Urheberrecht und Kunst

Ein Internet-Sprichwort lautet: „Copyright Is Broken And Nobody Knows How To Fix It“. Im April widmete man sich bei den von servus.at organisierten Linux-Wochen u.a. dem Copyright: Früher mussten sich nur ExpertInnen mit dem Urheberrecht auseinandersetzen, heute stolpert man im All­tag bei jedem Schritt über Paragraphen und Regelungen, egal ob man eine CD anhören will oder ein Musikstück von ihr samplen möchte. Valie Djordjevic schreibt über eine schwierige Verbin­dung.

Das Urheberrecht ist vom Regelwerk für UrheberInnen – AutorInnen, Musi­ker­Innen, Bild­hauerInnen – und die VerwerterInnen dieser Rechte – der Ver­lage und Plattenfirmen – zu einem Regelungsinstrument für die Informa­ti­ons­gesellschaft geworden. Die Zone der Unsicherheit beginnt schon bei einfachsten Handlungen und selbst JuristInnen sind sich nicht einig über die Antworten.
Die Künstlerin Cornelia Sollfrank (http://www.artwarez.org) hat in ihrer Ar­beit „Legal Perspective“ vier UrheberrechtsanwältInnen befragt, ob ihre Ar­beit „anonymous_warhol-flowers“ gegen das Urheberrecht verstößt oder nicht. „anonymous_warhol-flowers“ bezieht sich auf die bekannte Lithografie-Se­rie von Andy Warhol, der dabei ebenfalls mit einer vorhandenen Fotografie gearbeitet hatte.
Sollfranks Blumen entstehen zeitgemäß durch ein digitales Verfahren. In einer anderen Arbeit „net.art generator“ (http://net.art-generator.com), die seit 1999 unter dem Motto „A smart artist makes the machine do the work“ neue Bilder aus den bestehenden des Netzes rekombiniert, können Nutzer­In­nen Begriffe in ein Formularfeld eingeben. Dadurch wird ein Programm­al­gorith­mus angestoßen, der im Internet nach passenden Bildern sucht und die Er­gebnisse als digitale Collage angezeigt. Sie stellt damit die Frage nach der UrheberIn eines Kunstwerkes neu: Wer ist die AutorIn? Die Pro­gram­mie­rerInnen, die die verschiedenen Netzkunst-Generatoren programmiert ha­ben? Die NutzerInnen, die nichts weiter tun als ein Wort einzugeben und auf Start zu klicken? Oder die Künstlerin, die das Konzept ausgearbeitet hat?
„Legal Perspective“ entstand aus einer urheberrechtlichen Notlage. Die Ga­lerie, für die die „anonymous_warhol-flowers“ entstanden sind, hatte wegen der schon geplanten Ausstellung urheberrechtliche Bedenken angemeldet und wollte die Bilder nicht zeigen. Sollfrank nutzte die Gelegenheit, um ge­nauer nachzufragen. Was besagt denn eigentlich das Urheberrecht in einem solchen Fall? Wie weit geht der Schutz und inwieweit kann man fremde Wer­ke benutzen? Keiner der AnwältInnen konnte genau sagen, wer denn nun die Ur­heberIn der Bilder wäre, die der Netzkunst-Generator erzeugte. Nur, dass es wahr­scheinlich nicht die Künstlerin wäre, stand fest, denn das Urhe­ber­recht schützt nicht die Idee, sondern nur das Werk in seiner konkreten Aus­füh­rung. Was die Ausstellbarkeit anging, beriefen sich zwei Anwälte auf die Frei­heit der Kunst und das Recht auf freie Meinungsäußerung, während die an­de­ren meinten, dass es ohne explizite Erlaubnis der Rechte­inha­ber­In­nen (in diesem Falle der Warhol Foundation) unter keinen Umständen zulässig wäre.
Sollfranks Arbeit zeigt exemplarisch die Probleme, die KünstlerInnen heute mit dem Urheberrecht haben: In einer Welt, die zu großen Teilen aus kulturellen Artefakten besteht, muss sich Kunst (bildende Kunst, Musik, Film, Lite­ra­tur) auf die Produktionen anderer KünstlerInnen beziehen und diese für eine eigene Praxis verwenden dürfen, da es sonst kaum möglich ist, die Wirk­lich­keit zu erfassen und zu kommentieren. Wenn eine Dokumentar­fil­merIn nicht mehr einen Fernseher, der im Hintergrund einer Location steht, aufnehmen darf, weil darauf die Simpsons laufen, wobei er/sie aber etwas ganz anderes filmt, dann wird seine Arbeit unangemessen eingeschränkt (das ist dem Filmemacher Jon Else tatsächlich passiert, erzählt Lawrence Les­sig in seinem Buch „Free Culture“ – in digitaler Form verfügbar unter http://www.free-culture.cc). Ähnliche Kontroversen passieren überall, in der Literatur (erst kürzlich im Falle Helene Hegemann gegen den Blogger Airen), Musik (Sampling gehört seit den 90er Jahren zu den Basistechniken moderner Popmusik, wird aber immer wieder angemahnt zuletzt bei Bushido vs. Dark Sanctuary), bildende Kunst (Andy Warhol selbst wurde mehrfach Ziel von Klagen).
Wie ist dazu gekommen? In den 1980er Jahren hielten Personalcomputer in die Haushalte der westlichen Welt Einzug und etwa 10 Jahre später wurden diese Rechner über das Internet miteinander verbunden. Als Ergebnis ha­ben wir digitale Musik, Filme, Fotografien, Texte, die unabhängig von ihren Trägern – Schallplatte, Videokassette, CD, Buch, Papier – geworden sind. Sie können verlustlos kopiert und über das Internet verteilt werden. Für die VerwerterInnen bedeutet das, dass ihnen das Produkt, das sie verkaufen und mit dem sie Profit machen können, abhanden kommt. Gleichzeitig löst sich die Trennung in viele passive KonsumentInnen und wenige aktive Künst­lerInnen auf: Die Werkzeuge, die ein handelsüblicher Rechner bietet, erlauben es mit eigenen Songs, Filmen und Kunstwerken an die Öffentlichkeit zu treten. Der Kulturwissenschaftler Felix Stalder hat in seinen „9 Thesen zur Remix-Kultur“ (http://irights.info/index.php?id=767) das Verfahren näher be­leuchtet und sieht in ihm eine zentrale Methode in der aktuellen kulturellen Praxis.
Durch Remixen ist eine spezifische Ästhetik in den Vordergrund gerückt, die in der Kunst des 20. Jahrhunderts entwickelt und unter verschiedenen Namen bekannt ist: Collage, Assemblage, Cut-up, heute auch Appropriation Art, Mash-up, Bastard Pop. Dabei erschaffen KünstlerInnen mit vorgefundenem Material neue Kunstwerke. Mit digitalen Technologien ist der Remix noch einfacher geworden: Da nun alle möglichen Werke in einem Medium vorliegen und bearbeitet werden können, kann man nun auch innerhalb des Film und der Musik alles miteinander verquirlen und schauen was Neu­es daraus wird.
Das ist einigen ein Dorn im Auge, denn es widerspricht dem, dass Kunst das Produkt eines – mehr oder weniger – genialen Geistes ist, der aus dem Nichts das originäre Kunstwerk erschafft. Dieser romantischen Vorstellung des 18. Jahrhunderts entspringt auch das Grundkonzept des kontinentaleuropäischen Urheberrechts – des Droit d’Auteur –, das davon ausgeht, dass zwischen der UrheberIn und ihrem Werk ein unzertrennbares Band be­steht. Im Gegensatz dazu war das anglo-amerikanische Copyright immer schon ein gewerbliches Kopierrecht. Durch internationale Abkommen nä­hern sich diese beiden Rechte immer mehr an, so dass das Urheberrecht immer stärker die Interessen der VerwerterInnen berücksichtigt, andererseits das Copyright den starken Schutz dee UrheberIn übernimmt. Gegen­wärtig sind künstlerische Werke (das sind grob gesagt die Werke der Li­te­ratur – dazu gehören auch Computerprogramme –, bildenden Kunst, Musik, darstellenden Kunst und des Films) bis 70 Jahre nach dem Tod der UrheberIn geschützt. Das kann, je nachdem in welchem Alter eine UrheberIn gestorben ist, gut und gerne 120 Jahre ausmachen. So lange darf niemand das Werk außerhalb genau festgelegter Ausnahmen benutzen, egal ob er/sie damit einen Werbeclip für die neueste Automarke machen will oder ein Fan-Video für seine/ihre Lieblingsfernsehserie.
Die Rechte-Industrie versucht mit verschiedenen Kampagnen und Veröf­fent­lichungen ihre Sicht der Dinge durchzusetzen: Nämlich, dass ein starkes Ur­heberrecht die KünstlerIn schützt und vor dem Ver­hungern bewahrt. Verschiedene Studien zeigen aber, dass die Einkommensverhältnisse von Krea­tiven immer prekärer werden. Die Verteilung der Einkünfte folgt der „Superstar“-Logik: Wenige Er­folgreiche verdienen überdurchschnittlich gut, wäh­rend die meisten am Rande des Existenz­mini­mums dahinkrepeln und auf den großen Durchbruch war­ten, während sie sich mit Aushilfsjobs über Was­ser halten. Dabei gibt es natürlich durchaus Un­ter­schiede zwischen den Branchen. Es gilt zu über­legen, wie viel es uns als Gesellschaft wert ist, dass manche Menschen Musik, Bücher und Kunst produzieren. Das Urheberrecht scheint dabei dem Zweck, ein Einkommen für die Kreativen zu generieren in (zu) vielen Fällen nicht nachzukommen, während es die Schöpfung neuer Werke oft ge­nug einschränkt.
Viele JuristInnen und NetzaktivistInnen meinen, dass eine grundlegende Reform überfällig ist, und schlagen verschiedene Maßnahmen vor, zum Bei­spiel eine Kürzung der Schutzdauer, die Einfüh­rung von grundsätzlichen Nutzungsfreiheiten für Parodie, Kommentar und nicht-kommerzielle An­wen­dungen und neue Regeln für das Samplen und Remixen. Der Kurzfilm „When Copyright goes bad“ (http://a2knetwork.org/film) zeigt, wieso es wichtig ist, ein neues Urheberrecht zu fordern, das wie­der das Gleichgewicht zwischen den Interes­sen der NutzerInnen, UrheberInnen und VerwerterIn­nen her­­stellt. Gleichzeitig hat sich im Internet seit ei­ni­gen Jahren eine neue Kultur der freien Inhal­te for­miert, die über freie Lizenzen einen Pool of­fen zugänglichen Wissens schaffen will, das Ur­he­ber­Innen und NutzerInnen einen freieren Um­gang mit Bildern, Texten, Musik und Filmen er­laubt.

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05/10
FotoautorInnen: 
Verlag für moderne Kunst Nürnberg

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