Geschichte wird gemacht
Die KAPU begreift sich als kollektives Phänomen und ist in ihrer historischen wie gegenwärtigen Praxis tatsächlich erstaunlich vielfältig: unendlich viel Geschichte, Erfahrung und Know-how zu beinahe allen Bereichen der Kunst und Kultur wurden in den letzten 20 Jahren im Haus Kapuzinerstraße 36 angehäuft: Musik, Literatur, Zeitung, Internet, Design, Mode, Bildende Kunst, Performance … viele unterschiedliche Gesichter gestalteten das Innenleben und auch die Außenansicht der KAPU – manche Menschen waren nur für kurze Zeit in der KAPU, andere widmen beinahe ihr ganzes Leben dem Haus.
Von Anfang an war uns, den jetzigen ProtagonistInnen der KAPU, vor allem eines klar: Es kann nicht sein, dass nur einige wenige die Geschichte und Erfahrung von so vielen aufarbeiten. KAPU-Geschichte kann nur partizipativ von vielen Menschen niedergeschrieben werden. Ein Haus, das kollektiv funktioniert, muss auch seine Geschichte kollektiv begreifen, und das heißt möglichst allen die Möglichkeit der „individuellen“ Geschichtsproduktion anzubieten.
Redaktionelle Texte
Unser Weg zur Umsetzung dieses frommen Wunsches nach möglichst breiter Beteiligung UND bestmöglicher Qualität ist doppelt schwierig und dementsprechend auch doppelt gemoppelt. Einerseits muss ein Buch mit dem Anspruch, klar und nachvollziehbar zu lesen zu sein, über einen erkennbaren roten Faden verfügen und nachvollziehbar strukturiert und aufbereitet werden. Für uns hieß das, in etlichen Gesprächsrunden mit vielen jetzigen und ehemaligen Kapuzistas und über eine breit angelegte Mailingliste ein Arbeitskonzept zu entwickeln, das die historische und inhaltliche Breite der KAPU erfassen soll. Unter Berücksichtigung vieler Erinnerungen, Vorstellungen, Kritiken und Notwendigkeiten hat ein kleines Redaktionsteam (Huckey Renner, Maria Steinbauer, Klemens Pilsl, Anatol Bogendorfer, Didi Neidhart) eine „Backbone“, eine Art grobes Inhaltsverzeichnis eines potentielles Buches, entwickelt. Dieses Inhaltsverzeichnis umfasst diskursive Themen (z.B. „KAPU und Kulturpolitik“ oder „KAPU und Geschlechtlichkeit“) ebenso wie eine historische Übersicht über die KAPU. Vor allem aber sieht es diese Backbone vor, dass die gesamte Historie des Hauses anhand musikalischer Genres aufgearbeitet wird und auch abseits nackter Fakten diese Geschichte vor allem über das jeweilige subjektive Erleben der KAPU durch ihre ProtagonistInnen erzählt wird. Das Inhaltsverzeichnis zerlegt die Geschichte der KAPU in (sich bewusst überschneidende) Phasen, angeordnet in eine „musikhistorische Matrix“ nach den in bestimmten zeitlichen Phasen vorherrschenden musikalischen Vorlieben des Hauses. Zum Beispiel: „Punk/Hardcore“, „Pop“, „Elektronics“ und so weiter. Die Redaktion wählte aus dem Pool jetziger und ehemaliger Kapuzistas und externer FreundInnen jeweils für jedes Thema eineN AutorIn aus, der/die ein Kapitel des Buches verfassen soll. Die Linzer Aktivistin und Soziologin Kristina Hofer, derzeit in Taiwan und China beheimatet, schreibt beispielsweise über KAPU und Gender, Andreas Kump, Sänger der Linzer Pop-Veteranen „Shy“ schreibt über KAPU und Popmusik, und so weiter und so fort. Alle SchreiberInnen sind aufgefordert, die inhaltlichen und historischen Entwicklungen der KAPU zum jeweiligen Themenkreis aus persönlicher Sicht zu erfassen.
Open-Source-History
Anderseits: Wo bleibt denn da die Möglichkeit zur historischen Intervention? Wo der Raum für die oben gepriesene Mitbestimmung und individuelle Produktionsmöglichkeit? Ein bisschen Mitbestimmungsmöglichkeit bei der Konzeptentwicklung macht noch kein Open-Source-Projekt aus. Dazu haben wir zwei weitere Partizipationsmöglichkeiten entwickelt: Erstens sind alle Menschen eingeladen, selbstmotiviert ihren Beitrag für das Buch zu leisten: Anekdoten, Saufg’schichteln, Kritiken, Analysen, historische Abhandlungen, Fotos und Mitschnitte sollen möglichst zahlreich an die KAPU gesandt werden. Die oben genannten redaktionellen Texte sollen flankiert werden von individuellen Einsichten und widersprüchlichen Standpunkten, von passenden Geschichten und unpassenden Erinnerungen. Zweitens werden alle redaktionellen Texte rechtzeitig via Internetforum zur Einsicht und auch Kritik freigegeben. Noch in der Phase der Produktion sollen alle redaktionellen Texte via Netz kommentierbar sein – so haben alle Interessierten die Möglichkeit, die AutorInnen auf inhaltliche Fehler aufmerksam zu machen bzw. ihren gegensätzlichen Standpunkt hinzuzufügen. So soll eine möglichst vielfältige und gerade deswegen auch umfassende Geschichte und Beschreibung der KAPU zustande kommen, die auch kritischen Stimmen und marginalisierten Meinungen zur KAPU Platz einräumt.
Kritik
Kritik mussten wir schon von den verschiedensten Seiten einstecken – vor allem in der Phase der Konzeptentwicklung, zum Jahresende 2006, flogen in der für dieses Projekt eingerichteten Mailingliste ordentlich die Fetzen. Kern des Problems mag vielleicht die Frage nach der Definitionsmacht über das Gesamtexperiment „KAPU“ gewesen sein (die man mit der Aufteilung der Geschichtsschreibung auf viele Menschen natürlich auch dementsprechend breit streut), vielleicht die schlechte Vermittlung unserer Vorstellungen (die zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch sehr vage waren) oder einfach das natürlich berechtigte Unbehagen bezüglich der Tatsache, dass die KAPU und vor allem das individuell erlebte „KAPU-Feeling“ nun schwarz auf weiß auf Papier gedruckt werden sollen, ja, dass die KAPU an und für sich quasi museal werden könnte. Wir verstehen die KAPU nicht als museal, aber als institutionalisiert im besten Sinne und wir sind der Meinung, dass eine Aufarbeitung und Reflexion des Phänomens KAPU letztendlich der KAPU hilft, sich weiterzuentwickeln und dem Stillstand entgegenzutreten. Letztendlich konnten auch fast alle KritikerInnen von der Notwendigkeit unseres Vorhabens überzeugt werden – und in bester Tradition eines umfassenden Partizipationsgedanken konnten auch fast alle überzeugt werden, selbst Texte für das Buch zu verfassen.
Status Quo und Visionen
Derzeit schreiben circa zwanzig Personen an den verschiedensten Texten, wir hoffen bis Ende März einen Überblick über alle Texte vorliegen zu haben. Spätestens dann werden alle Texte noch einmal für mehrere Wochen via Netz einsehbar und kommentierbar sein, zeitgleich wird das Redaktionsteam versuchen, das vorhandene Material zu ordnen und falls notwendig noch einmal mit den AutorInnen zu verbessern versuchen. Prinzipiell planen wir, das Buch zum Jahresende 07 herauszubringen – sind aber (so wie es in der KAPU seit Anbeginn üblich ist) darauf gefasst, den Erscheinungstermin flexibel ins Jahr 2008 hineinzuverlegen – zumal ja im Moment nicht einmal die Frage der endgültigen Finanzierung geklärt ist.
Was jetzt gerade passiert, ist das laute Schlagen der Werbetrommel: Mit Texten wie diesem wollen wir möglichst viele Menschen in Linz und darüber hinaus erreichen und sie auffordern, ihre Ideen, Texte und Materialien (Bilder! Videos! Trophäen!) einzureichen. Wir laden Linzer und Linzerinnen, die freie Szene und alle Gäste der KAPU ein, gemeinsam zu reflektieren, zu gestalten, zu editieren und zu veröffentlichen. Wir laden ein, zu erinnern, zu kreieren und zu informieren. Wir bieten den Zugang, wir bieten das Medium, wir bieten die Chance!
www.kapu.or.at, kapu@servus.at
Die KAPU ist ein selbstverwaltetes Linzer Kulturzentrum. Ursprünglich ein Jugendzentrum der Sozialistischen Jugend, wurde 1984 im Haus Kapuzinerstr. 36 der Kulturverein KAPU gegründet, der sich schnell von der SJ unabhängig machte und sich vor allem mit Punk- und Hardcore-Konzerten profilierte. Heute ist die KAPU ein 100% unabhängiges Kulturhaus mit Musikveranstaltungen (HipHop, Rock, Indie ...), Lesungen, Ausstellungen, Filmabenden, Radioproduktionen und gelegentlichen Auftritten im öffentlichen Raum (z.B. „Wir-AG“). Trotz oder wegen nur marginaler Subventionen hat sich die KAPU zu einem Hotspot der Linzer Musik- und Jugendkultur entwickelt und ist heute Teil eines internationalen Netzwerks ähnlicher Spots und Indieclubs in der ganzen Welt.
SpotsZ: Partizipation meint idealtypisch einen Prozess von „gelungenem Teilhaben“ – Kritik erzeugt Partizipation, erzeugt wieder neue Kritik, erzeugt wieder neue Partizipation. Wie weit ist das ein Erfolg versprechendes Rezept, wo liegen die Grenzen?
Klemens Pilsl: Partizipation beschränkt sich meines Erachtens keineswegs auf das Recht zur Kritik und deren Berücksichtigung. Partizipation umfasst auch viel mehr das „Machen“ an sich, das konstruktive und konkrete Beitragen zu Produktionsprozessen: diy! – egal ob auf Ebene eines Diskurses, des Erzeugens oder was auch immer. In unserem Fall, beim KAPU-Buch, soll Partizipation nicht nur durch Kritik, sondern durch die Möglichkeit zur Gegendarstellung, zur Ergänzung, zum Widerspruch und zur Produktion der eigenen „Wahrheit“, der eigenen Geschichtsauffassung, praktiziert werden. Dennoch: Letztendlich gibt es ein Redaktionsteam mit konkreten Vorstellungen und eine aktuelle KAPU-Betriebsgruppe, die zwar bereit sind, die Definitionsmacht über die KAPU zu teilen, aber nicht sie vollkommen aufzugeben – hier ist der Partizipationsmöglichkeit ein Ende gesetzt, konkret z.B. bei rassistischen, sexistischen Meinungen oder vollkommen offensichtlichen Falschheiten. Aber ich halte im Sinne der Qualität und Strukturiertheit und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Projekt zeitlich, finanziell und vor allem vom Umfang her beschränkt ist, einen redaktionellen Rahmen für unumgänglich. Hier endet die Partizipation. Ich schätze Projekte, die fast keine Grenzen inhaltlicher Natur setzen, z.B. das österreichische Indymedia-Netzwerk – aber diese Projekte mit quasi-unendlicher Partizipationsmöglichkeit kränkeln auch stark bezüglich Verlässlichkeit, kontinuierlicher Qualität oder ganz einfach Lesbarkeit.
S: Als schlechteres Szenario von „teilnehmen“ können wohl diverse Abstimmungen über die „Notwendigkeit von Kunst und Kultur“ herangezogen werden. Ich denke da konkret an eine Abstimmung in Lübeck vor einiger Zeit, bei der auf dem Weg einer so genannten Abstimmung über die Homepage der Stadt bestimmt werden sollte, ob ein Theater geschlossen werden sollte oder nicht. Was sagt man da zur Partizipation?
K: Über Subventionen abzustimmen lehne ich ab – schließlich bedeutet die Reduktion von Demokratie auf statistische Mehrheitsverhältnisse nichts anderes als die Diktatur der Majorität. Nach meinem Verständnis sollte Kultur (auch) Minderheitenpositionen aufgreifen und thematisieren und vor allem sollten marginalisierte Bevölkerungsgruppen und natürlich sogenannte Subkulturen und neue Szenen die Möglichkeit zur kontinuierlichen kulturellen Praxis bekommen. Gesellschaftliche Subventionspolitik sollte zwar transparent, nachvollziehbar, begründbar und diskutierbar sein (was sie natürlich in Ö in keinster Weise der Fall ist), aber nicht von Mehrheiten oder BesucherInnenzahlen abhängig gemacht werden. Partizipation heißt nicht, alle vier Jahre ein Kreuzerl zu machen und gelegentlich eines Fragebogen auszufüllen. Stell dir vor, die ÖsterreicherInnen dürften über Kultursubventionen abstimmen – dann würden nur der Musikantenstadl, die Staatsoper und das österreichische Skiteam Geld kriegen.
S: Der Begriff Kritik bedeutet im ursprünglichen Sinn „unterscheiden“. Nun hat das Land OÖ einen Entwurf präsentiert, der zum Ziel hat, ein neues Kulturleitbild zu entwerfen, das in den nächsten zwei Jahren diskursiv und partizipativ entstehen soll. Dieses Projekt ist in die Zukunft gerichtet, das KAPU-Buch in erster Linie mal reflexiv in die Vergangenheit orientiert. Aber abgesehen davon – und im Sinne von Kritik als Unterscheidung, wo liegt hier der Unterschied in der Art und Weise der Partizipation?
K: Wie oben beschrieben bieten wir die Möglichkeit zur aktiven Produktion. Die angebliche Partizipationsmöglichkeit beim Landeskulturleitbild ist in vielerlei Hinsicht zu hinterfragen – mir ist unklar, wie die ans Land herangetragenen Inputs verwertet werden: Welche Gewichtung wird gemacht? Wer wertet Ergebnisse wie aus? Wessen Meinungen werden im welchen Umfang berücksichtigt? Oder handelt es sich beim vom Landespepi angekündigten „Diskurs“ lediglich um ein landesweites Brainstorming? Wenn man schon per „Umfrage“ erfahren will, was die OberösterreicherInnen von der Kulturpolitik erwarten, dann müsste man da natürlich anders vorgehen: Anstatt wahllos Internet-Postings zu interpretieren müsste man wissenschaftlich arbeiten und klar definierte Samples der Gesamtheit gezielt befragen. Aber wie gesagt: Zahlenspiele sind kein Weg zu gelungener Kulturpolitik, und auch der beste Fragebogen und das offenste Internetforum wären Wachs in den Händen derjenigen, die das Leitbild letztendlich verfassen werden. Ich erwarte mir nichts vom neuen Leitbild, noch weniger als vom Kulturentwicklungsplan der Stadt Linz, der sich ja letztendlich auch als Schas im Wald entpuppt hat. Letztendlich ist es eine ökonomische Frage: Ich fordere – sagen wir mal: 50% der Kulturausgaben für freie Initiativen. Blasmusik war gestern.
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spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014