer jungen, begabten Autorin, die mit der ‚Sharing‘-Kultur des Internets aufgewachsen ist, mag man streiten.“ Oh ja, hier muss fürwahr gestritten werden.
Es geht hier nicht mehr um den verkaufsfördernden Sturm im Wasserglas der Literatur. Es geht nicht um die nassforsche Verhaltensweise einer jungen Schriftstellerin. Nicht darum, dass der Ullstein-Verlag Schaden für das Renommee seiner Autorin hätte verhindern können, wenn er seine Arbeit (Lektorat, Betreuung, Klärung der Rechte) getan hätte. Das alles ist im Grunde schon abgefrühstückt. Ganz nebenbei bemerkt ist es per se nicht illegitim, verschiedene Zitate zusammenzumontieren. It’s postmodernism, stupid.
Die Sharing-Kultur – das lässt an den poststrukturalistischen „Tod des Autors“ denken. Ob sich im Internet Roland Barthes gleichnamiger Aufsatz oder Michel Foucaults1 Traum vom Verschwinden des Autors im „anonymen Gemurmel der Diskurse“ verwirklicht haben? Ein spannender Gedanke: Weg vom überkommenen Geniekult, weg von der öden Rezeption eines Textes anhand der Intentionen und der Biographie der AutorIn. Mehr Rechte für die LeserIn, mehr Freiheit für den Text selbst. All das mag das Internet befördert haben.
Doch hier kommt das dicke Aber: Foucault und Barthes hätten es nicht bloß als Fehlinterpretation ihrer Kritik am Subjektivitätsbegriff der Moderne empfunden, wenn die LeserInnen ihre Texte mit Verweis auf den Tod der AutorInnen aus den Buchläden und Bibliotheken gestohlen hätten. Wohl noch weniger, wenn KollegInnen mit ihren Gedanken wissenschaftlich hausieren gegangen wären.
Hegemanns allzu großzügige Auslegung des postmodernen Diktums der AutorIn als bloße „VermengerIn von Zitaten“ wirft ein bezeichnendes Licht auf Eigentumsrechte im Internet. Wer hier veröffentlicht, scheint die Rechte daran verwirkt zu haben. Was nichts kostet, ist nichts wert und kann ohne Quellenangabe kopiert werden. Was als Präsentation der eigenen Kreativität fungieren sollte, wird zur Spende für den virtuellen Selbstbedienungsladen, in dem es die KonsumentInnen wenig kümmert, wer den ganzen Segen hineingestellt hat.
Freilich ist der Fall Hegemann nirgendwo dümmer kommentiert worden als im Internet. Was dazu unter dem muffigen Schutzmantel der Anonymität abgesondert worden ist, das verdient keine Sekunde länger Aufmerksamkeit. Und: Wer sich selbst für seinen Privatgebrauch nicht um die Rechte von Bildern, Songs oder Videos schert, möge bitte schweigen.
Aber es muss darüber gesprochen werden, welche Rechte BloggerInnen und andere Content-ProduzentInnen haben. Es ist nämlich nicht so, dass sie nicht mehr sein wollen als ein Murmeln in den Diskursen. Vielen geht’s am Ende immer noch darum, originell zu sein – oder zumindest um den Versuch, der ist anstrengend genug.
Ich schreibe selbst ein Blog. Ich erwarte dafür keine Bezahlung. Sehr wohl aber Respekt, meinetwegen auch Schelte. Fände ich jedoch meine Postings ohne Quellenangabe in Medien wieder, die davon finanziell profitieren, wäre ich stinkend sauer. Die Gefahr ist aufgrund mangelnder Literarizität freilich gering.
Das Anliegen als solches ist jedoch nicht bloß ein theoretisches. Mit ein paar Jahren Verspätung haben auch österreichische Medien Blogs als den heißen Scheiß entdeckt. Kurz vor Beginn des Kulturhauptstadtjahres fragte der Kurier an, ob ich nicht ein Blog über die laufenden Ereignisse schreiben wolle. Ich fühlte mich geschmeichelt. Das schlug aber nach der Frage nach dem Honorar in Ärger um. Zahlen wollte man mir dafür nicht einmal einen symbolischen Betrag. Ich sagte flugs ab.
Ich könnte an dieser Stelle noch viel über den Wert geschriebener Worte lamentieren und über das Prekariat, das uns allen seit einiger Zeit für nicht mehr als ein Gehaltsimitat die Zeitungen vollschreibt. Hier müsste man aber von Ausbeutung, nicht von Plagiat sprechen. Exkurs Ende.
Die sogenannte „Sharing-Kultur“ ist mit ein Grund, warum es alternative Kunstschaffende immer schwerer haben, mit ihren Produkten auch Geld zu verdienen. Die öffentliche Aufmerksamkeit im Internet, die vielleicht uns unbedarften BloggerInnen genug ist, reicht Ihnen nicht. Irgendwoher muss auch das Geld kommen, und das klappt nicht, wenn man sich nur noch alles gratis aus dem Internet saugt. Das gilt für mich als CD-Brennerin, und noch zehnmal mehr für den großen Ullstein-Verlag.
Wer mit meinen Ideen Geschäfte macht, der muss zahlen. Das gilt auch im Internet. Selbst wenn dort wirklich eine „Sharing-Kultur“ herrschte. Ich für meinen Teil werde gerne vorher gefragt, bevor ich teile. Ich flauche ja auch nicht der Bäckerin ihre Topfengolatschen, nur weil sie die ihren Freunden privat schenkt.
1 Die deutsche Übersetzung seines Aufsatzes „Was ist ein Autor?“ ist übrigens auch just im Ullstein-Verlag erschienen.
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