Mythos untermauert

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Rebellion, stilistische Hyperbeweglichkeit, Sex Appeal: Die Rockband Willi Warma infizierte in den späten siebziger Jahre die triste Stadt mit Jugendkultur und Rockmusik. Erst nach 30 Jahren erscheint ein Tonträger, der für beachtliches mediales Echo sorgte. spotsZ bat Rainer Krispel, die Faszination der Band und das mediale Interesse zu reflektieren.

Vor allem anderen waren die Linzer Willi Warma eines – eine phantastische Band, de­ren Liveauftritte sich in Her­zen und Hirne ge­radezu einbrannten. Die Summe war mehr, weit mehr als die einzel­nen Teile. Eine Frontline, die den seltenen Fall von gleich drei Frontmännern neben- und miteinander auf­wies, Bassist Pe­ter Donke, der 1992 verstorbene Gitarrist Julius Zechner und Sänger Kurt Holzinger hat­ten instinktiv verstanden, dass man auf einer Bühne nicht wie ein nasser Waschlappen herumliegt und sei­ner Aufgabe nach­geht, sondern dass man sich diese Bühne für und mit seiner Musik nimmt. Dem Publikum entgegen, ohne sich bei diesem aber je an­zubiedern oder es diesem zu leicht zu machen. Da waren Willi Warma schon viel mehr Punkrock als Pubrock – sie waren nicht automatisch deine Freunde, nur weil sie auf und du vor der Bühne gestanden bist. Schon eine „(young) people’s band“, aber eine wenigstens dialektische. Testosteron, Adre­nalin und unmittelbarer Diskurs. Da war ein Geheimnis, etwas Ge­fähr­liches, etwas For­derndes und auch etwas, das sich auf faszinierende Weise nicht ganz ausgegangen ist. „Ihr sads olle so deppat“ sagte Vera Russwurm als sie ein Kon­zert am Schillerplatz moderierte und während ihrer Ansage zu Willi War­ma diverse Linzer Punx die Bühne stürmten, Peter Donke mit einem prächtigen, ganz selbstverständlich getragenen Kopfverband mit Stoff­tier-Ap­plikation die optische Umsetzung ihres ins Leere gehenden Anwurfs. Und dieser Sänger, der Iggy Pop und ein wenig auch den ewigen Jagger mit seinen an Ray Davies geschulten Sensibiltäten zusammenbrachte, nach hier, ins doch recht weltvergessene Österreich und Linz im besonderen kanalisierte und filterte, der mit Stimme und Bewegungen eine Präsenz ausstrahl­te, die ihn Rockstar sein ließ, unbeschadet der wenig Glamour ausstrahlenden Bühnen von Gemeinde- und Jugendzentren, wo Willi Warma-Gigs nicht selten stattfanden. Der das exzesswillige Rock’n’Roll-Animal und den belesenen, zweifelnden, ringenden jungen Mann zusammenbrachte. „Das nächste Stück ist von Philip K. Dick und heißt Telephon nach Überall“. Dieser Aus­nahmesänger, den selbst die bis heute dümmste und meistgelesene Zei­tung des Landes damals als „karottenhaarigen Willy“ wahrgenommen hat.

Das ganz großartige an der jetzt 25 Jahre nach ihrer Auflösung erschienenen CD „Stahlstadtkinder“ ist, dass die 19 Stücke Willi Warma-Musik die per­sönlichen Mythen und glorreichen Erinnerungen an diese Band nicht in Fr­age stellen, sondern im Gegenteil, unterstreichen, ja, untermauern – ich ha­be mir das nicht eingebildet! Ich habe diese Band nicht subjektiv als so groß, als so wichtig abgespeichert, weil sie eben die erste Band waren, die ich live gesehen habe, die zusammengefallen ist mit meinem zaghaften Auf­bruch ins Nacht- und Gegenkulturleben. Ich liebe diese Songs nicht nur, weil es für diesen kleinen Punk etwas geheißen hat und immer noch heißt, als mich Kurt zum ersten mal auf dem Weg vom Land­graf ins E-Schmid auf der Landstraße gegrüßt hat. (Mit dem ich seither gemeinsam Musik gemacht ha­be und der mein Freund ist, um hier nicht real existierende Nähe im Sinne vor­getäuschter Objektivität zu verschweigen.)  

Wie diese Band an sich waren auch ihre Songs großartig, Hits einer besseren Welt, einfach ohne wenn und aber richtig gut. „Typische Mädchen“ oder „Janine D.“ nach all dieser Zeit wiederzuhören ist wie eine Zeitmaschine, die kurioserweise auch zu funktionieren scheint, wenn man die eine Station, das „damals“ eben nicht miterlebt hat – wie die positiven Wortmeldungen in diversen elektronischen und papierenen Medien von später geborenen Musikkritikern nahe legen. Sie bringt einen ganzen Haufen Dinge nach heu­te diese CD, die in Pop, zumal in A vergessen scheinen.

Willi Warma haben Zeit ihrer Existenz das große Wunder geschafft, da­durch, dass sie selbst als Personen an die (Musik-)Welt im Sinne eines weitreichenden Punk/Pop-Kanons angedockt haben, diese Welt nach hier zu ho­len. Sie haben im abgehalfterten und gleichzeitig wunderschönen Cafe Land­graf einen Palast der Möglichkeiten errichtet, der ein paar Hundert­schaf­ten (junger) Menschen erschlossen hat, dass mehr geht, mehr möglich ist, als die Lebensentwürfe der Eltern und die Wirklichkeiten einer Stadt wie Linz suggerieren. Gleichzeitig haben sie viele dieser Versprechungen als Mogel­packungen entlarvt, die als Teenager in ihre Band gestarteten Willi Warma brachten eine vielschichtige Liebe für Popmythen mit einer unbestechli­chen, unprätentiösen Medien- und Kapitalismuskritik zusammen („Ich geh nie wieder arbeiten“ oder „Alle wollen glücklich sein“). Das passierte nicht über Interviews oder mediale Reflexion der Band, das passierte mit ihrer Mu­sik, so wie sie sich anzogen, bewegten, im Hinterzimmer des Landgraf bei der coolsten Jukebox des Planeten gesessen sind, mit den schönsten Mäd­chen und den wildesten Punx.

Die CD „Stahlstadtkinder“ bringt das Wunder zusammen, dass sie 2008 Gül­tigkeit hat, dieses gewesene Wunder ohne Übersetzungsverluste nach heute bringt. Die mediale Aufmerksamkeit mag dem daran schraubenenden Dream-Team geschuldet sein, schließlich ist Hans Peter Falkner als Herausgeber kein Niemand, sondern als Hälfte von Attwenger Teil einer der konstant re­levanten und aufregendsten Musiken dieses Landes. Der Booklet-Text von Didi Neidhart ist ein Beispiel wie Musikjournalismus sein kann, wenn sich Kompetenz und Haltung hierzulande nicht dauernd ausschließen täten. Der markige Spruch von Schauspielerin Sophie Rois mit den „auf diese Band ma­sturbierenden Klassenzimmern“ lässt sich gut zitieren, bringt endlich wie­der einmal den Zusammenhang vom Musik und Sexualität ins Spiel, abseits von keimfreien Hochglanz-Stadion-durch-hohen-Eintritt-garantierten-Megaorgasmus-Massenonanie-Mechanismen wie Madonna oder Boy-Bands, deren Namen mir nicht geläufig sind. Und hat durch die offen ge­leb­te Homosexualität des lokalen Gitarrengotts Julius Zechner noch eine Ebene, über die sich Sei­ten füllen ließen.

Oft ist die Rede vom Lied „Stahlstadtkinder“ als in­offizieller Hymne von Linz, was heute, wo dieses Linz so gerne Kulturstadt sein möchte erneut Brisanz gewinnt, wobei sich für die entsprechenden Bemühungen der Kulturhauptstadt 09 ein an­deres Willi Warma-Lied als Soundtrack aufdrängt: „Blöd im Hirn“. Die CD „Stahlstadtkinder“ erzählt eine viel schönere und wichtigere Geschichte, sie ist wie ein leicht verspätet übergebener Gold­po­kal an die Protagonisten, gewonnen mit einer Viel­zahl von Ideen und dem (manchmal vielleicht na­iven) hemmungslosen Mut zur Reibung an vorherrschenden Zeitgeistern und Verhältnissen. Nur ins Regal stellen gilt nicht – ums Haus rennen da­mit und Unruhe stiften!

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10/08
FotoautorInnen: 
Andi Scheiber

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