Der Bilderhorcher

„Ich habe immer das Gefühl, dass die Töne in der Luft sind, wie im Prater zieht man an den Schnüren und zieht sich mit etwas Glück eine Melodie.“ Ein Portrait des Stummfilm­pianisten Gerhard Gruber.

Der Klavierspieler Gerhard Gruber zieht seine Klangschnüre aus der vergangenen Bilder­welt des Stummfilms, und Glück scheint er dabei viel zu haben.
Gerhard Gruber erblickte 1951 als jüngstes von acht Kin­dern in Aigen im Mühlkreis, im oberen Mühlviertel, das Licht der Welt. Heute sitzt er im Halbdunkel vieler Kinos dieser Welt, um die laufenden Bilder singen zu lassen. Schon als Kind verschwand Gruber in der hohen Frühlingswiese seiner Heimat und spielte auf dem Akkordeon die Landschaft. Eine Landschaft, die an jedem Eck den Blick auf Neues, immer wieder Überraschendes freigibt und Töne in ihm freisetzte.

„Und da die neuen Tage sich aus dem Schutt der alten bau­en, kann ein ungetrübtes Auge rückwärtsblickend vorwärts schau­en“, steht in der Chronik des Stiftes Admont. Gerhard Gruber vermag nicht nur nach rückwärtsblickend vorwärts zu schauen, er vermag ungeschaut in sich vorwärts zu hö­ren. Ungeschaut und zufällig kam er vor 20 Jahren zum Stumm­­film, der ihn vollends „gepackt“ hat. Die 75 bis 90 Jahre alten Filme sind ihm zum Spielraum seiner Töne ge­worden. Klavierspielend horcht er an den Bildern, lässt sich von diesen treiben, schenkt ihnen Gefühl und Hörbarkeit. Ist gleichzeitig da, um weg zu sein. „Musik, die gut ist, nimmt man hier nicht mehr wahr“, sagt er, und das größte Kompliment nach einer gelungenen Stummfilmbegleitung ist ihm, wenn er zu hören bekommt, dass man ihn nicht mehr wahrgenommen hat. „Die Wichtigkeit muss zur Un­wich­tigkeit werden.“

Stummfilme waren ihm schon in der engen Internatszeit In­seln der Klangseligkeit. Erste Kompositionen entstehen auf dem Klavier. Früh versucht er, vor dem Klavier sitzend und die Klarinette seines Bruders zwischen den Beinen eingezwickt, eine Märchenoper zu komponieren. Die Ignoranz sei­nes Musiklehrers entmutigt ihn – was ihn seither zu Wi­derstand gegen starr gewordene Organisationen ermutigt. Ein Jazz-Studium führt ihn an die Musik­hochschule in Graz und doch bildet er sich gründlicher an den Rändern der Autodidaktik aus. Komponieren ist für ihn ein intellektueller Akt, Improvisation ein Liebesakt. „Die Bilder auf der Lein­wand sind mein Notenblatt und ich lese es jeden Tag neu“, sagt er, nicht ohne die Kinobesucher für das Geschehen un­abdingbar zu brauchen.

Grubers Weg führte über verschiedene Bands, dem Unter­richten, zu ersten Theater­mu­si­ken etwa für die Wiener Fest­wochen, das Theater an der Josefstadt oder im intensiven Ver­bund mit dem Schauspieler Justus Neumann. 2006 wird er mit dem Projekttheater Vorarl­berg für HC Artmanns „How much, Schatzi?“ mit dem „Nestroy“ ausgezeichnet. Heute spielt er zwischen 120 und 150 Stummfilme pro Jahr und schöpft aus einem sich ständig erweiternden Reper­toire von mittlerweile über 400 Filmen.
Aufführungen gibt es in der ganzen Welt. Eben aus Padua zurückgekehrt, fliegt er zum dritten Mal nach Japan, um ge­meinsam mit der japanischen Stummfilmerzählerin Midori Sa­wa­to österreichischen Stummfilmen in Tokio zum Klang­leben zu verhelfen. Im April geht es zum wiederholten Male nach Australien und Neuseeland, wo er je 10 Tage in Hobart (Tas­ma­nien) und in Rotorua (Neuseeland) Stummfilme be­glei­ten wird. In Rotorua initiierte sei­ne Anwesenheit ein Stumm­filmfestival, an dem auch neuseeländische Musiker partizipieren. Dann folgen Auftritte in Essen (Kultur­haupt­stadt 2010) und in Hamburg, bevor Gruber wieder im Wald­viertel oder in Wien an den Bildern horcht. Eine Verant­wor­tung spürt der Klavierspieler gegenüber seinen Filmen: „Ein zu viel und zu laut ist schnell der Tod eines Films.“ Stumm­filmbegleiten ist eine Atemgeschichte, die eine Portion In­tui­tion vorausetzt, und ihn immer wieder auch in die Stille, ins Schweigen finden lässt.

Die große österreichische Schriftstellerin Ilse Aichinger, die eine leidenschaftliche Cine­astin ist, schrieb über Gerhard Gruber, den sie einen Filmerzieher nennt: „Er macht jeden Film erst möglich und ihn zugleich unnötig. Wer seine Hän­de auf den beleuchteten Tasten sieht, kann es riskieren, selbst Chaplin zu vergessen, um seiner Erinnerung an ihn aufzuhelfen. Sollte man sich bei Selbstvergessenen fragen, wie viel sie zu vergessen haben? ... Aber wer Gerhard Gru­bers Klavierspiel hört, ist wieder imstande, seinen Atem­zügen zu trauen“. Und Alexander Horwarth, der Direktor des Österreichischen Filmmuseums: „Stummfilmmusik im Sinne Grubers ist stets ein partnerschaftlicher Vorschlag; in einer Partnerschaft, die garantiert nie langweilig wird. Eine offene Beziehung mit einem innigen Vertrauensverhältnis". Gerhard Gruber lebt mit seiner Familie in Wels, von wo er immer wieder in die ganze Welt aufbricht, um an Bildern sei­ne Klänge zu erhorchen.

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04/08
FotoautorInnen: 
Michel Löwenherz

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