Wer will nicht erkannt werden?

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Glasklare Inszenierung, bestechend abgründige Darstellung: Im April diesen Jahres hatte das Stück „Brief einer Unbekannten“ von Stefan Zweig im Posthof Premiere. Auf Grund des großen Erfolges wurde es im September wieder aufgenommen und bleibt auch in nächster Zeit im Spielplan der freien Künstlerin Simone Neumayr.

Die Handlung: Als „er“, der berühmte Schrift­stel­ler, in ihr Leben tritt, ist sie 13 Jahre alt. Was als kindlich-fantastische Verliebtheit beginnt, wird schnell zur Obsession. Sie stürzt sich hinein in einen Rausch leidenschaftlicher Ge­fühle. Un­be­irr­bar, konsequent und in haltlosen Gedan­ken­kon­strukten hält sie am Traum ihrer großen Lie­be fest. Der Empfänger dieser geballten Liebe ahnt da­von nichts, auch nicht in den wenigen, realen Be­gegnungen. Nie kom­muniziert sie ihre Liebe zu ihm, sie will „erkannt“ sein. Erst im An­ge­sicht des Todes offenbart sie sich ihm in Form eines Brie­fes. Das lebenslang gehütete Geheimnis wird ge­lüf­tet, um letztendlich wieder eines zu bleiben: ge­spenstisch, spannend, fesselnd, trivial, tragisch – kann das wirklich der ganz normale Wahnsinn un­erfüllter Liebe sein? Simone Neumayr im Inter­view.

Auf der Bühne wird ein weibliches Leben zu Be­ginn des 20. Jahrhunderts ge­ge­ben: Mit großer Kraft und von ebenso großer Illusion getragen rollt die Frau ihr Leben auf, das sie einem Mann gewidmet hat, der nicht sehr viel von ihr wissen will. Ist das der ganz normale Wahnsinn ungelebter Liebe oder nicht auch äußerst verfestigter, „hysterischer“ Wi­derstand in einer Gesell­schaft, die Frauen systematisch unterdrückt hat?
Ich würde sagen, sowohl als auch. Obwohl ich sa­gen muss, diese Frau hat sich zusätzlich zur Ge­sellschaft noch selbst unterdrückt, also diese na­hezu re­ligiöse Unterwerfung und Anbetung eines Mannes war selbstgewählt. Aber der Begriff „hysterischer Widerstand“ gefällt mir hier auch sehr gut, weil sie die Entscheidung „Edeldirne“ zu werden selbst trifft, einerseits „um ihm frei zu sein in jeder Stunde“ und andererseits nicht in Armut le­ben will „um ihrem Kind allen Reichtum zu bieten“, also die Gesellschaft (Männer) zu ihren Gun­sten nützt.

Die Frau unterwirft sich zeitlebens einem Mann, der gar nicht da ist. In einer anderen, vielleicht et­was zeitloseren und geschlechtsneutraleren Inter­pre­ta­tion ist das wie absurdes Stalking an einer Fi­gur der eigenen Vorstellung – mit realen Ein­spren­gseln, die ja wie im Stück durchaus Folge­wir­kungen ha­ben können. Aber die Crux ist: Was kaum real ist, kann man auch nicht loslassen. In vielleicht stark abgeschwächter Form kennen wir das alle. Kann man das so sagen? War das auch das Faszinierende am Stück, ich meine, um es (heu­te noch) auszuwählen?
Ja das kann man so sagen. Eben weil wir das in abgeschwächter Form alle kennen, weil wir uns doch alle mal fragen, was wäre aus mir geworden, wenn ich damals am „Traum meiner großen Liebe“, an meinen damaligen Ide­a­len und Gesinnungen festgehalten hätte, usw. In Zeiten großer Orien­tie­rungslosigkeit finde ich es leicht nachvollziehbar, sich in eine Traum­welt oh­ne Kommunikation und Kon­fron­tation zu flüchten.

Die Frau auf der Bühne möchte von ihrem An­gebeteten „erkannt“ werden. Man weiß nicht so recht, was man von dieser Besessenheit, „er­kannt“ zu wer­den, halten soll. Was hast du er­kannt, als du dich mit großer Intensität in die­se Rolle hineinbegeben hast, diese Frau ge­spielt hast? Worauf habt ihr, die Regisseurin Doris Schüchner und du, in der Erarbeitung be­son­ders ge­ach­tet?
Also in erster Linie hab ich die grenzenlose Einsamkeit dieser Frau erkannt – und selbst die in zweifacher Hinsicht, weil ich als Schau­spielerin auch noch nie allein auf der Bühne ge­­standen bin. Die größte Schwierigkeit war ei­ne szenische Entsprechung für diese Ge­schich­te zu finden. Es ist nun mal eine Novelle in Brief­form – also kaum spielbares Material. Wichtig war uns, eine beklemmende Atmos­phä­re zu schaf­fen, in der sowohl Verständnis als auch Ab­lehnung für diese Figur Platz ha­ben.

Was sind deine/eure nächsten Pläne?
Pläne gibt es derzeit noch keine. Ich stelle mich grade dem nicht minder stren­gen Pu­bli­kum im theater-des- kindes. Ich würde es aber nicht ausschließen, dass mir/uns wieder mal ein Stück Literatur schlaflose Nächte und probenreiche Tage beschert.

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10/08
FotoautorInnen: 
Reinhard Winkler

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