Das Gesicht des Wassers

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Wasser hat im stetigen Dahinströmen den Charakter des Endlosen, ist in seinem Kreislauf Sinnbild des Zyklischen. Marina Koraiman thematisiert im Tanztage Labor das Wasser zwischen „Recht des Menschen“ und „Recht der Natur“ und testet vor allem in Bild und Bewegung seine artifiziellen Eigenschaften.

Nomos Physis heißt dein Stück, das beim heurigen Tanztage Labor gezeigt wird. Dabei geht es laut Programmheft um die formende Kraft des Wassers – um Zeit, Landschaft, Mensch und Natur. Um gleich in Medias Res zu gehen, was bedeutet in diesem Zusammenhang Nomos Physis?
Mit Nomos und Physis beziehe ich mich auf eine philosophische Denkrich­tung der Sophisten des 4. Jahrhunderts, die das Recht des Menschen dem der Natur entgegensetzt. Dabei geht es um die Frage, inwieweit sich der Mensch die Grundlagen der Natur zu nutze machen darf. Die Bedeutung die­ser philosophischen Richtung mag umstritten sein, doch hat sie an Aktu­ali­tät nichts eingebüßt, da unsere heutige Lebensweise mit wirtschaftlichem Raubbau an der Natur und überproportionalem Konsumverhalten globale Folgen nach sich ziehen wird. Ich habe Wasser als abstrahierten, realen und bedrohten Wert ins Zentrum dieses Stückes gestellt. Mitgedacht sind aber auch zeitliche Dimensionen: Im steten Dahinströmen symbolisiert Wasser das lineare Zeitkonzept, in seinem Kreislauf steht es für das Zyklische. Was­ser kann gelesen werden als das Element der Gefühle und der fließenden Veränderung – die bis dato tatsächlich noch weitgehend unerforschte Tief­see symbolisiert die Welt des Unterbewusstseins.

Die Ästhetik des Stücks wirkt auf den Bildern mystisch und verzaubert. Kannst du etwas zu den eingesetzten Mitteln sagen, zur Installation oder zu den Kostümen?
Die Installation habe ich gemeinsam mit Rainer Kocher entwickelt. Sechs Aqua­rien, 50 cm im Kubus, stehen auf Sockeln und werden von unten be­leuchtet. Dabei funktionieren die Aquarien als Lichtlinsen. Das ergibt einen magischen Effekt, weil es so aussieht, als ob Wasser schweben würde oder umgekehrt Licht sich materialisieren würde. Hinzukommen Spiegel, Filter, Ge­genstände und ein selbst gebastelter Overheadprojektor. Es entstehen Licht­­brechungen durch verschiedene Bestrahlungen und Bewegungen – so­zu­sa­gen greift in der Szenerie die Eigenregie der Installation … Wasser in so einen künstlerisch artifiziellen Kontext zu bringen, ist schon allein insofern interessant, als dass es die gerade Linie in der Natur gar nicht gibt. Im Ge­genteil tendiert das an sich formlose Wasser immer zu einer Kugel oder – in Fließbewegung – zu spiraligen Formen. Die Kostüme wiederum verändern auf phantasievolle Weise die Form des Körpers und seine Bewegungen. Da­bei sollen die physischen Grenzen visuell erweitert werden und andere Ver­bindungen zum Raum schaffen. Indem sich etwa ein langer, transparenter Mantel vom Walfisch zum Wasserfall transformieren lässt oder vier Tän­zer­innen in die Figuren von Tieren schlüpfen, entstehen Bilder einer ursprüngliche Fauna und Flora. Bizarres Getier bevölkert in einer Szene die Unter­was­­serwelt: Koralle, Urfisch, Seegras … und ein elektronisch geladener Nau­tilus.

Um beispielhaft zu konkretisieren, diese Äste auf dem Bild, was bedeuten sie?
In dieser Szene geht es um die formende Urkraft des Wassers. Über lange Zeit formt Wasser Landschaften, die gewaltig sind, in einer zeitlichen Di­men­sion, die ein Menschenleben bei weitem überschreiten. Man denke et­wa an den Grand Canyon oder die Sahara, die früher ein Meer war … Es geht sehr stark um diese zurückliegende zeitliche Dimension, bzw. darum, dass man die Vergangenheit nicht einsehen kann, die Landschaft, in der man lebt, als Resultat hingegen vorliegt. Diese Äste sind dafür ein Symbol. Einzelteile bilden ein Gefüge, das durch Bewegung seine Konstellation im­mer wieder ändert. In diese Projektion der Äste soll sich dann der Körper ein­fügen, als Teil einer größer gedachten Veränderung. In Zeiten von Video und Computer ist das außerdem praktisch Old School: Dinge, die real im Moment vorhanden sind, werden per Overhead projiziert und verwendet.

Es handelt sich um eine Auseinandersetzung mit Natur und Wasser. Inwie­weit ist die Auseinandersetzung mit der Natur eine Abstraktion, inwieweit ist sie konkret auf Themen wie Umweltverschmutzung und Klimawandel bezogen?
Es greift ineinander … Die Frage ist auch, woher man seinen Input bezieht, ich habe in diese Richtung ja in den letzten Jahren schon einiges gemacht. Interessanterweise war ich als Kind immer viel in den Bäumen und im Wald, während ich Kunst später als reinen Abstraktionsprozess begriffen habe. Bei einem meiner letzten Projekte, bei genius loci, habe ich begonnen, die beiden Bereiche einander näher zu bringen und draußen im Freien mein Training zu machen und zu tanzen. Ich habe verschiedene Umgebungen als Unterschiede begriffen, die in verschiedenen Qualitäten in den Körper übergehen. Insofern sehe ich die Natur als Partner, mit dem man nonverbal kom­munizieren kann. So wie jeder Mensch seine eigene Geschichte hat, ist auch in den verschiedenen Landschaften und Orten Geschichte gespeichert. Die Geomantie etwa untersucht die Energiefelder der Erde, insbesondere die Ver­letzungen der Erde durch Kriege. Dabei geht es in der Folge natürlich um Maßnahmen der Wiederherstellung, um Balance und Heilung. Ich sehe da eine große Affinität zwischen Körper, Natur und geistiger Dimension. Der Körper ist da eine gute Schnittstelle.

Körper und Körperlichkeit scheinen sich besonders gut für Erforschungen in so genannten wissenschaftlichen Randzonen zu eignen.
Das betrifft speziell das Phänomen des Körpers als Speicherplatz. Die Cra­niosakral-Therapie etwa geht davon aus, dass alle Erfahrungen in der Rüc­ken­marksflüssigkeit gespeichert sind, was wiederum auf die Eigenschaft des Wassers zurückgeht, Informationen speichern zu können. So gesehen ist es nicht egal, wo das Wasser hindurchfließt, womit es konfrontiert wird – weder für den Menschen noch für die Umwelt. Wasser ist ein lebensspendendes zyklisches System mit Selbstreinigungskraft, sofern man es nur lässt. Der Mensch besteht zu 80 % aus Wasser. Diese Thematiken befinden sich für mich daher nicht an einem Rand, sondern sind ganz zentral. Wenn sich das in ein Bühnenstück transportieren lässt, dann ist das wunderbar. Die Bearbeitung mittels Tanz und Bewegung zielt dabei auf ein Kör­per­wis­sen und auf eine Körperintelligenz ab, an die man sonst nicht so leicht herankommt.

Wo positionierst du deinen künstlerischen Stil innerhalb des weiten Feldes des zeitgenössischen Tanzes?
Das ist irgendwie schwierig zu sagen oder einzuteilen, weil ich nun über die Jahre einen sehr eigenen Stil in der Umsetzung meiner Visionen entwickelt habe, in dem die Bereiche Bildende Kunst und Tanz immer mehr zusam­men­kommen. Ich denke stark in Bildern, d.h. bei der Entwicklung einer Szene greifen in der Vorstellung von Anfang an Bewegungsqualität, Atmosphäre durch Licht und Klang, Dimension des Raumes und Kostüm als Haut der Bewegung ineinander und bestimmen sich gegenseitig. Die Bewe­gungs­spra­che selbst bildet sich aus vielen Einflüssen, oftmals auch durch einen Kör­per-Reset, der auch mental rückwirkt. Ich bin interessiert am Detail wie am Ganzen – und in diesem Stück daran, dass der Tanz die Bandbreite an energetischer Dynamik abdeckt.

Kannst du vielleicht exemplarisch etwas zu deinen persönlichen Bezügen aus der Tanzwelt sagen?
Ganz eindeutig war Saburo Teshigawara prägend, der aus der Bildhauerei kommt und einen eigenen Kosmos kreiert hat, indem er Bewegung aus Atem entwickelt hat. Dann fällt mir noch Rose Anne Spradlin ein, die aus einer Schule des BMC (Anm. Body Mind Centering) Stücke entwickelt hat, die sich mit kognitiven Aspekten von Bewegung befasst haben.

Dann zum Schluss die obligatorisch kulturpolitische Frage zu Linz09. Wie schaut’s aus?
Ich muss mich von der Kritik ja einerseits ausnehmen, weil ich innerhalb der Academy of the Impossible den Workshop Moving Attack und Moving for All leite – andererseits ist mein Part auch keine große Geschichte. Ich finde das rundherum bedauerlich, was da auf Grund fehlender Kom­mu­ni­ka­tion und fehlendem Interesse aneinander vorbei läuft. Das Phönix ist da ja nur ein Punkt, wo es offensichtlich wird.

Mitwirkende: Ulrike Hager, Alexandra Faustmann, MoMo, Anna Achimowicz, Marina Koraiman (Tanz), Rainer Kocher (Lichtdesign), Michael Enzenhofer (Musik).
Termin: 25. April, 20.00 h, Posthof

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04/08
FotoautorInnen: 
Thomas Horwath

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