Minimal::Maximal
Der promovierte Philosoph Peter Leisch steht der Kunst-, Kultur- und Projektförderung des Magistrats vor. Im Zuge der Umwandlung von einer Veranstaltungs- in eine reine Förderabteilung erging der Auftrag an ihn, mit einem Festival zeitgenössischer Musik ein neues Format zu schaffen, das im Besonderen die heimische Szene fördert und die Musikvermittlung akzentuiert. Seit 2001 besteht das „4020 – mehr als Musik“ Festival. Dem künstlerischen Leiter Peter Leisch gelingt es immer wieder von neuem, spannende Themen aufzuwerfen und diese in synergiefreudiger Akribie anzuzünden. Spielräume sind heuer die Synagoge, das Kunstmuseum Lentos, der Posthof und das Brucknerhaus, das das Festival auch auf seine logistischen und organisatorischen Schultern genommen hat.
Wofür steht das 4020 Festival?
Peter Leisch: 4020 ist eine Transitstelle, wie bei der Post geht viel rein und viel raus. Ein Kommunikationsschnittpunkt, der in der Region insofern verankert ist, da heimische Solisten, Instrumentalisten und Komponisten ins Programm mit eingebunden sind, aber in einem internationalen Kontext stehen.
Unsere Kulturhauptstadt-Partnerstadt Vilnius wird beim heurigen Festival stark vertreten sein?
PL: Vilnius wird als Präludium zu 09 eine eminente Rolle im heurigen Programm spielen.
Der Exportgedanken ist mir wichtig. So habe ich bei meinen Kontakten mit Vilnius immer einen ganzen Bauchladen mit Material von und mit Linzer Musikern und Komponisten mit, um sie auch dort einzubringen.
Wie entwickelst du das Programm?
PL: Eigentlich immer vom Thema aus. Ich versuche ein Thema zu entwickeln, frage mich, was hat es für Aspekte und zu welch weiteren Themen führt es. Dann verzweige ich dies auf die musikalische Ebene und suche, wer das am besten interpretieren könnte. Meine Lust am Entwickeln von Programmen ist, was zu bringen, was man noch nicht gehört oder so noch nicht gehört hat – was Neugier und Entdeckerfreude hervorzurufen vermag. Das Festival hat für mich nur dann eine Berechtigung, wenn es sich nicht der üblichen Programmdramaturgien bedient, sondern Zugänge zu unbekannteren künstlerischen Positionen eröffnet.
Bist du ein neugieriger Mensch?
PL: Ich habe sehr umherschweifende Interessen, die mit einer fundamentalen Neugier gepaart sind. Es macht mir große Freude, Fäden zu verknüpfen, Leute zusammen zu bringen, einfach Synergien zu schaffen. Die Intention ist, einen roten Faden zu entwickeln und dabei verschiedene ästhetische Positionen hörbar zu machen. Dies muss bis ins Detail ausgearbeitet sein.
Wie bist du auf das heurige Thema gestoßen?
PL: Minimal::Maximal ist wieder ein sehr aktuelles Thema. Mich hat der Besuch in Vilnius sehr inspiriert. Dort gibt es eine ganze Reihe von Komponisten, die sich als minimalistisch verstehen, wenn auch nur mehr mit sehr fernen Ahnungen an die Urväter der „minimal music“. Der spannendste dabei war Rytis Mazulis, dem ein eigenes Portrait beim Festival gewidmet sein wird. Der andere Pol ist eben Maximalismus: Maximale Komplexität und Expression, völlige Freiheit im Umgang mit dem Material. Dies wird sich „Im Land der Schmerzen“ nach Alphonse Daudet (1840-1897) zeigen. Der Bestsellerautor war Syphilitiker und führte ein ungeschöntes Journal über seine extremen Schmerzerfahrungen. Ein Projekt auf das sich die Musiker Michael Bruckner und Vladimir Tarasov eingelassen haben und bei dem Markus Kupferblum für die Regie und die Performance sorgen wird. Als Gegenpol gibt es an diesem ersten „In Extremis“ Abend ein Portrait des griechischen Komponisten Dimitri Papageorgiou, in dessen Musik es um Zurücknahme, Introversion, um Auslotsen von Klängen bis zum Verstummen hin geht.
Der zweite Abend (8. Mai) steht unter dem Titel „Aus dem Nichts“.
PL: Die Frage ist, wie generiert sich Musik aus der Stille, aus einem offenen, undefinierten nicht festgeschriebenen Raum? Da spielt für mich der Geiger, Komponist und Improvisator Malcolm Goldstein eine Rolle. Goldstein hat viele Jahre eng mit John Cage zusammengearbeitet und wurde von dessen musikalischer Ästhetik stark beeinflusst. Es geht über das rein instrumentalistisch Musikantische hinaus und steht in einem philosophischen Zusammenhang. Goldstein interpretiert Cages „Lecture on nothing“ (1950) und als Präludium gibt es eine unglaublich asketische Videoinstallation der kanadischen Künstlerin Sylvia Safdie, die sich auf Goldsteins Cage Memorialstück „gentle rain preceding mushrooms“ bezieht. Die Synagoge scheint mir dabei der richtige, kontemplativ aufgeladene Ort, an dem man sich dafür öffnen kann.
Weiter geht es mit der Performance „Dakota“ des ehemaligen Clowns des Cirque du Soleil Colin Gee.
PL: „Dakota“ ist ein sehr philosophisches Roadmovie, das sich kammerspielartig aus Videostills, einer sehr komplex ausgeleuchteten Performance von Colin Gee und Musik von seiner Schwester Erin Gee zusammensetzt.
Die junge kalifornische Komponistin lebt in Graz.
PL: Ja, sie hat bei Beat Furrer studiert und beginnt sich gerade international zu positionieren, was Aufführungen bei Festivals wie die Klangspuren oder in Witten bezeugen. Gee ist eine Komponistin und Performerin, die sehr stark ihre Stimme im Zentrum hat und dabei eine ganz eigene Vokalsprache entwickelt hat. Ihr starker Bezug zu Japan hat mich veranlasst, sie mit der Koto-Spielerin Makiko Goto zusammenzubringen und Gee mit einer Komposition hierfür zu beauftragen.
Der dritte „Hauptkomponist“ ist der schon angesprochene Rytis Mazulis.
PL: Mazulis ist einer der radikal eigenständigen Komponisten der sehr spannenden litauischen Komponistenszene. Er arbeitet viel mit Mikrokanons und -organismen. In Litauen gibt es eine ganz eigene Form von Kanons, deren Wurzeln in der heidnisch-schamanistischen Tradition liegen, Litauen wurde erst 1500 christianisiert. Diese „Sutartines“, litauische Vokalfolklore, wird vom Ensemble „Trys Keturiose“ zu hören sein. Dies hat auf eine mittelbare Weise einen direkten Bezug zur Musik von Mazulis. So habe ich ihn zu seiner ersten Komposition für „Sutartines“ Ensemble angestiftet. Mazulis sieht sich im internationalen Kontext, im Umfeld der Spektralisten oder Feldman. Nach rückwärts gewandt orientiert er sich in der europäischen Musik an der Polyphonie der flämischen Meister oder an mittelalterlicher Musik, die sehr stark mit repetitiven Verfahren zusammenhängt. Das litauische Gaida Ensemble, ein Pendant zu unserem Klangforum, und die Latvian Radio Chamber Singers werden nicht nur Musik von ihm spielen, sondern auch die höchst ambitionierte und über den Tellerrand blickende Musikszene Litauens illustrieren.
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