Üble Machwerke, gefährliche Knilche

Im September präsentierte Jutta Ditfurth in der Stadtwerkstatt ihre im letzten Jahr erschienene Biografie über Ulrike Meinhof. Diese bringt interessante neue Details über das Bild der RAF-Mitgründerin und deutschen „Staatsfeindin Nr. 1“. Barbara Steiner schreibt über die Veranstaltung und eine „reale“ Person zwischen Familie, NS-Vergangenheit, restriktivem Staat und Terrorismus.

Die „Baader-Meinhof Bande“, eine Springersche Wort­kreation, geisterte noch Jahrzehnte nach ih­rem Aufbau 1970 und dem Tod ihrer führenden Mit­­glie­der in ihren Zellen, 76 und 77, als Schreck­gespenst aber auch Mythos in den Köpfen der Deut­schen herum. Die Rote Armee Fraktion (RAF), wie sich die Organisation später nannte, war Teil, Produkt und Motor des Aufstands einer Gene­ra­ti­on gegen das Schweigen ihrer Nazi-Eltern, gegen Krieg und Aufrüstung, gegen Staatsrepression und Polizeigewalt. Nach dem Vorbild süd­amerika­ni­scher Stadtguerillas entschied sich die Gruppe um Andreas Baa­der, Gudrun Ensslin, Horst Mahler und dann Ulrike Meinhof und vielen anderen nach einer andauernden Abdrängung der politisch ak­ti­ven Linken in die Illegalität für den bewaffneten Widerstand. Sie hatten den Anspruch, die Avant­garde des Proletariats im Klassenkampf zu sein, den Staat, das Sys­tem und die Ausbeutung des Kapitalismus zu bekämpfen. Jutta Ditfurth zi­tierte an einer Stelle zu Beginn ihres etwa zweistündigen, frei gehaltenen Vortrags Ulrike Mein­hof mit dem Ausspruch „Illegalität macht dumm“, mit der sie unter anderem Kritik an eigenen Hal­tun­gen geübt hat, die nicht mehr einem Prozess der Auseinandersetzung unterworfen sein können, sondern sukzessive noch mehr der verstärkten staat­lichen Repression. Aber zweifelsfrei kann Kri­­tik, was Jutta Ditfurth zahlreich belegen kann, noch viel mehr daran geübt werden, dass eine Poli­tik und Gesellschaft, die eine linke Par­tei schlicht verbietet, selbst in Dummheit und Ver­drängung endet – aus den selben Gründen der ne­gierten Auseinandersetzung.

Die Soziologin und Autorin Jutta Ditfurth selbst kommt aus der Antiatom­be­wegung, hat die Grü­nen in Deutschland mitbegründet, um allerdings 1991 wieder auszutreten: Eine Grüne und Links zu sein schloss sich aus der Sicht Ditfurths aus. Selbst streitbar ist sie heute außerparlamentarisch organisiert und Autorin zahlreicher Sach­bü­cher. In der Stadtwerkstatt erzählte sie anlässlich der Veröffentlichung des Buches „Ulrike Mein­hof. Die Biogra­phie“ vom Werdegang der Persön­lich­keit Meinhof zwischen politischen Entwick­lun­­gen und privaten Umständen, sie gab Ein­blic­ke in die langjährige Re­cher­chearbeit. Dabei er­wie­sen sich die verschiedenen Bücher über Ulri­ke Meinhof als wertlos für die Recherche, da Dit­furth auf eine Reihe von Un­wahrheiten in der tra­dierten Bio­gra­fie und niemals überprüfte Lü­gen im Le­ben von Men­schen rund um Meinhof stieß.

Zutiefst irritierende Unwahrheiten durchzogen da­­bei schon zu Beginn Mein­hofs Leben. Die Lebens­ge­fährtin von Meinhofs Mutter und ihre spätere Pfle­gemutter etwa engagierte sich nach 1945 als Friedensaktivistin, war von der Linken gefeierte Dozentin und Autorin. Sie verschwieg geflissentlich ih­re NSDAP-Mitgliedschaft. Kein einziger Fall, in dem sie jüdischen Be­kann­ten geholfen haben soll, ist belegbar. Sie schrieb in ihrer Auto­biogra­fie, sie sei vor Antisemitismus schon durch die Muttermilch gefeit, da eine jüdische Wochenbett­nachbarin der Mutter ihr nach der Geburt Milch gab – was von einem biologistisch-rassistischen Ver­ständnis der glühenden Antro­po­so­phin zeugte. In der Entnazifizierungskommission an der Hoch­schule entlastete sie andere Nazis, wollte sie nicht „denunzieren“. Sie war während ihrer Stu­dienzeit von großen nationalsozialistischen Pro­fes­soren gefördert und für Stipendien vorgeschlagen worden. Sie schrieb nach dem Krieg keine antifa­schistischen Schulbücher im Auftrag der Briten, sondern christlich-konservative Heldengeschich­ten großer Männer, die in gigantischer Auflagen­zahl gedruckt wurden. Auch der protestantischen Familie Meinhof wird Wider­stand gegen die Na­zis zugedichtet, tatsächlich schlossen sich ihre Mit­glieder sehr bald mit den Nazis zusammen. Die un­erträgliche Infiltration von nationalsozialistischer  Gesinnung durchdrang da­mals alle Le­bens­be­rei­che – im Deutschland der Sechziger waren die Na­zis keineswegs verschwunden. Die Mitglieder der SS, SA und des SD suchten sich nach den Ent­lastungsprozederen und Amnestien die Berufe, die ihnen am besten passten – bei der Polizei, beim Heer, im Heim, in Ge­fängnis und Ge­richt. Und in Westberlin hatten sich die Eifrigsten eingefunden, hier galt es doch das Heimatland tagtäglich ge­gen die Bedrohung „des Kom­mu­nis­mus“ zu verteidigen. In West­ber­lin prallten die Hüter der al­ten Zucht und Ord­nung als erstes mit einer neuen an­tiautoritären Be­wegung zu­sammen. Das Deutsch­land der Sech­ziger, wo auf Teilnahme an einer Sitz­­de­mo ein Jahr Zuchthaus stand, sah aus dem Pro­test gegen den Vietnamkrieg, gegen Atom­kraft und Aufrüs­tung eine Bewegung wachsen, die an seinen Grund­­fes­ten rüttelte.

Eine andere, viel spätere Linie aus Meinhofs Le­ben, die ihre Abspaltung vom linken Jetset um Klaus Rainer Röhl bereits offensichtlich macht und die auch wegen ihrer Vermischung von Pri­vatem und Politischen betroffen macht, wurde von Jutta Ditfurth vorgetragen: Ulrike Meinhof war „kon­kret“-Autorin und eine be­liebte Figur der Ham­burger Linken. Sie soll­te im Mai 1970 an der Be­freiung Andreas Baa­ders teilnehmen, er war we­gen Legung eines Kauf­hausbrandes zu drei Jah­ren Gefängnis verurteilt worden. Meinhof hatte dafür gesorgt, dass im Not­fall ihre Töchter bei ih­rer Schwester unterkommen können. Sie hatte gu­te Gründe, sie nicht ih­rem Ex-Mann Klaus Rainer Röhl, zu der Zeit konkret-Herausgeber, zu überlassen. Sie tauchte un­ter, nachdem ungeplant ein Mensch bei der Be­freiung Baaders verletzt wur­de. Dies sollte der Be­ginn der „Baader-Meinhof Gruppe“, später RAF werden. Röhl, den Ditfurth sa­lopp als Knilch in Mein­hofs Leben apostrophierte, hatte sein Besuchsrecht zuvor nur spärlich ge­nutzt. Nachdem seine Ex-Frau über Nacht zur ge­suchten Ter­ro­ris­tin ge­macht wurde, mimte er al­ler­dings plötzlich den besorgten Vater, um das So­rgerecht der Töchter zu erkämpfen. Er er­hielt es prompt, entgegen al­len Erwartungen, und versuchte über die nun mög­liche Interpol­fahn­dung nach den Kindern an die Mutter heran zu kommen. Meinhof ließ die Kinder nach Sizilien zu be­freundeten Genoss­In­nen bringen, bis das Sor­ge­recht geklärt sein wür­de. Stefan Aust, der wie Ulrike Meinhof konkret-Autor war und in den Kreisen der RAF verkehrte, „befreite“ die Töch­ter und brachte sie dem Va­ter zurück (später wurde das Sorgerecht für die Kinder aber gerichtlich Mein­hof zugesprochen). Dieser andere „Knilch“ soll­te später das üble und schlampig recherchierte Machwerk „Der Baader Meinhof Komplex“, das zum Standardwerk avancierte, ver­fassen.

Aust war bis vor kurzem „Spiegel“-Chefredakteur. Im Spiegel wird die Ver­fil­mung des „Baader Mein­hof Komplex“ durch Regisseur Bernd Ei­chin­ger (der auch für die Hitler-Bunker-Schnulze „Der Un­tergang“ verantwortlich ist) als blutige Revol­ver­story angekündigt. Der Autorin Jutta Ditfurth kün­dig­te die Spiegelredaktion bei Erscheinen ihres Bu­ches an, sie „auseinander zu nehmen“, was bis heute, ein Jahr nach Erscheinen der Biografie aber nicht geschah – trotzdem so manches in ihrem um­fassend recherchierten Werk nicht ver­wendet werden konnte, da es mit Quellen be­legt wer­den hät­te müssen, zu deren Verwendung sie die Erlaubnis nicht erhielt. Die Zwil­lings­töchter Bettina und Regine Röhl hadern etwa mit dem Ver­mächt­nis ihrer berühmten Mutter verweigern die Freigabe jeglichen Fit­zels aus deren Leben. Geschweige denn würden sie einer Heraus­gabe der ge­sammelten Wer­ke Meinhofs, die von großem Umfang und Inte­res­se wä­ren, zustimmen. Die 68er-Bewegung sehen sie als Produkt kommu­nis­tischer Unterwan­de­rung, die ihnen die Mutter geraubt hat.

Zeit ihres Lebens in der Illegalität wurde immer wieder versucht, Ulrike Mein­hof Geistes­krank­heit zu diagnostizieren. Guter Anlass: Sie hatte während ihrer Schwangerschaft einen Blutschwamm im Kopf, der danach wieder verschwand (eine zwar selten vorkommende, aber durchaus nicht unbekannte Begleiterscheinung der Schwan­ger­schaft). In ihrer Gefangenschaft seit 1972 musste sie oh­ne ihr Einverständnis eine Reihe von quälenden Kopf­untersuchungen über sich ergehen lassen. Eine nicht zurechnungsfähige Terroristin hätte na­türlich gut ins Bild gepasst – nicht gesellschaftliche Missstände sondern Wahnsinn sollten der Grund für den Widerstand der Stadtguerilla werden. Oder ein anderes Frauenbild: Als dritter „Knilch“ des Abends wurde schließlich Günter Grass genannt, der einmal behauptete, hätte „das Fräulein Meinhof doch einmal mit ihm getanzt, sie hätte nicht so wild werden brauchen“. Ulrike Meinhof wählte allerdings den militanten Widerstand in dem Sinne: Zur Radikalität zwingt uns die Wirklichkeit.

„Illegalität macht dumm“. Eine politische Or­gani­sa­tion wird über Jahre in der Illegalität isoliert. Jutta Ditfurth meint, dass diese Situation keine Refle­xion über die Organisation innerhalb dersel­ben zulässt und somit auch kei­ne Weiterent­wick­lung oder Möglichkeit, aus ihr heraus zu wachsen. Viel­mehr schafft und erhält der Staat mit dem Stempel der Illegalität ein festgefahrenes Bild einer radikalen Gruppe. Die Medien transportieren und re­pro­duzieren es. Mythen werden entwickelt und der Suche nach einer Wahr­heit oder Re­flexion über gesellschaftliche Verhältnisse je­der Riegel vorgeschoben. Über die vielseitigen Ver­flech­tungen von repressiven politischen Interes­sen kann jedenfalls genauestens im Buch nachgelesen werden.

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10/08
FotoautorInnen: 
Klemens Pilsl

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