„Unausrottbar widerständig“

Mitbegründerin der deutschen Grünen (Aus­tritt 1991), Anti-AKW-Aktivistin, Meinhof-Bio­gra­phin: Im Gespräch mit Jutta Ditfurth.

Es gibt diese seltenen Augenblicke persönlicher Genugtuung. Die Tage nach dem 13. Juli dieses Jahres gehören für Jutta Ditfurth wohl dazu. Die beherzte Anti-AKW-Kämpferin diskutierte an jenem Tag in der ARD-Talkshow „Anne Will“ mit CDU-Politikern und Atom-Lob­byisten. Die Zeitung „Die Welt“, Teil des Springerkonzerns und gewiss nicht undankbar für Inserate der Atom-Lobby, schrieb daraufhin: Ditfurth habe „die Nerven verloren“, als sie ihren Kontrahenten u.a. „Propagandagesülze“ vorwarf. Das war sogar der eher konservativen LeserInnenschaft der „Welt“ zu viel, eine gewaltige Welle an Potestbriefen folgte. Ein(e) R. D. aus Stuttgart etwa schrieb an Ditfurth: „Ich habe zwei Jungs im Alter von 14 und 17 Jah­ren. Die beiden staunten Bauklötze, dass es da ,eine‘ gibt, die die Traute hat, den bornierten Lobbyisten die Maske vom Kopf zu ziehen. Ich schöpfe wieder Hoffnung.“

Im E-Mail-Gespräch Ditfurths mit spotsZ war Ulrike Meinhof das Thema. Ditfurth trug Mitte September in der Linzer Stadtwerkstatt aus ihrer bei Ullstein erschienen Meinhof-Bio­gra­phie vor.

Woher rührt Ihr Interesse an Meinhof? War Ihr Missfallen an der Meinhof-Biographie Stefan Austs („Spiegel“-Chefredakteur, die Filmfassung läuft derzeit im Kino, er liest außerdem im Oktober im Posthof, Anm.) mit ein Grund, selbst ein Buch zu schreiben?
Jutta Ditfurth: Mir fiel in den 1990er Jahren auf, dass es z.B. sehr viel Literatur über Rudi Dutschke gab, Biografien, alle seine Texte usw., aber keine umfassende Biografie auf stabiler Quellenbasis von Ulrike Meinhof, die doch angeblich „Staatsfeindin Nr. 1“ war. Erst habe ich einen anderen Autor überzeugt und einen Verlag für ihn gefunden, das scheiterte, also musste ich selbst ran. Mit dem hundsmiserablen Baader-Meinhof-Buch von Aust hat die Entscheidung nichts zu tun, würde ich wegen jedes schlechten konservatives Sach­buchs ein eigenes kritisches schreiben, müsste mein Leben ein bisschen länger sein. Ich habe sechs Jahre recherchiert, nicht nur in Deutschland und ich habe tatsächliche viele My­then knacken können.

Meinhof war sozial sehr engagiert. Wie konnte diese Frau in den linken Terror kippen?
J.D.: Warum meinen Sie, dass sozial engagierte Menschen ins Irrationale kippen? Das teile ich nicht. Mit „kippen“ hat Ihre Entwicklung nichts zu tun. Ulrike Meinhof war als junges Mädchen in den 1950er Jahren politisch, eine Art früher, rebellischer Beatnik. Sie hatte das große Pech im autoritären Deutschland in der Adenauer-Ära aufzuwachsen. Sie engagierte sich als Studentin gegen Atomwaffen, war im frühen SDS (Sozialistischer Deutschen Studentenbund) und hat vergeblich versucht, den Kurs der SPD nach rechts aufzuhalten. Dann ist sie in die KPD gegangen. Da muss man wissen, dass Deutschland, neben der Franco-Diktatur Spanien, das einziges westeuropäische Land war, in dem die Kom­mu­nis­tische Partei verboten war, seit 1956. Ulrike Meinhof wurde so von der Regierung sechs Jahre in die Illegalität gezwungen, von 1958 bis 1964, Jahre vor der APO und vor der RAF. In ihrem legalen Leben war sie eine hochangesehene linke Journalistin, die großartige Re­por­tagen über die Lage von Migranten, Heimkindern und Industriearbeiterinnen schrieb.

Die „Linke“ hat sich seit Meinhof stark verändert. Lebt die „Linke“ heute noch? Wo sehen Sie zentrale Inhalte?
J.D.: Natürlich gibt es die Linke heute noch. Ja, sie hat sich verändert und das tut sie im­mer, nicht erst seit Ulrike Meinhof. Wann soziale Konflikte zu Rebellionen werden, wissen wir oft nicht. Aber so lange Menschen ausgebeutet und gedemütigt werden, werden sie sich wehren. Interessant ist die Frage, und das ist ein Thema linker Politik, organisieren sie sich? Qualifizieren sie sich? Leisten sie, leisten wir, den jeweils klügst möglichen Wider­stand? So beschissen die sozialen Verhältnisse sind, unter denen Menschen leiden, eines ist klar: Der Mensch ist unausrottbar widerständig.

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