Funktioniert Europa?
Samir Rizvu hat es getan. Wie viele andere seiner Landsleute auch, wenn sie nach Österreich eingeladen werden. Um ein Visum angesucht. Allerdings nicht für Österreich, Mag. Rizvu, der Staatsbeamte und Vorsitzende der „Arbeitsgruppe des Ministerrates von Bosnien-Herzegovina für den Dialog mit der EU über eine Liberalisierung des Visumsregimes für die Bürger von Bosnien-Herzegovina“ suchte um ein Visum für Deutschland an, um mit diesem weiter nach Linz zu reisen, um auch sicher und pünktlich im Wissensturm, wo der vorletzte Kopfstand 09 stattfand, zu sein.
Damir Saracevic, der Vorsitzende des ZZI, des Zentrums für zeitgemäße Initiativen und Mitveranstalter, erzählt einleitend von mehreren vergleichbaren Fällen. Konferenzen, Diskussionsrunden zu Themen wie Srebrenica oder die Entwicklung Bosnien-Herzegovinas allgemein werden zur Zitterpartie für die Veranstalter, weil nicht sichergestellt werden kann, ob und wann Gäste aus Bosnien-Herzegovina nach Österreich kommen dürfen. Er erzählt von Terminen mit Beamten der Fremdenpolizei, die erst Tage nach einer Veranstaltung möglich sind, obwohl Wochen davor angesucht wird und von Künstlern wie dem mehrfach preisgekrönten Schriftsteller Hazima Akmadzica, der 2002 auf der österreichischen Botschaft in Sarajevo vorsprechen musste und unter anderem zum Inhalt seiner Bücher befragt wurde, bevor seine „Visumswürdigkeit“ für Österreich beurteilt wurde. Und er erzählt davon, wie schnell es plötzlich gehen kann, sobald österreichische PolitikerInnen eingeschaltet werden, da werden Visa plötzlich innerhalb weniger Stunden ausgestellt.
Damir Saracevic beklagt nach derartigen Erfahrungen die Willkür der österreichischen Botschaft in Sarajevo, verständlich, wenn man bedenkt, wie lange die Vorbereitung und Planung von international besetzten Veranstaltungen dauern und wie viel Geld damit verbunden ist – Flüge und Hotels müssen gebucht werden, Einladungen gedruckt, Räume reserviert.
Nicht alle Länder der EU tun sich – wie eingangs erwähnt – so schwer damit, BürgerInnen von Bosnien Herzegovina als europäische Reisende, Gäste, Künstler und Intellektuelle wahrzunehmen wie Österreich. Frankreich und eben Deutschland werden hier als weit weniger restriktiv erwähnt. Von einer EU-weit einheitlichen Regelung sei man noch weit entfernt, so Mag. Samir Rizvu, auch wenn nun im Juni des Jahres gerade das Stabilisierungs-Assoziierungs-Abkommen zwischen der EU und Bosnien-Herzegovina unterzeichnet wurde: 43 Punkte müssen erfüllt werden, darunter die Einführung eines biometrischen Reisepasses, die aktive Bekämpfung von Korruption und Kriminalität, die Verhinderung von illegaler Migration oder die Einführung eines Systems zum Datenaustausch zwischen Polizeiämtern. Gerade im letzten Punkt sieht Rizvu eines der größten Probleme im Land selbst, und nicht einmal das ist nur hausgemacht. Das Daytoner Abkommen, das 1995 unter anderem den Frieden zwischen den kriegsführenden Staaten des ehemaligen Jugoslawien schriftlich festhielt, bildete auch den Grundstock für eine Verfassung Bosnien-Herzegovinas. Ein Grundstock, der nach Meinung vieler Experten keineswegs solide ist: Die innere Spaltung des Landes, schon allein geografisch festgeschrieben durch die Teilung in die Republika Srpska und die bosniakisch-kroatische Föderation, widerspiegelt sich in vielen anderen Lebensbereichen: Polizeikräfte der beiden Teile arbeiten bis dato nicht zusammen, Kinder werden, wenn auch nur mehr als Ausnahme, in ethnisch getrennten Schulen unterrichtet, es gibt nicht einen Präsident sondern eine dreiköpfiges Präsidium, das sich aus Vertretern der kroatischen, bosniakisch-muslimischen und serbischen Bosnier zusammensetzt. Bosnien-Herzegovina hat also ohne Frage ein innenpolitisches und gesellschaftliches Problem, das gelöst werden muss, so Rizvu. Das Dayton-Abkommen und die damit verbundene Verfassung behindere fast alles, so Rizvu auf eine diesbezügliche Frage aus dem Publikum, denn niemand fühle sich für irgendetwas zuständig, es gäbe zu viele Ministerien und zu viele regionale Verwaltungen; die geltende Verfassung werde seitens der EU nicht einmal als demokratisch, geschweige denn als menschenrechtskonform eingeschätzt. Dass Bosnien-Herzegovina Handlungsbedarf hat, ist den Politikern im Land wie auch der EU klar. Die EU sieht sich dabei gerne als Helfer, als Unterstützer, um Bosnien-Herzegovina „europareif“ zu machen, ist aber nicht einmal bereit, nach Erfüllen aller 43 Punkte des Stabilisierungs-Assoziierungs-Abkommens die Visabestimmungen zu lockern, von denen Rizvu meint, man könne die meisten bis Mitte 2009 erfüllen. Erst muss im EU-Ministerrat mit einer 2/3 Mehrheit darüber abgestimmt werden. Auch kein großer Vertrauensbeweis gegenüber einem Land und seinen BürgerInnen.
Bemerkenswert waren einige Wortmeldungen aus dem Publikum, das sich zu großen Teilen aus Menschen mit bosnischem Migrationshintergrund zusammensetzte: Ob er nicht meine, eine Lockerung der Visabestimmungen würde noch mehr der 4 Millionen Bosnier dazu veranlassen, ihr Land in Richtung eines der reichen EU-Länder zu verlassen? Keineswegs, so Rizvus Antwort, erstens weil es bei den angeführten Bestrebungen nur um Kurzvisa gehe, also 90-Tage Visa und zweitens gebe es Untersuchungen, die auf eine stärkere Bindung gerade junger Menschen an ihr Land hindeuten. Bemerkenswert war diese Frage deswegen, weil sie zeigt, wie stark bosnische Staatsangehörige immer noch als Flüchtlinge wahrgenommen werden, die nichts anderes wollen, als möglichst schnell weg aus ihrem Land, das, nach Ansicht vieler offenbar, so gar nichts zu bieten habe.
Es wird also noch Jahre dauern, bis bosnische BürgerInnen ganz einfach nur reisen dürfen und europaweit, vor allem in Österreich, als Reisende wahrgenommen werden. Dies bedeutet es wird noch Jahre dauern, bis Festivals, Universitäten oder Institute wie das ZZI sichergehen können, dass sie eingeladene KünstlerInnen, WissenschafterInnen wirklich und rechtzeitig in Linz begrüßen dürfen. Umgekehrt, und das wurde bei der Diskussionsveranstaltung nur angeschnitten, ist Österreich das Top-Investor-Land in Bosnien-Herzegovina. Über 300 österreichische Firmen machen Geschäfte Vorort, mit 1.294 Millionen Euro beträgt das Investitionsvolumen 27,9 % der gesamten ausländischen Investitionen in BiH. Weniger nüchtern ausgedrückt: wer vom Flughafen Sarajevo ins Zentrum fährt, meint sich fast daheim: österreichische Banken und Versicherungsanstalten säumen die Straße, die Gebäude, eines größer, höher und gläserner als das andere schaffen ein paradoxes Bild, vor allem für Einheimische: Europa, rein wirtschaftlich verstanden, funktioniert. Keine gute Voraussetzung für eine europäische Kulturhauptstadt.
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