Minimal::Maximal

„Es geht nicht darum, möglichst viele Noten zu spielen, es genügen die schönen“, mit diesem Zitat von Miles Davis schließt Peter Leisch sein Vorwort zum heurigen 4020 Festival. 4020 lotet vom 7. bis 10. Mai den Spannungsbogen zwischen Minimal und Maximal aus. Eine Vorschau mit Peter Leisch im Interview.

Der promovierte Philosoph Peter Leisch steht der Kunst-, Kultur- und Pro­jektförderung des Magis­trats vor. Im Zuge der Umwandlung von einer Ver­­anstaltungs- in eine reine Förderabteilung er­ging der Auftrag an ihn, mit einem Festival zeitgenössischer Musik ein neues Format zu schaffen, das im Besonderen die heimische Szene fördert und die Musikvermittlung akzentuiert. Seit 2001 be­steht das „4020 – mehr als Musik“ Festival. Dem künstlerischen Leiter Peter Leisch gelingt es im­mer wieder von neuem, spannende Themen aufzuwerfen und diese in synergiefreudiger Akribie anzuzünden. Spielräume sind heuer die Syna­go­ge, das Kunstmuseum Lentos, der Posthof und das Brucknerhaus, das das Festival auch auf sei­ne logistischen und organisatorischen Schultern genommen hat.

Wofür steht das 4020 Festival?
Peter Leisch: 4020 ist eine Transitstelle, wie bei der Post geht viel rein und viel raus. Ein Kom­mu­nikationsschnittpunkt, der in der Region insofern veran­kert ist, da heimische Solisten, Instrumen­ta­listen und Komponisten ins Pro­gramm mit eingebunden sind, aber in einem internationalen Kon­text ste­hen.

Unsere Kulturhauptstadt-Partnerstadt Vilnius wird beim heurigen Festival stark vertreten sein?
PL: Vilnius wird als Präludium zu 09 eine eminente Rolle im heurigen Pro­gramm spielen.
Der Exportgedanken ist mir wichtig. So habe ich bei meinen Kontakten mit Vilnius immer einen ganzen Bauchladen mit Material von und mit Lin­zer Musikern und Komponisten mit, um sie auch dort einzubringen.

Wie entwickelst du das Programm?
PL: Eigentlich immer vom Thema aus. Ich versuche ein Thema zu entwic­keln, frage mich, was hat es für Aspekte und zu welch weiteren Themen führt es. Dann verzweige ich dies auf die musika­li­sche Ebene und suche, wer das am besten in­ter­pretieren könnte. Meine Lust am Entwickeln von Programmen ist, was zu bringen, was man noch nicht gehört oder so noch nicht gehört hat – was Neugier und Ent­dec­kerfreude hervorzurufen vermag. Das Festival hat für mich nur dann eine Be­rech­ti­gung, wenn es sich nicht der üblichen Pro­gramm­dramaturgien bedient, sondern Zugänge zu unbekannteren künstlerischen Positionen eröffnet.
    
Bist du ein neugieriger Mensch?
PL: Ich habe sehr umherschweifende Interessen, die mit einer fundamenta­len Neugier gepaart sind. Es macht mir große Freude, Fäden zu verknüpfen, Leute zusammen zu bringen, einfach Synergien zu schaffen. Die Inten­ti­on ist, einen roten Faden zu entwickeln und dabei verschiedene ästhetische Positionen hörbar zu machen. Dies muss bis ins Detail ausgearbeitet sein.

Wie bist du auf das heurige Thema gestoßen?
PL: Minimal::Maximal ist wieder ein sehr aktuelles Thema. Mich hat der Besuch in Vilnius sehr inspiriert. Dort gibt es eine ganze Reihe von Kom­po­nisten, die sich als minimalistisch verstehen, wenn auch nur mehr mit sehr fer­nen Ahnungen an die Urväter der „minimal music“. Der spannendste da­bei war Rytis Mazulis, dem ein eigenes Portrait beim Festival gewidmet sein wird. Der andere Pol ist eben Maximalismus: Maximale Kom­plexität und Ex­­pression, völlige Freiheit im Um­gang mit dem Material. Dies wird sich „Im Land der Schmerzen“ nach Alphonse Daudet (1840-1897) zeigen. Der Best­sel­­lerautor war Syphilitiker und führte ein ungeschöntes Journal über seine extremen Schmerzerfahrungen. Ein Projekt auf das sich die Musiker Mi­cha­el Bruckner und Vladimir Tarasov eingelassen haben und bei dem Markus Kupferblum für die Regie und die Performance sor­gen wird. Als Gegenpol gibt es an diesem ers­ten „In Extremis“ Abend ein Portrait des griechischen Kom­ponisten Dimitri Papageorgiou, in dessen Musik es um Zu­rück­nahme, In­troversion, um Auslotsen von Klängen bis zum Verstummen hin geht.

Der zweite Abend (8. Mai) steht unter dem Titel „Aus dem Nichts“.
PL: Die Frage ist, wie generiert sich Musik aus der Stille, aus einem offenen, undefinierten nicht festgeschriebenen Raum? Da spielt für mich der Geiger, Komponist und Improvisator Malcolm Gold­­stein eine Rolle. Gold­stein hat viele Jahre eng mit John Cage zusammengearbeitet und wur­de von dessen musikalischer Ästhetik stark be­einflusst. Es geht über das rein instrumentalistisch Musi­kan­tische hinaus und steht in einem philosophischen Zusammenhang. Goldstein interpretiert Cages „Lec­ture on nothing“ (1950) und als Präludium gibt es eine unglaublich asketische Video­instal­la­tion der kanadischen Künstlerin Syl­via Safdie, die sich auf Goldsteins Cage Me­mo­rial­stück „gentle rain preceding mushrooms“ be­zieht. Die Synagoge scheint mir dabei der richtige, kontemplativ aufgeladene Ort, an dem man sich da­für öffnen kann.

Weiter geht es mit der Performance „Dakota“ des ehemaligen Clowns des Cirque du Soleil Colin Gee.
PL: „Dakota“ ist ein sehr philosophisches Road­movie, das sich kammerspielartig aus Videostills, einer sehr komplex ausgeleuchteten Performance von Colin Gee und Musik von seiner Schwester Erin Gee zusammensetzt.

Die junge kalifornische Komponistin lebt in Graz.
PL: Ja, sie hat bei Beat Furrer studiert und be­ginnt sich gerade international zu positionieren, was Aufführungen bei Festivals wie die Klang­spu­­ren oder in Witten bezeugen. Gee ist eine Kom­po­nistin und Performerin, die sehr stark ihre Stim­me im Zentrum hat und dabei eine ganz eigene Vokalsprache entwickelt hat. Ihr starker Be­zug zu Japan hat mich veranlasst, sie mit der Koto-Spie­lerin Makiko Goto zusammenzubringen und Gee mit einer Komposition hierfür zu beauftragen.

Der dritte „Hauptkomponist“ ist der schon angesprochene Rytis Mazulis.
PL: Mazulis ist einer der radikal eigenständigen Komponisten der sehr spannenden litauischen Kom­ponistenszene. Er arbeitet viel mit Mikro­ka­nons und -organismen. In Litauen gibt es eine ganz eigene Form von Kanons, deren Wurzeln in der heidnisch-schamanistischen Tradition liegen, Li­tau­en wurde erst 1500 christianisiert. Diese „Su­tar­tines“, litauische Vokalfolklore, wird vom En­semble „Trys Keturiose“ zu hören sein. Dies hat auf eine mittelbare Weise einen direkten Bezug zur Musik von Mazulis. So habe ich ihn zu seiner ersten Komposition für „Sutartines“ Ensemble an­gestiftet. Mazulis sieht sich im internationalen Kon­text, im Umfeld der Spektralisten oder Feld­man. Nach rückwärts gewandt orientiert er sich in der europäischen Musik an der Polyphonie der flämischen Meister oder an mittelalterlicher Mu­sik, die sehr stark mit repetitiven Verfahren zu­sam­menhängt. Das litauische Gaida Ensemble, ein Pendant zu unserem Klangforum, und die Lat­vi­an Radio Chamber Singers werden nicht nur Mu­sik von ihm spielen, sondern auch die höchst am­bitionierte und über den Tellerrand blickende Mu­sikszene Litauens illustrieren.

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04/08
FotoautorInnen: 
Ethan Levitas, Marcel Maspaitella

Colin Gee

Makiko Goto

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